In einer Welt, in der Sicherheitsfragen wieder zunehmend an Bedeutung gewinnen, erlaubt der Vergleich der Streitkräfte verschiedener Länder nicht nur Rückschlüsse auf deren militärische Leistungsfähigkeit, sondern auch auf die gesellschaftlichen Werte, die sie verkörpern. Besonders aufschlussreich ist der Blick auf Länder mit unterschiedlichen politischen Traditionen wie Deutschland und Kasachstan. Trotz einiger äußerlicher Gemeinsamkeiten stehen sich hier zwei grundlegend verschiedene Philosophien gegenüber.
Die Geschichte der deutschen Streitkräfte nahm nach 1945 eine radikale Wendung. Nach dem Ende des Dritten Reiches und der Auflösung der Wehrmacht folgte eine Phase völliger Entmilitarisierung. Erst mit dem Beitritt zur NATO 1955 wurde die Bundeswehr gegründet, unter strenger parlamentarischer Kontrolle und in bewusster Abgrenzung zu nationalistischen oder militaristischen Tendenzen.
Kasachstan hingegen begann mit dem Aufbau seiner Streitkräfte erst nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991. Ausgangspunkt waren dabei die auf kasachischem Boden verbliebenen Einheiten der Sowjetarmee. Die neue Armee übernahm weitgehend das sowjetische Modell mit einer stark ausgeprägten Hierarchie, einem gewissen Formalismus und einer uneinschränkten zentralen Kontrolle. Erst in den 2000er Jahren setzten Reformen ein, darunter die Entwicklung einer eigenen Militärdoktrin, die Stärkung des kasachischen Personals und die Einführung moderner Ausrüstung.
Zivile Kontrolle und politische Rahmenbedingungen
In Deutschland ist die Bundeswehr strikt in das demokratische System eingebettet. Laut Grundgesetz untersteht sie dem Bundestag. Kein Militäreinsatz im Ausland ist ohne parlamentarische Zustimmung möglich. Ein besonderes Kontrollinstrument ist der Wehrbeauftragte, der als unabhängiger Anwalt der Soldatinnen und Soldaten die Einhaltung von Rechten und Standards überwacht.
In Kasachstan dagegen liegt die Kontrolle der Armee direkt beim Präsidenten als dem Oberbefehlshaber. Die Verfassung und das Militärgesetz stützen eine vertikal organisierte Befehlskette. Obwohl das Parlament in jüngerer Zeit an Einfluss gewonnen hat, bleibt seine Rolle bei sicherheitspolitischen Entscheidungen begrenzt, was allgemein als ein Zeichen für die autoritär geprägte Staatsstruktur, in der zentrale Entscheidungen in einem eng begrenzten Machtzirkel getroffen werden, gedeutet wird.
Die Bundeswehr zählt heute etwa 260.000 Angehörige, inklusive zivilem Personal. Sie ist in verschiedene spezialisierte Bereiche untergliedert: das Heer, die Luftwaffe, die Marine, die Cybertruppen und die Streitkräftebasis. Der Fokus liegt auf der professionellen Ausbildung, einer modernen Technik und einer hohen Mobilität. Eine Wehrpflicht besteht nicht mehr – alle Soldatinnen und Soldaten sind Freiwillige oder Berufssoldaten.
Die Armee Kasachstans ist mit etwa 110.000 aktiven Soldaten und 130.000 Reservisten deutlich kleiner. Ihre Struktur ist klassischer zu nennen: es gibt die Landstreitkräfte, die Luftwaffe, die Marine (beschränkt auf das Kaspische Meer), eine Reihe von Spezialeinheiten und die Militärpolizei. Die Cybertruppen Kasachstans befinden sich noch im Aufbau. Der Anteil der Wehrpflichtigen ist hoch, was die Einsatzbereitschaft vieler Einheiten begrenzt.
Militärdienst, Ausrüstung und internationale Präsenz
Seit 2011 ist der obligatorische Wehrdienst in Deutschland ausgesetzt. Der Freiwillige Wehrdienst ermöglicht Interessierten eine Ausbildung von 7 bis 23 Monaten. Eine gute Bezahlung, Auslandseinsätze mit Prämien und die soziale Absicherung machen die Bundeswehr für viele junge Menschen attraktiv.
In Kasachstan gilt ein gemischtes System: Etwa 35.000 Männer zwischen 18 und 27 Jahren werden jährlich zu einem zwölfmonatigen Wehrdienst eingezogen. Nur etwa ein Drittel der Armee besteht aus Berufssoldaten, deren Bezahlung deutlich über jener der Wehrpflichtigen liegt. Dennoch ist die Motivation zur Armee zu gehen – besonders in Städten – häufig gering, was zu vielen Fällen von Dienstverweigerung führt.
Deutschland gehört zu den führenden Rüstungsexporteuren weltweit. Mit solchen Produkten wie dem Leopard-2-Panzer, dem Boxer-Schützenpanzer und dem G36-Gewehr ist die deutsche Rüstungsindustrie international gefragt. Infolge des Ukraine-Kriegs wurde 2024 ein 100-Milliarden-Euro-Programm zur Modernisierung der Bundeswehr mit dem Schwerpunkt auf Drohnentechnologie, Cybersicherheit und Aufklärung aufgelegt.
Kasachstan ist hingegen stark auf Importe von Waffen und Ausrüstungen angewiesen, darunter aus Russland, China, der Türkei oder Israel. Eine militärisch verwendbare Inlandsproduktion gibt es hauptsächlich über Joint Ventures, zum Beispiel bei der Montage gepanzerter Fahrzeuge oder bei Kleinwaffen. Allerdings ist ein großer Teil der Ausrüstung veraltet – wie die weiterhin eingesetzten T-72-Panzer oder die MiG-29-Kampfflugzeuge. Der Erwerb moderner türkischer Drohnen zeigt jedoch ein auch in Kasachstan wachsendes Interesse an einer militärtechnischen Erneuerung.
Gesellschaftliches Ansehen und institutionelle Herausforderungen
Die Bundeswehr genießt in der deutschen Gesellschaft ein gemischtes Ansehen. Die Geschichte des Nationalsozialismus hat den öffentlichen Umgang mit Militär stark geprägt. Dennoch ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs ein wachsendes Sicherheitsbewusstsein zu beobachten, und das Vertrauen in die Streitkräfte nimmt zu. Gleichzeitig bleiben ethische Standards und Transparenz zentrale Erwartungen an das Militär. Menschenrechtsbildung ist integraler Bestandteil der Offiziersausbildung.
In Kasachstan ist die Armee stark mit nationalen Symbolen wie Patriotismus und Männlichkeit verknüpft. Militärparaden, Heldenerzählungen und Bezugnahmen auf den Zweiten Weltkrieg prägen das öffentliche Bild. Doch Vorfälle wie Explosionen in Munitionslagern – etwa in Arys oder der Region Schambyl – haben das Vertrauen in die Armee erschüttert.
Kasachstan engagiert sich trotz begrenzter Ressourcen in internationalen Missionen. 2018 wurden 120 kasachische Soldaten im Rahmen der UNIFIL-Friedensmission im Libanon eingesetzt, gemeinsam mit indischen Truppen. Zudem beteiligt sich die kasachische Armee regelmäßig an Übungen mit Partnern aus der Organisation des Vertrags zur kollektiven Sicherheit (OVKS), der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) sowie mit westlichen Staaten wie den USA („Steppe Eagle“), der Türkei oder China. Diese Kooperationen fördern Erfahrungsaustausch und internationale Integration.
Fazit: Zwei Wege, ein gemeinsames Ziel
Deutschland und Kasachstan verfolgen unterschiedliche Pfade beim Aufbau ihrer Streitkräfte. Die Bundeswehr steht für eine technologische, demokratisch kontrollierte Berufsarmee. Die Armee Kasachstans befindet sich noch im Wandel vom sowjetischen Erbe hin zu einer moderneren, flexibleren Struktur.
Beide Länder können voneinander lernen: Kasachstan könnte vom deutschen Modell der zivilen Kontrolle, sozialen Absicherung und Professionalisierung profitieren. Deutschland wiederum könnte Aspekte wie Jugendmotivation und gesellschaftliche Einbindung der Streitkräfte stärker in den Blick nehmen.
Letztlich ist das Militär nicht nur ein Instrument der Verteidigung. Es ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und in diesem Spiegel sehen wir unsere Ängste, Hoffnungen und Entscheidungen.