Die Hanns-Seidel-Stiftung feiert dieses Jahr den zehnten Jahrestag ihrer Präsenz in Zentralasien, wo sie mit verschiedenen Partnern im Verwaltungssektor und in der Zivilgesellschaft zusammenarbeitet. Dieses Jubiläum war Anlass des zweiten Besuchs von Klaus Fiesinger, der das Referat für Mittel-, Ost- und Südosteuropa, Kaukasus und Zentralasien am Institut für Internationale Zusammenarbeit der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) leitet.

Kirgisistan zählt unter den GUS-Ländern zu den ersten, das die parlamentarische Regierungsform als seine Staatsform gewählt hat. Als Vertreter einer Stiftung, die als einen ihrer Schwerpunkte die Stärkung des Parlamentarismus vorsieht, wie beurteile Sie diesen Schritt und den ganzen damit entstehenden Prozess in dem zentralasiatischen Land?

Kirgisistan hat im Bereich der parlamentarischen Demokratie Vorbildcharakter für die gesamte Region, besonders seit dem Jahre 2010. Darüber hat sich die Stiftung natürlich sehr gefreut. Parlamentarismus und Demokratie hängen unmittelbar zusammen, weil sie beide die Herrschaft des Volkes symbolisieren. Was als das Beste an einer parlamentarischen Demokratie gilt, ist, dass die Verantwortung für den Staat auf vielen Schultern lastet.

Sowohl die Mentalität als auch die Traditionen der europäischen Völker unterscheiden sich von denen der asiatischen Völker. Aus dieser Sicht gibt es heutzutage in der kirgisischen Gesellschaft viele Diskussionen, ob der Parlamentarismus im Lande überhaupt zu einer weiteren Entwicklung führen kann. Was halten Sie von dieser Aussage?

Ich denke, dass ein Regierungssystem, das einen starken politischen Führer hat, der sein Volk überzeugt, und eine parlamentarische Demokratie sich nicht gegenseitig ausschließen. Beides zusammen ist möglich. Das kommt auf die Regierungsform an. Dies kann ein Präsident, aber auch ein Ministerpräsident sein. Worauf es mir ankommt ist, dass es sich dabei um eine Persönlichkeit handelt, die von ihren politischen Zielen überzeugt ist und deswegen von der Bevölkerung gewählt wird. Er sollte von Werten überzeugt und nicht nur kraft seines Amts tätig sein. Ich sehe das Ganze weniger funktional, mehr personell. Es kommt nicht darauf an, ob es ein Präsidialsystem ist, wie zum Beispiel in Frankreich, oder ein politisches System wie in der Bundesrepublik Deutschland mit einem starken Parlament und einer starken Kanzlerin. Diese wurde gerade wegen ihrer starken Persönlichkeit schon mehrmals gewählt.

Welche Teile der erfolgreichen Erfahrung des parlamentarischen Regierungssystems in Europa sollten wir nach Ihrer Meinung ausnutzen, damit auch wir schnell zu positiven Ergebnissen kommen?

Der jetzt notwendige Weg sind Reformen: Und zwar auf dem Gebiet der staatlichem Verwaltung und im Bereich der eigentlichen Politik. Natürlich sehe ich Gefahren auf diesem Weg, das ist ganz klar. Ich sehe die Gefahr von vergrößertem Protestpotential, aber damit muss eine lebendige Demokratie leben. Diese Situation müssen Regierungen mit Überzeugungsarbeit überstehen. Auch in Osteuropa mussten die dortigen Demokratien sich mit solchen Gefahren auseinandersetzen, weil sich oftmals eben auch hier der Lebensstandard und der Wohlstand nicht so entwickelt hatten, wie die Bevölkerung es sich zu Beginn erhofft hatte. Die deutschen politischen Stiftungen wie die Hanns-Seidel-Stiftung oder auch die Friedrich-Ebert-Stiftung sind dazu da, um Entwicklungs- und Reformhilfe zu leisten, sowohl in Richtung Parlamentarismus als auch im Rahmen der staatlichen Verwaltungsstrukturen. Ich glaube, dass Kirgisistan mit den verschiedenen politischen Parteien, die im Lande aktiv sind, bereit und in der Lage ist, die parlamentarische Demokratie zu etablieren – auch dann, wenn es immer wieder zu Regierungswechseln kommt. Dies gehört einfach dazu. Aber die Orientierung des Parlamentarismus als Herrschaft des Volkes muss gewahrt bleiben.

Was hat die Hanns-Seidel-Stiftung in der nahen Zukunft für Pläne für die Region Zentralasien?

Die Stiftung führt in Zentralasien gemeinsam mit Partnern vor Ort Aus- und Fortbildung von jungen Führungskräften aus dem Bereich der kommunalen Verwaltung, der lokalen und zentralen öffentlichen Verwaltung, von Nichtregierungsorganisationen und aus dem parlamentarischen Bereich durch. Diese Arbeit wird auch in Zukunft fortgesetzt werden. Dabei möchten wir unseren Einsatz im Bereich der Zivilgesellschaft weiter stärken. Wir glauben, dass nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Kirgisistan verstärkt werden sollten, sondern auch die Beziehungen zwischen der Politik und der Verwaltung. Dabei tritt Deutschland nicht als Lehrer, sondern als Partner auf.

Das Interview führte Abdurschid Schorajew, Seminarassistent der Zentralasienvertretung der Hanns-Seidel-Stiftung.

Von der Hanns-Seidel-Stiftung

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