In Zeiten globaler Krisen, gesellschaftlicher Umbrüche und wachsender Mobilität steht die Frage nach Zugehörigkeit und Identität wieder im Mittelpunkt politischer Diskussionen. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und selbst Siebenbürger Sachse und Spätaussiedler aus Rumänien, kennt das Thema nicht nur aus beruflicher Perspektive, sondern auch aus eigener Erfahrung. Seine Arbeit ist von der Überzeugung getragen, dass Heimat kein geografischer Punkt, sondern ein Gefühl der Akzeptanz ist.
Herr Dr. Fabritius, wie hat sich die Aussiedlerpolitik in den letzten Jahren verändert – insbesondere unter der neuen Bundesregierung?
Jede Amtsführung wird geprägt durch besondere Konstellationen, die bewältigt, aber nicht alle gelöst werden können. Ich nenne hier die Corona-Pandemie oder auch den Ukrainekrieg. Es kommt deshalb nach meiner festen Überzeugung vor allem darauf an, die langfristigen Linien, die allen Beauftragten der Bundesregierung wichtig waren, fortzuführen: Hierzu gehört insbesondere die Fokussierung auf die Jugend- und Spracharbeit.

Ein Unterschied ist allerdings, dass im Gegensatz zur sogenannten Ampelkoalition, welche die deutschen Minderheiten in ihrem Koalitionsvertrag nicht ausdrücklich erwähnten, für die aktuelle Bundesregierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz eines klar ist: die deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten sind und bleiben wichtig!
Mit der neuen Bundesregierung wurde das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten gestärkt und die Zuständigkeiten im Bundesministerium des Innern gebündelt. Mit dem Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 6. Mai 2025 wurden dem Bundesministerium des Innern weitere Aufgaben übertragen: die Zuständigkeit für die Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa einschließlich der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sowie die Kulturförderung autochthoner Minderheiten (bis dahin bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien) und aus dem Auswärtigen Amt die Zuständigkeit für Kultur-, Gesellschafts- und Medienbeziehungen in Bezug auf deutsche Minderheiten im Ausland. Damit werden nun die wesentlichen Zuständigkeiten in der Aussiedler- und Minderheitenpolitik im Bundesinnenministerium gebündelt und das Aufgabengebiet des Beauftragten erweitert. Davon werden am Ende alle deutschen Minderheiten profitieren.
Wie sehen Sie heute die Lage der deutschen Minderheit in Kasachstan?

Die deutsche Minderheit in Kasachstan ist die zweitgrößte deutsche Minderheit in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und in Mittel- und Osteuropa und damit eine bedeutende und prägende Gruppe, besonders in Zentralasien. In den letzten Jahren hat sich die Arbeit des Dachverbandes professionalisiert. Die deutsche Minderheit ist auch in der Mehrheitsgesellschaft verankert, sichtbar und vertreten. So ist bspw. der derzeitige Aufsichtsratsvorsitzende Herr Yevgeniy Bolgert Mitglied des Senats des Parlaments der Kasachischen Republik und der ehemalige Vorsitzende Herr Albert Rau stellvertretender Vorsitzender des Majilis des Parlaments der Republik Kasachstans. Mit Ihrer Stimme und dieser Sichtbarkeit können Sie die Anliegen der deutschen Minderheit in Kasachstan mit besonderem Gewicht voranbringen, aber auch das Bewusstsein der Gemeschaft über ihre Identität stärken.
Was erwarten Sie von der kommenden Sitzung der Regierungskommission zwischen Deutschland und Kasachstan?
Vor allem erwarte ich – wie auch bei den vergangenen Regierungskommissionsitzungen – eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich möchte gemeinsam mit den Vertretern der Republik Kasachstan Lösungen für konkrete Anliegen der Kasachstandeutschen erarbeiten. Gleichzeitig stärken wir mit der Regierungskommission die sehr guten und von Vertrauen geprägten bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kasachstan, die in den vergangenen Jahren wegen der globalen Veränderungen noch mehr an Bedeutung gewonnen haben.
Im November dieses Jahres fand in Kasachstan ein bedeutendes Forum der Dachorganisation „Wiedergeburt“ statt, bei dem unter anderem die Wahl eines neuen Vorsitzenden für die kommenden vier Jahre erfolgte. Wie haben Sie die Rolle solcher Selbstorganisationen im Rahmen der deutschen Minderheitenpolitik beurteilt – und welche Erwartungen hatten Sie an diesen Erneuerungsprozess in Kasachstan?
Die Vertretung der Interessen der deutschen Minderheit braucht die Strukturen einer starken Selbstorganisation. Neben der Bündelung der Interessen Einzelner spielt die Selbstorganisation darüber hinaus eine wichtige Rolle für das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identität. Die Nationale Konferenz der Delegierten der Deutschen Kasachstans ist ein wichtiges Gremium, weil sie mit einer demokratischen Wahl ihre Vertreter für die nächste Amtszeit bestimmt sowie über die Ziele und Themen der nächsten Periode unter Berücksichtigung aktueller Interessen berät.

























