Mit Stalins Machtfestigung endeten in der Sowjetunion sämtliche Experimente in Kunst und Kultur. Der Diktator verordnete seinem Reich den Sozialistischen Realismus als einzige Stilrichtung. Der Tscheche Iwan Babel verschrieb sich dieser Richtung mit seiner Architektur in Alma-Ata. Und wurde dennoch nicht verschont.

So mancher Hausfassade sieht man es nicht an, welches tragische Schicksal sich dahinter verbirgt. Als 1879 im tschechischen Prag, damals Teil des Reiches der Habsburger, ein gewisser Iwan Bogumilowitsch Bahek das Licht der Welt erblickte, schien die Welt noch in Ordnung. Der junge Tscheche soll 1900 eine mittlere Kunstausbildung abgeschlossen haben. Doch er erfreute sich nicht nur an der Kunst, sondern war wohl auch ein brennender Panslawist.

Im Königreich Österreich-Ungarn und seinen zahlreichen Landesteilen und Völkern gab es immer wieder kleinere und größere Nationalbewegungen. Auch in Prag, wo es seit jeher eine große deutschsprachige Minderheit gab, waren anti-österreichische und pro-slawische Bestrebungen immer stark ausgeprägt. Vermutlich war dies auch der Grund, warum der junge Iwan Bahek nur kurz nach dem Abschluss seiner Kunstausbildung seine Heimat verließ, um sich fortan im Russischen Zarenreich niederzulassen.

Hochzeit des Futurismus in der Sowjetunion

Bahel lebte ab 1902 im georgischen Tiflis, wo er den Beginn des Ersten Weltkrieges, die Oktoberrevolution und den Sturz des russischen Zaren, aber auch den Tod Wladimir Lenins und die anschließende Machtübernahme durch Josef Stalin erlebte. Nicht nur arbeitete er während dieser Jahre als Gymnastiklehrer sowie Übersetzer im tschechischen Konsulat in Tiflis, auch wurde hier seine Tochter Ludmilla geboren.

Die Jahre ab 1917 läuteten eine Periode der Moderne in der Sowjetunion ein, eine Hochzeit des Futurismus. Alma-Ata wurde 1927 zur Hauptstadt der Kasachischen SSR. Große Bauvorhaben waren seitdem in der Stadt geplant und einige Verwaltungsgebäude im Stil des streng linearen und schnörkellosen Konstruktivismus fertiggestellt.

Bereits Mitte der 1920er Jahre, nur kurz nachdem Josef Stalin die Macht im Moskauer Kreml übernommen hatte, kam es zu den ersten Verhaftungen und Schauprozessen. Es waren die ersten Anzeichen des Großen Terrors. 1932 geriet auch Iwan Bahel in die Fänge von Stalins Geheimpolizei. Die Anklage lautete auf Spionage, das Urteil „freies Exil“. Bahel erwählte Alma-Ata als Ort seines Exils. Ob diese Entscheidung wirklich so „frei“ war, kann angezweifelt werden.

Stalin legt Stilrichtung fest

Am 23. April 1932 beschloss das Zentralkomitee der KPdSU, der sogenannte Sozialistische Realismus solle ab nun an die alleinige Stilrichtung aller Schriftsteller, Künstler, Musiker oder Architekten in der Sowjetunion sein. Alle Künstler, die sich nicht Stalins bevorzugter Stilrichtung unterwerfen wollten, standen praktisch vor einem Berufsverbot. Dies war das Ende sämtlicher Experimente in Kunst und Kultur, welche in der kurzen modernen Periode in den Anfängen der Sowjetunion unternommen wurden. Auch in Alma-Ata war somit nach nur fünf Jahren die Zeit der Moderne in der Architektur vorbei.

Als Iwan Bahel 1932 nach Alma-Ata kam, muss man schnell sein Talent als Künstler erkannt haben. Er arbeitete seitdem als Bildhauer für die Regierung Kasachstans und war maßgeblich an der Gestaltung zahlreicher prächtiger Außenfassaden im Stile des Sozialistischen Realismus in den 1930er Jahren beteiligt. Dies wird besonders am Gebäude des Ministeriums für Getreidewaren deutlich. Das zweistöckige Gebäude des Architekten W. Twerdochlebow mit seinen opulenten Säulengängen wurde 1936 fertiggestellt. Die Ornamentkunst ist der zentralasiatischen Architektur eigentlich nicht fremd, wie die hunderte Jahre alten, reich verzierten Mausoleen Usbekistans und Turkestans beweisen.

Doch die Sowjetmoderne in den 1920er Jahren brach mit dieser lokalen Tradition. Nun oblag es dem Künstler Bahel, dem seinerzeit einzigen Bildhauer in Alma-Ata, dieses Gebäude mit einem Wandrelief im Stile des Sozialistischen Realismus auszustatten. Das Ministerium für Getreidewaren war seinerzeit ebenfalls zuständig für den Obstanbau und die Herstellung von Wein. Bahel gestaltete für sein Relief daher Alltagsszenen aus der Landwirtschaft: Männer, die Weinfässer rollen, oder Frauen bei der Apfelernte.

Anpassung rettet Iwan Bahel nicht

Bahel war einer der ersten Künstler Alma-Atas, der sich der Ideologie von Stalins Sozialistischem Realismus vollkommen verschrieb und mit diesem Stil die Fassaden der Neubauten der Stadt wesentlich prägte. Doch dies konnte sein Leben nicht retten. Der Stalinistische Terror fand seinen Höhepunkt in den Jahren 1936 bis 1938 und es konnte nun jeden grundlos treffen. Iwan Bahel wurde am 5. Februar 1938 wegen „Antisowjetischer Verschwörung“ abermals verhaftet. Er wurde am 2. September 1938 zum Tod durch Erschießen verurteilt, das Urteil noch am selben Tag vollstreckt.

Seit 1977 befindet sich in diesem Gebäude das Museum der seltenen Bücher Kasachstans. Über 500 schriftliche Werke von den frühesten Schriftzeugnissen Kasachstans bis zur modernen Literatur gehören zur Sammlung und können besichtigt werden. Das Gebäude ist denkmalgeschützt. Den Namen Iwan Bahels sucht man an diesem bedeutenden Architekturdenkmal allerdings vergeblich.

Philipp Dippl

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