Im Vorgebirge des Tienschan entdeckten kasachische Archäologen 1970 ein unberührtes Grab, das die Welt faszinierte: den „Goldenen Menschen“. Rund 4.000 goldene Plättchen schmückten die Kleidung eines jungen Herrschers – ein einmaliger Fund aus der Zeit der Skythen. Die Rekonstruktion seines prächtigen Gewands offenbart das meisterhafte Können der alten Goldschmiede und gewährt einen einzigartigen Blick in die Welt vergangener Königreiche.

Im Vorgebirge des Tienschan, in der malerischen Region Zhetysu – Жетісу (Semeretschje oder Siebenstromland) – machten kasachische Archäologen 1970 eine spektakuläre Entdeckung, als sie das unberührte Grab eines jungen Herrschers fanden. Der kasachische „Tutanchamun“ wurde weltweit als „Der Goldene Mensch“ bekannt. Der Fundort – die Nekropole von Issyk – war bereits vor über zweitausend Jahren eine Begräbnisstätte für Könige und hochrangige Persönlichkeiten.

Die alten Stämme, die auf dem Gebiet des heutigen Kasachstan lebten, wurden von den Persern „Saken“ genannt, von griechischen Historikern und Reisenden als „Skythen“. Sie bestatteten ihre Könige nicht einfach in Gruben, sondern in kunstvoll gebauten Grabkammern aus Baumstämmen. Neben dem prunkvoll geschmückten Leichnam legte man Gegenstände des täglichen Lebens – Waffen, Gefäße, Trinkschalen – oft aus Gold, Silber oder Bronze. Nach der Bestattung verschloss man die Kammer und errichtete darüber einen Erdhügel, einen sogenannten Kurgan.

Über besonders reichen Bestattungen wurden hohe Hügel errichtet, die freilich auch Grabräuber anzogen. Schon wenige Jahrzehnte nach der Beisetzung durchsuchten sie die Kammern, raubten die darin aufbewahrten Schätze und hinterließen oft nur verstreute Knochen und zerbrochene Keramik. Viele Kurgane wurden über Jahrhunderte hinweg mehrfach geplündert. Archäologen fanden in den meisten königlichen Gräbern nur wenige Objekte – und diese oft stark beschädigt.

Das unberührte Grab des Goldenen Menschen

Das Grab des „Goldenen Menschen“ jedoch blieb unversehrt. Es gehörte einem Jugendlichen im Alter von 16 bis 18 Jahren. Die Kleidung selbst war vergangen, doch die goldenen Applikationen – kleine Plättchen auf Gewand, Schuhen und Kopfbedeckung – hatten die Zeit überdauert. Rund 4.000 Goldbleche wurden gezählt. Zunächst nannte man den Fund „Mensch im goldenen Gewand“, später einfach „Der Goldene Mensch“.

Da das Grab unplündert geblieben war, befanden sich alle Objekte noch an ihrem ursprünglichen Platz. Die Knochen waren unversehrt, die Goldverzierungen lagen exakt dort, wo sie auf der Kleidung befestigt gewesen waren. Dank dieser Umstände konnten Wissenschaftler das Kostüm des Herrschers so rekonstruieren, wie es heute in kasachischen Museen zu sehen ist.

Unmittelbar nach der Entdeckung entstand die Idee, das Kostüm für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Um die Originale zu schützen, fertigten Wissenschaftler galvanoplastische Kopien der Schmuckstücke an und nähten sie auf maßgefertigte Kaftane, Kopfbedeckungen und Schuhe. Die Figur des jugendlichen Herrschers wurde dabei originalgetreu nachgebildet. Die Herstellung dauerte drei Jahre, und 1973 konnte die Rekonstruktion auf zahlreichen Ausstellungen – auch im Ausland – gezeigt werden. Bis heute wurde das Kostüm bereits dreimal restauriert und neu aufgebaut.

Meisterwerke der Goldverarbeitung

Die Goldschmiede, die das Schmuckensemble des jungen Herrschers fertigten, waren hochqualifizierte Künstler. Muster und Tierfiguren schnitzten sie zunächst aus Holz oder gossen sie aus Bronze, dann überzogen sie diese mit Blattgold. Einige Plättchen, darunter eine Figur eines Bergschafes (Archar) auf der Kopfbedeckung, bestanden aus massivem Gold. Die Handwerker arbeiteten auch mit Eisen, Silber und Bronze und nutzten Techniken wie Skulpturguss, Reliefprägung, Treibarbeit und Gravur.

Die Entdeckung des „Menschen im goldenen Gewand“ war ein international bedeutendes Ereignis. Vergleichbare Bestattungen waren fast alle geplündert – ein unversehrtes Grab dieser Art ist eine Rarität. Neben Schmuck fanden die Archäologen Keramikschalen, hölzerne Gefäße, Schöpfkellen aus Birkenholz geschnitzt, einen silbernen Löffel und Metallgefäße. Besonders bemerkenswert ist eine kleine silberne Schale, auf deren Boden eine Inschrift mit zwei Zeilen und 26 Zeichen eingeritzt ist. Bis heute wurde sie nicht eindeutig entziffert.

Alte Ausgrabungen bringen immer wieder neue Erkenntnisse ans Licht. Mit viel Zeit und Mühe, unterstützt von modernen Technologien, arbeiten Wissenschaftler daran, weitere Details der Vergangenheit zu enthüllen. Obwohl schon viel über die Skythen und Saken geschrieben wurde, bleibt die Geschichte unerschöpflich – jede neue Entdeckung ergänzt unser Bild von jener vergangenen Welt.

Vergangenheit bewahren, Gegenwart gestalten

Es ist wichtig, nicht nur die Vergangenheit zu erforschen, sondern auch die Gegenwart zu bewahren. Sie wird für kommende Generationen Zeugnis darüber sein, wer wir waren, welche Werte wir teilten und was wir hinterlassen haben. Eines Tages werden auch wir selbst „archäologische Fundstätten“ sein. Es ist entscheidend, dass unsere Nachkommen die Hinterlassenschaft verstehen, denn unser Erbe wird ihnen helfen, ihre eigene Identität und Geschichte zu formen.

Vielleicht wird das dauerhafteste Denkmal, das wir hinterlassen, nicht aus Stein oder Handschriften bestehen, sondern aus Städten, Tempeln, Büchern und kulturellen Schätzen – allem, was ein lebendiges Zeugnis für kommende Generationen bewahrt.

Rukhsara Seitova

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