Xandra Silantye gehört zu den wenigen Parfümeurinnen Kasachstans – und zugleich ist sie Schriftstellerin, Journalistin, Musikerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. In unserem Gespräch erzählt sie von ihren Projekten und davon, wie deutsche und kasachische Kultur ihre Arbeit beeinflussen.

Xandra, soweit ich weiß, haben Sie unserer Zeitung bereits 2020 ein Interview gegeben. Damals sagten Sie, Sie kämen aus Dresden. Können Sie uns mehr über Ihre Familie, Deutschland und Ihre Rückkehr nach Kasachstan erzählen?

Ich stamme tatsächlich aus Dresden. Mein Leben war nie auf einen einzigen Ort festgelegt. Meine Familie ist eine Mischung aus deutscher Disziplin, kasachischer Warmherzigkeit und meinem eigenen Lebensmotto: „Lebe so, dass jeder Tag eine Premiere ist.“

Deutschland prägt meine Seele und mein Wesen, und Kasachstan ist mein Tempo, meine Projekte, mein Kosmos. Ich habe mehrere Jahre in Deutschland gelebt, aber für mich ist Zeit keine lineare Größe, sondern eine Ressource, die sich komprimieren und dehnen lässt, wie Musik. Die Zweisprachigkeit, die ich dort erworben habe, lässt sich noch immer zwischen den Zeilen lesen, zum Beispiel in meiner Fantasy-Trilogie über das Jahr 8000 und KI. Dies ist die erste Trilogie in Kasachstan zu solchen Themen – über Erd-, Mond- und Sternengötter.

Wie beeinflusst Ihre Herkunft sonst noch Ihre Kreativität und Ihren Lebensstil?

Die Herkunft ist meine Stimmung. Die deutsche Struktur hilft mir, selbst im Chaos Ordnung zu finden, während mir die kasachische Seele den Mut gibt, diesem Chaos Farbe zu verleihen und es frei schweben zu lassen. In meiner Arbeit ist dies zugleich eine komplexe Komposition aus Romanen und Aromen, in der sich alpine Frische und Steppenwind in einem Flakon treffen. Die deutsche Kultur ist mein Metronom, präziser Rhythmus und klare Logik. Die kasachische Natur ist wilder Jazz, wo die Steppe nach Honig, Rauch und staubigem Gewitter duftet.

Auch jetzt, wenn ich an meinem Lounge-Album „Jazz Qala“ arbeite, hört man deutsche Widerspenstigkeit vermischt mit nationalem Kolorit und Texten. Es sind einfach Landschaftsmusik, Musik für die Seele. Ich werde ihn der Welt nach meinem vierten Mutterschaftsurlaub – also in zwei Jahren – präsentieren, genau wie auch das Jazz-Album „MoneyFest“ und den schockierenden, aber anständigen „Mudaism“.

Wie empfinden Sie Ihre deutsche Identität in Kasachstan? Wie identifizieren Sie sich selbst?

Meine deutsche Identität ist in Kasachstan wie ein Haute-Couture-Anzug auf einem orientalischen Basar. Ich spüre beide Seiten meiner Kultur und trage sie gleichzeitig, ohne sie zu trennen. Ich bin Xandra Silantye. Das ist alles. Das hört man in meiner neuesten Veröffentlichung – „Neudobnaja“ („Die Unbequeme“). Ich schrieb es, nachdem ein Strafverfahren gegen mich eingeleitet worden war, das aber wenig später wegen des Fehlens eines Straftatbestandes eingestellt wurde. Das merkt man auch in meiner Gedichtsammlung „Lustration“, wenn die Welt dich zum Schweigen bringen will.

Sie sind einer der wenigen Parfümeure in Kasachstan. Wie sind Sie zur Parfümerie gekommen?

Ich bin durch ein geschärftes Erinnerungsvermögen zur Parfümerie gekommen. Gerüche sind das Archiv meines Lebens. Ich habe einfach angefangen, diese Dateien zu öffnen und in eine flüssige Form zu bringen. Mit 15 Jahren habe ich beschlossen, Regisseurin und Parfümeurin zu werden. All das wurde wahr. Demnächst erscheint das erste Buch über die Parfümerie in Kasachstan, „Parfümeur. Grimoire des Aromags“. Darin erzähle ich anhand von über sieben Jahren Arbeit in der Aromatherapie und Parfümerie die Insidergeschichte der Arbeit und der Welt der Duftkreation, als Chemiker und als Schöpfer.

Wo haben Sie studiert oder woher haben Sie Ihr Wissen über die Kunst der Parfümerie?

Ich habe an seltenen Lehrgängen in Indien, Frankreich und der Russischen Föderation teilgenommen, manchmal auch in Online-Schulen, und ich habe mein Wissen erweitert durch Sammlungen von Vintage-Düften, durch persönliche Experimente an der Grenze zwischen Alchemie und Wissenschaft sowie anhand von Büchern.

Parfümerie kann technisch gesehen akademisch erlernt werden, aber was Kreativität angeht, braucht man eine Bestimmung. So wie eine Ballerina körperlich für ihre Arbeit geschaffen ist, so hat ein Parfümeur einen Geruchssinn und ein olfaktorisches Gehör. Es gibt sogar ein Sprichwort: Jeder Parfümeur ist ein Chemiker, aber nicht jeder Chemiker ist ein Parfümeur.

Was würden Sie zur Entwicklung der Parfümindustrie in Kasachstan im Allgemeinen sagen?

Die Parfümindustrie in Kasachstan steckt noch in den Kinderschuhen. Und ich möchte zu denen gehören, die dieser Stimme beibringen, selbstbewusst zu klingen. Wir haben nur fünf Parfümeure. Auch Marken, darunter mein Parfümhaus „Silantye“. Kürzlich habe ich auf unserer Website den ersten Aromagenerator in Zentralasien angekündigt, mit dem Sie Ihren Psychotyp anhand ausgewählter Noten entschlüsseln können. Sie können ihn mit Lieferung in ganz Kasachstan bestellen. Insgesamt stehen dort 300 Noten zur Verfügung – Kopf-, Herz- und Basisnoten.

Parfümerie bedeutet heute auch die Auseinandersetzung mit Triggermomenten und Traumata. Sie arbeitet an der Schnittstelle von Psychologie, Neurobiologie und Parfümerie. Gerüche sind direkt mit dem limbischen System des Gehirns verbunden – dem, das für Emotionen und Erinnerungen zuständig ist. Ein einziger Duft kann Assoziationen neu schreiben: Schmerz durch Trost, Angst durch Zuversicht, Verlust durch ein Gefühl von Präsenz ersetzen. Wenn ich auf Anfrage ein Parfüm kreiere, wähle ich nicht nur Noten aus – ich erschaffe ein emotionales Szenario.

Die letzten Anfragen waren: „Der Geruch der Vergebung“ – eine Frau, die eine schwierige Scheidung durchlebte. Ich kreierte für sie einen Duft mit Noten von weißer Pfingstrose, Vanille und warmem Kaschmir. Sie sagte, dieser Duft sei wie ein emotionaler Schutzschild für sie geworden. „Erinnerung an die Heimat“ – ein Mann, der sein Heimatdorf verließ, bat darum, ihm den Duft seiner Kindheit „zurückzugeben“. Ich mischte den Rauch eines Samowars, Steppen-Wermut und frisches Brot. „Die Stimme einer verstorbenen Mutter“ – eine Kundin brachte mir den alten Schal ihrer Mutter, der ihren Duft aufgenommen hatte. „Lampenfieber“ – ein junger Musiker hatte Angst, öffentlich aufzutreten. Wir haben einen „Duft des Mutes“ kreiert: Bergamotte, rosa Pfeffer, Leder. Er gab zu, dass er die Bühne jetzt nicht mehr mit Angst, sondern mit Inspiration verbindet.

Was hilft Ihnen, Energie, Zeit und Kraft für so unterschiedliche Aktivitäten wie Musik, Schreiben, Parfümerie und Regie zu finden?

Meine Energie ist pure Lebenslust. Zeit finde ich nicht – ich erschaffe sie mir. Ich kann gleichzeitig ein Buch schreiben, einen Song mixen, ätherische Öle anrühren und mit Kindern auf dem Boden spielen. Es sind einfach verschiedene Orchestrierungen einer Symphonie. Diesen Herbst veröffentliche ich sieben Bücher. An einigen davon habe ich 15 Jahre lang geschrieben – zum Beispiel an der Trilogie „Erdgötter“, die 2008 erstmals als Drehbuch erschienen war. Oder die Trilogie populärwissenschaftlicher Monographien „Legendaries“ ist eine Studie über drei verschiedene Themen: das Schreiben, das Radio und die Parfümerie.

Auch meine Community aus Schriftstellern „Schreibende“ gibt mir viel Energie. Die Kommunikation mit anderen kreativen Menschen gibt mir Kraft und motiviert mich bis zum nächsten Start. Oder ein Interview aus meinem Sonderprojekt „Persona Grata“ auf Aloha.fm – das ist mein ganzer Antrieb. Und auch meine Familie – meine vier Kinder.

Gibt es einen Traum, den Sie in den nächsten Jahren verwirklichen möchten?

Ich möchte eine internationale Parfümschule in Kasachstan eröffnen, Kasachstan neben anderen Nischenmarken auf Parfümausstellungen weltweit vertreten und meine Romane auf die Leinwand bringen. Bücher und Zeitschriften veröffentlichen. Eine gute Mutter und Ehefrau sein und alles schaffen. Und wenn wir über große Dinge sprechen – ein alter Traum, alle meine Projekte zu bündeln: einen Verlag, eine Radioschule mit Label, eine Boutique für Parfüms und Cosmeceuticals in einer Kunststadt – einem Ort, an dem auch andere ihre Träume verwirklichen können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Nurgul Adambajewa.

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