Es ist ein Megaprojekt und soll irgendwann das größte Wasserkraftwerk Zentralasiens sein: Mitte November nahm das Wasserkraftwerk in Rogun seine Arbeit auf. Das Projekt ist nicht unumstritten. Der Text erschien zuerst als Spotlight beim Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS).
Am 16. November 2018 setzte der tadschikische Präsident Emomali Rachmon mit einem Knopfdruck das Wasserkraftwerk von Rogun offiziell in Gang. Nach seinen Worten wurde damit ein „langjähriger Traum unserer sich zivilisierenden Nation wahr und zugleich verwirklichten sich Hoffnungen und Pläne des Volkes“. Zwar fanden tatsächlich im ganzen Land aufwendige Feiern für die Bevölkerung statt, doch dürfte der Tag eher die Verwirklichung eines gegen viele Widerstände durchgesetzten Traumes des Präsidenten markieren, als die der Hoffnungen der Bevölkerung.
Tadschikistan ist die ärmste Nachfolgerepublik der Sowjetunion. Es verfügt über nahezu keine fossilen Energieträger, hat aber als wasserreichstes Land Zentralasiens ein riesiges, nahezu ungenutztes Wasserkraftpotential. Die Energieversorgung war über viele Jahre nicht gewährleistet, sodass die stark wachsende Bevölkerung, die mit dem fast ausschließlich aus Wasserkraft gewonnenem Strom häufig auch heizt, im Winter im Kalten und Dunklen saß.
Der „Palast des Lichtes der Nation“
Das Kraftwerk von Rogun, etwa 110 km östlich der Hauptstadt Duschanbe gelegen, soll nach seiner endgültigen Fertigstellung mit einer Kapazität von 3.600 MWt die heutige tadschikische Energieproduktion verdoppeln. Es wird dann das größte Wasserkraftwerk Zentralasiens sein (das weltweit stärkste Wasserkraftwerk in China produziert 22.500 MWt, das größte deutsche Wasserkraftwerk in Thüringen, ca. 1060 MWt Strom). Der dazugehörige Staudamm soll mit einer Endhöhe von 335 Metern der höchste Schüttdamm der Welt werden. Mitte November wurde allerdings erst die erste von insgesamt sechs Turbinen in Betrieb genommen, die auch erst ungefähr ein Sechstel ihrer Leistung bringt, und der Staudamm hat derzeit eine Höhe von 75 m. Bis zur geplanten Fertigstellung im Jahr 2033 bleibt also noch einiges zu tun.
Bei dem Megaprojekt handelt es sich um einen zweiten Anlauf. Als die Sowjetunion zerfiel, war der Fluss Wachsch bereits seit fünf Jahren gestaut. Der Staudamm und die schon zu zwei Dritteln fertiggestellten technischen Anlagen des Kraftwerkes wurden aber 1993 durch eine Flutwelle zerstört. Gleichzeitig führte das Ende der Union auch zum Zusammenbruch des ausgefeilten zentralasiatischen Wasser-Energie-Systems, das Tadschikistan wie Kirgistan günstige Energielieferungen garantiert hatte. Winterliche Stromausfälle und -rationierungen waren die Folge. Es lag daher nahe, die aus der Sowjetzeit geerbten Wasserkraftwerke durch Neubauten zu ergänzen. Schon ab 2000 wurden die Pläne für die Errichtung der insgesamt neunten Staustufe am Wachsch in den gewaltigen sowjetischen Dimensionen wiederaufgenommen. Nachdem Mitte der Nullerjahre während eines ungewöhnlich kalten Winters auch noch das aus Sowjetzeiten erhaltene zentralasiatische Stromnetz zusammenbrach, wurde Energieunabhängigkeit für Präsident Rachmon höchstes Ziel. Seit 2010 war das Land unter dem Motto „Rogun heißt Licht und Leben“ im Baufieber. Nachdem im Herbst 2016 das italienische Unternehmen Salini Impregilo mit dem Bau des Damms betraut worden war, nahm die Sache noch einmal Fahrt auf. 20.000 Menschen arbeiteten unter Hochdruck, die Regierung stellte im Herbst 2018 zur Beschleunigung der Arbeit 749 Millionen Somoni (80 Millionen US-Dollar) zusätzlich bereit. (Das BIP Tadschikistans wird für 2018 auf 7,15 Milliarden US-Dollar geschätzt.)
Problematische Finanzierung
Die Finanzierung war eines der entscheidenden Probleme für die Verwirklichung des Projektes. Nachdem es trotz vielfältiger jahrelanger Bemühungen nicht gelungen war, ausländische Geldgeber zu gewinnen, fasste die Regierung 2008 den Beschluss, es mit eigenen Mitteln zu versuchen – woran kein Beobachter glaubte. Der Präsident machte es zur Bürgerpflicht, Anleihen für Rogun zu erwerben. Trotz großen Drucks auf die Bevölkerung kam aber nur ein Bruchteil der angepeilten 1,4 Milliarden US-Dollar zusammen. Erfolgreicher war man 2017 mit dem Verkauf von Eurobonds in Höhe von 500 Millionen US-Dollar auf dem internationalen Markt. Die übrigen Kosten wurden aus dem Staatsbudget finanziert. Die Angaben über ihre Höhe schwanken stark: Rachmon nannte bei der Eröffnung die Summe von umgerechnet ca. 2,5 Milliarden US-Dollar aus dem Budget, für den Weiterbau sind nach Angaben des Finanzministeriums noch 4 Milliarden US-Dollar nötig.
Derartige Summen können nur durch erhebliche Einschnitte in andere, für die Bevölkerung wichtige Bereiche des Budgets aufgebracht worden sein. Hinzu kommt, dass es in diesem Herbst wieder viele Meldungen gab, die ländliche Bevölkerung sitze im Dunklen. Ursache scheinen weniger unbezahlte Rechnungen und Reparaturen zu sein, als die hohen Exportverpflichtungen, die die Regierung eingegangen ist. Seit Jahresbeginn hat Tadschikistan mehr als 2,5 Milliarden kWh Strom vor allem nach Usbekistan, aber auch Afghanistan und Kirgistan exportiert und dafür fast 73 Millionen US-Dollar erhalten, die es für die weitere Finanzierung des Projektes benötigt. Eine Entspannung für die Bevölkerung ist daher noch lange nicht abzusehen. Und es fehlt offensichtlich auch Geld, um gegen die wegen der veralteten Infrastruktur enorme Verschwendung von Energie und Wasser vorzugehen.
Der Traum der Nation?
Der seit 1994 amtierende, autokratisch regierende „Führer der Nation“ hat Rogun zu seinem persönlichen Projekt gemacht. Der Bau untersteht seiner direkten Kontrolle und er hat es sich auch nicht nehmen lassen, im Herbst 2016 höchstpersönlich mit einem Bulldozer die Steinmassen zur Stauung des Wachsch in Bewegung zu setzen. Nicht ohne Grund fand die Inbetriebnahme am 16. November, dem offiziellen „Tag des Präsidenten“, statt. Rachmon braucht derzeit dringend positive Meldungen, 2018 war Tadschikistan bereits mehrfach mit Berichten in den Schlagzeilen, die an der Stabilität des Landes zweifeln lassen.
Die Zeichen für eine erfolgreiche Fortführung des Rogun-Projektes stehen gerade so günstig wie nie zuvor. Usbekistan hat unter seinem neuen Präsidenten eine konziliantere Haltung gegenüber dem ihm nicht wirklich geheuren Unternehmen eingenommen und sogar Unterstützung zugesagt. Internationale Geldgeber zeigen sich kooperationsbereit u.a. in Hinblick auf den Ausbau des für den Export notwendigen Stromnetzes. Optimistische tadschikische Journalisten haben errechnet, dass Rogun im Vollbetrieb ca. 10 Milliarden kWh Strom für den Export liefern kann, was dem Land bis zu 400 Millionen US-Dollar bringen würde. Der Weg dorthin ist jedoch noch lang. Die Bevölkerung war unter den gegebenen politischen Bedingungen ungefragt gezwungen, gewaltige Opfer für das Lieblingsprojekt ihres Präsidenten zu bringen. Derzeit ist noch nicht absehbar, ob und wann sie die Früchte dieses Verzichts ernten kann.