Noch bis Ende März läuft die Werkausstellung des kasachischen Installtations– Foto–, Video– und Konzeptionskünstlers Jerbosyn Meldibekow im Kastejew-Museum. Seine Kunst wirft einen besonderen Blick auf die kulturelle und ideologische Transformation Zentralasiens nach dem Zerfall der Sowjetunion.

Die Emaille-Wanne hat eine andere Form angenommen. Sie steht auf dem Kopf, ihr Bauch ist ramponiert. Aus dem Alltagsgegenstand, den zu Sowjetzeiten tausende Menschen benutzt haben, ist ein Kunstobjekt mit tiefergehender Symbolik geworden. Derzeit ist die konzeptionelle Kunst aus ehemaligem Sowjet-Geschirr zusammen mit anderen Exponaten in einer Werkschau im Kastejew-Museum zu sehen. Noch bis Ende März sind hier die wichtigsten und bekanntesten Werke von Jerbosyn Meldibekow ausgestellt.

Der ironische Blick auf die Sowjetideologie | Bild: Meldibekov

Der Kasache ist als Performance-Konzeptionskünstler und Bildhauer in Europa und Amerika bekannt. Meldibekow nennt sich einen politischen Künstler und will auch seine Kunst in diesem Kontext verstanden wissen. Es ist seit neun Jahren das erste Mal, dass eine große Ausstellung seiner Kunst in Kasachstan zu sehen ist.

„30 Prozent meiner Werke haben es nicht in die Ausstellung geschafft, weil sie zu kritisch gegenüber dem aktuellen Zeitgeschehen interpretiert werden können“, verrät der Künstler. So ist zum Beispiel das in westlichen Kunstkreisen berühmte Foto „Mein Bruder, mein Feind“ nicht Teil der aktuellen Ausstellung.

Meldibekow beschäftigt sich auf seine Weise mit den kulturellen und ideologischen Transformationsprozessen in Zentralasien. Viele seiner Werke schauen auf die Umbrüche und Veränderungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Werkschau läuft unter dem Namen „Ewige Rückkehr“ im Kastejew-Museum. Titel und Ort dieser Ausstellung sind nicht zufällig. Denn dem Künstler geht es darum, nicht nur die Besonderheit seiner Arbeiten zu zeigen, denen der Gedanke der zyklischen Wiederkehr und Wiederholung innewohnt. Das Thema Wiederholung, Zyklus, Rückkehr ist bereits im Titel der Ausstellung vorgegeben. „Ewige Rückkehr“ figuriert zu einem allegorischen Motto der gesamten Kunst Meldibekows.

Dies wird dem Betrachter seiner Kunst erst vor dem Hintergrund ihrer Geschichte bewusst. Daher ist auch der Ort der Ausstellung kein Zufall. Das Kastejew-Musejum beherbergt in seinem Archiv über 23.000 Kunstschätze aus Westeuropa, Zentralasien und besonders der Sowjetunion. Kurator Viktor Mesiano, der in Russland bekannte Kunstkritiker, hatte diese Idee. Zusammen mit Dastan Koschachmetow hatte Mesiano die Werkausstellung realisiert.
Kunstkenner fühlen sich bei dem Anblick der zerbeulten Waschschüsseln, Eimer und Wannen, die zum „Pik Lenin“ geworden sind, vielleicht an die Konzeptions-Kunst von Ilja Kabakow erinnert, dessen Konzeptkunst, genau wie die Meldibekows, einen ironischen Blick auf die sowjetische Kunstdoktrin des sozialistischen Realismus wirft. In der Sowjetunion hatte die Kunst eine ideologische Funktion zu erfüllen.

Dies hat sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion geändert. In Zentralasien sind unabhängige Republiken mit jeweils eigenen nationalen und identitätsstiftenden Narrativen entstanden. Trotzdem bleiben Reste der alten kollektiven sowjetischen Identität an Dingen wie Geschirr oder Berggipfeln haften, die nach den politischen Anführern benannt war.

So hat seine Installation „Pik Lenin“ eine tiefergehende symbolische Bedeutung.

„Es handelt sich um Gegenstände des kollektiven Gedächtnisses und der kollektiven Wahrnehmung. Ich habe aus dem Geschirr neue Ereignisse gemacht, welche die Geschichte Zentralasiens darstellen, nämlich das Schicksal eines Menschen, das Schicksal eines Gebäudes oder eines Berggipfels. Ich glaube, dass das Geschirr die Nabelschnur Zentralasiens ist“, teilt Meldibekow seine Gedanken zu dem Werk „Pik Komunismus“ und „Pik Lenin“ mit. Vor dem Hintergrund der Ästhetik des Sozrealismus gewinnen diese Kunstwerke an Aussagekraft: Meldibekow hat ein Objekt zur Kunst gemacht, indem er dessen Form verändert hat. „Das Material zu spüren ist für mich sehr wichtig“, verrät der Künstler. Er hat das Metall mit einem Hammer bearbeitet.

Damals hingegen hat die Ästhetik des sozialistischen Realismus die Form ihrer Objekte bestimmt, genauso wie deren Symbolik. Meldibekow zeigt dies, indem er sowjetisches Geschirr erneut künstlerisch verformt und es aus dem Kontext der kollektiven Erinnerung befreit. Dies verstärkt er durch die Umbenennung seiner kleinen Metallgipfel nach dem Gipfel „Pik Lenin“, der heute Pik Abu Ali ibn Sin heißt. Dieses Phänomen des Ersetzens eines kollektiven Symbols beschäftigt den kasachischen Künstler in vielen seiner Werke.

„In Bischkek wird alle fünf Jahre ein neues Denkmal aufgestellt. Heute steht dort auf dem Platz vor dem Historischen Museum ein Manass-Denkmal. Vor fünf Jahren war es eine Frau als Symbol für die Freiheit der Kirgisischen Republik, davor hatte dort Lenin gestanden. Alle paar Jahre wird dort also das staatliche Denkmal gewechselt und nur 200 Meter vom Ala too-Platz entfernt steht ein weiteres Manass-Denkmal“, wundert sich Meldibekow und lacht erfrischt, als wäre die kirgisische Denkmalpolitik seine eigene Idee gewesen.

Ironie ist ein weiteres Charakteristikum seiner Kunstwerke. Zum Beispiel zeigt dies das „Familienalbum“. Diese Installation ist auf den ersten Blick eine Sammlung alter Familienfotografien. Zu sehen sind die typischen Gruppenfotos vor sowjetischen Denkmälern oder Gebäuden. Auch die Kleidung der Abgelichteten lässt darauf schließen, dass diese Fotos in den 70er oder 80er Jahren entstanden sind. In der Tat: Es handelt sich nämlich, so verrät Meldibekow um Fotografien seiner jüngeren Schwester, die es geliebt hat, sich fotografieren zu lassen. „Dies ging damals nur vor Denkmälern oder öffentlichen Gebäuden, andere Räume gab es oft nicht, sie waren nicht so einfach zugänglich“, erklärt Jerbosyn Meldibekow.

Ihm sind Anfang der 2000er Jahre diese Fotografien wieder in die Hände gefallen. So ist daraus das Projekt „Familienalbum entstanden“. Neben den alten Fotos sind 2003 neue Familienfotos an den gleichen Orten aufgenommen worden. Das ist der Reiz des Projektes „Familienalbum“. Mir war es wichtig, die totale Veränderung durch die Zeit in den Vordergrund zu rücken. Die Raum-Zeit-Dimension spielt hier eine große Rolle. Die Leute stehen zwar auf den Fotos im Vordergrund, werden aber zum Hintergrund, weil sich ihre Umwelt so stark verändert hat.

Ebenso einen ironischen Blick auf die ewige Veränderung des kollektiven Gedächtnisses zeigt Meldibekows Werk „Selbstbildnis mit meinen Helden“. Dabei handelt es sich um Nachbildungen von Bronze-Statuen, die Helden der zentralasiatischen Sowjetunion waren, wie zum Beispiel Batyr Bala Bolatbek, Ghany Muratbajew, Saken Sejfulin, Tokasch Bokin, Sabit Mukanow oder Schambul Schabajew.

„Das ist der heutige Ethnokitsch, der die sowjetische Ideologie abgelöst hat“, erklärt Meldibekow. Was bleibt, sind die nackten Sockel, auf denen immer wieder neue Denkmäler stehen. Alles dreht sich im zyklischen Kreis der „ewigen Rückkehr“. So gesehen, gewinnt seine Installation einfacher Pferdehufe mit dem Namen „Unbekannter Batyr“ einen Sinn, über den es sich nachzudenken lohnt.

Von Dominik Vorhölter

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