Dieser Tage beendet Claus Storm seinen achtjährigen Einsatz in Kasachstan als Fachberater für Deutsch als Fremdsprache und Koordinator des Lehrerentsendeprogramms der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA). DAZ-Redakteurin Cornelia Riedel nutzte die Gelegenheit und bat den geborenen Brandenburger um ein Resümee und eine Einschätzung des Sprachenunterrichts in Kasachstan.

Herr Storm, acht Jahre in Kasachstan liegen hinter Ihnen. Was waren Ihre Aufgaben, und was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Erfolge Ihrer Arbeit in Kasachstan?

Ich war verantwortlich für die konzeptionelle und praktische Umsetzung des Deutsch-Kasachischen Lehrerentsendeabkommens und für das Sprachdiplomprogramm der deutschen Kultusministerkonferenz. Dazu gehören zum Beispiel die umfassende Beratung der Schulen, Unterricht, die methodische Fortbildung der Lehrkräfte und nicht zuletzt auch die ordnungsgemäße Durchführung der Sprachdiplomprüfungen. In den letzten Jahren haben wir unsere Erfolge verdoppelt. Waren es im Schuljahr 1999/2000 noch drei Sprachdiplomschulen mit anfangs 49 Diplomanden, so haben wir im Schuljahr 2006/07 an insgesamt sechs Schulen schon 114 Sprachdiplome überreichen können. Immer mehr Deutschlehrerinnen arbeiten mit uns zusammen, wir beziehen die Leitung der Schulen stärker ein und die Qualitätsnormen haben sich verbessert. Besonders schätze ich hier den Arbeitseinsatz und die Bereitschaft der Kollegen, sich weiterzubilden. Und trotz vieler Schwierigkeiten behalten sie dabei auch ihren Witz und Humor.

Welche Rolle spielt die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und die von ihr vermittelten Lehrer in Kasachstan?

Wir kommen als Partner, nicht als Dienstleister nach Kasachstan. Unser Ziel ist es, die hiesigen Schulen in die Lage zu versetzen, Sprachdiplomprüfungen durchzuführen. Nur pädagogisch qualifiziertes Personal mit abgeschlossenem Lehrerstudium kommt für die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen als Deutschlehrer im Ausland in Frage, dazu werden Erfahrungen im Unterrichten einer Fremdsprache erwartet. 1997 schlossen Deutschland und Kasachstan ein Lehrerentsendeabkommen ab, in dem festgelegt wurde, dass aus Deutschland Sprachpädagogen geschickt werden. Wir von der ZfA achten besonders auf Qualität und wollen den Deutschunterricht auf ein Niveau bringen, das den Inhabern des Sprachdiploms erlaubt, ohne Studienkolleg und Sprachprüfung in Deutschland ein Studium aufzunehmen. Außerdem beherrschen die Schulabgänger mit Sprachdiplom so gut Deutsch, dass sie anschließend nicht mehr Deutsch studieren müssen. Sie sollten dann idealerweise Englisch als Fremdsprache belegen und sich ganz auf ihr wissenschaftliches Studium konzentrieren und sich damit hervorragend für das spätere Berufsleben qualifizieren.

Was sind die eher unangenehmen Erfahrungen, die sie im kasachischen Bildungswesen gesammelt haben?

Natürlich gibt es auch Rückschläge: So muss man vieles mehrfach erklären, und im nächsten Jahr dann das Ganze noch einmal. Außerdem ist bei aller bürokratischen Reglementierung an den Schulen oft mit überraschender Umorganisierung oder mit Stundenausfällen zu rechnen. Vor allem aber verlassen viele gute junge Lehrerinnen die Schulen, weil sie in der Wirtschaft dreimal so viel für weniger Arbeit verdienen können. Lehrer bekommen in Kasachstan für sehr viel Arbeit sehr wenig Geld, eine Kollegin erhält im Schnitt vielleicht 250 Dollar im Monat, als Büroleiterin in einem Wirtschaftsunternehmen könnte sie 400 bis 500 Euro pro Monat verdienen. Dazu wird der Deutschunterricht an den Schulen in Kasachstan weniger: Anfang der 90er Jahre haben noch 50 Prozent der Schüler Kasachstans Deutsch gelernt, jetzt sind es wohl etwa 200.000, also nur noch zehn Prozent. Die Mehrheit lernt Englisch. Wegen dieses Trends hatten wir früher mit vielen arbeitslosen Deutschlehrerinnen gerechnet, doch es gibt heute keine jungen, gut und modern ausgebildeten Deutschlehrerinnen, der gute Nachwuchs fehlt also. Was ich sehr bedaure, ist, dass es von Seiten der oberen Bildungsbehörden wenig Neugier und wenig Interesse am Deutschunterricht gibt. Man lässt uns gewähren, aber was genau in unserem Unterricht passiert und was wir den jungen Leuten vermitteln wollen, das interessiert im Bildungsministerium leider eigentlich niemanden, obwohl man weiß, das eine Fremdsprache für das Arbeitsleben heute oft nicht mehr ausreicht. Ich hoffe sehr, dass mein Nachfolger in dieser Richtung etwas tun kann. Deutsch wird in Kasachstan zurzeit nicht als wichtige Fremdsprache wahrgenommen, sondern mit Scheuklappen behandelt. Die Behörden sehen nicht, dass Fremdsprachen auf hohem Niveau gefragt sind und „ein bisschen Fremdsprache“ nur für den Touristen, nicht aber für die Karriere reicht. Im Bildungsbereich wechseln zudem die Minister und die Beschäftigten oft, so dass es schwierig ist, nachhaltige Beziehungen aufzubauen. Außerdem steht im Moment die Ausbildung auf den Dörfern, die Berufsbildung und die Reform der Universitäten im Mittelpunkt der Bemühungen des Bildungsministeriums; die allgemeinbildenden Schulen spielen fast keine Rolle.

Was macht aus Ihrer Sicht eine gut und modern ausgebildete Deutschlehrerin aus?

Solch eine Deutschlehrerin muss primär in der Lage sein, die modernen lernpsychologischen Erkenntnisse in die Praxis des Fremdsprachenunterrichts umzusetzen. Das heißt vor allem: Der Unterricht muss in erster Linie lernerzentriert sein, muss Lernmotivation erzeugen, kommunikativ sein, also den Schüler umfassend und nachhaltig zu Lernaktivitäten motivieren können. Der Lehrer muss gleichzeitig den Lernprozess steuern und sich im Unterrichtsgeschehen zurücknehmen können. Ich erkläre es den Lehrkräften oft so: Ein guter Deutschlehrer wird nicht dafür bezahlt, dass er im Unterricht ununterbrochen aktiv arbeitet, sondern dass er die Schüler zum aktiven Arbeiten hinführt! Ein guter Lehrer kann mehr schweigen, ist weniger Dompteur oder Kontrolleur, sondern Mentor des Lernprozesses. Er behält die Verantwortung über den Lernprozess, er nimmt den Schülern aber nicht das aktive Lernen aus der Hand.

Wie schätzen Sie als Experte für den Sprachunterricht und als Fachberater für Deutsch als Fremdsprache die Sprachenpolitik Kasachstans ein?

In meiner Arbeit habe ich bemerkt, dass es administrativ gefordert ist, dass Führungskräfte an Schulen Kasachisch können müssen, auch wenn sie seit Generationen Russisch sprechen und ihnen diese Sprache eigentlich fremd ist. Außerdem wird die kasachische Kultur im Schulunterricht oft als die einzig wahre präsentiert, und man erkennt nicht, dass das Kasachische nur ein Teil von vielem hier ist. Ich habe Abteilungsleiterinnen und Direktorinnen erlebt, die ihren Job aufgegeben haben, weil sie Angst vor einem Kasachisch-Test hatten. Dabei verstehe ich durchaus, dass Kasachstan seine Sprache stärker entwickeln will. Es wird behauptet, dass die gewünschte kasachische Sprache für die Kasachen gleichzeitig Muttersprache sei. Doch selbst ethnische Kasachen beherrschen diese Sprache oft nur unzureichend. Das Bildungsministerium und die Akimate müssen also akzeptieren, dass Kasachisch für einen Großteil der Bürger immer noch faktisch eine Fremdsprache ist und dass Kasachisch also modern und kommunikativ wie eine Fremdsprache unterrichtet werden sollte. Doch die Sprache wird stattdessen fast überall noch methodisch katastrophal vermittelt, meistens durch Auswendiglernen und Vorlesen. Stattdessen sollten z.B. moderne Alltagstexte in kasachischer Sprache aus Zeitungen und dem Rundfunk stärker verwendet werden. Das Resultat der jetzigen Kasachisch-Unterrichtsmethodik ist überhaupt nicht effektiv: Zwar erhält ein Schüler in seiner Schulzeit rund 1.000 Stunden Kasachischunterricht, doch die Schüler sind nach dem Abschluss oft nicht in der Lage, auf einfache Fragen zu antworten. In solchen Fällen kann man dann nur zu dem Urteil kommen: Das sind 1.000 vergeudete Stunden im Leben des Schülers – und sogar mit stark kontraproduktiver Wirkung: Denn in solch einem Fall wird Kasachisch überhaupt nicht geliebt, weil es aus der schulischen Erfahrung mit so viel Enttäuschung, Langeweile, Passivität, Angst usw. assoziiert wird.

Worin sehen Sie als Sprachenexperte eine Lösung für dieses Problem?

Ich glaube, man müsste ganz neu anfangen, nämlich: Kasachisch-Lehrer als Fremdsprachenlehrer auszubilden. Doch man scheut davor zurück, da es politisch nicht opportun scheint, denn Kasachisch soll eben keine Fremdsprache sein. Doch das ist aus meiner Sicht eine Lebenslüge. Wenn es das wirkliche Ziel ist, dass möglichst viel Menschen in Kasachstan gut Kasachisch sprechen, dann müssen für dieses Ziel Lehrer ausgebildet werden: nämlich als moderne Fremdsprachenlehrer. Die Kasachischlehrer sollten sich vom zeitgemäßen deutschen und englischen Fremdsprachenunterricht Anregungen holen, wie man kommunikativ, handlungsorientiert und lernerzentriert eine Fremdsprache unterrichtet. Genau daran mangelt es im Kasachischunterricht, und es werden die gleichen Fehler wie beim damaligen Russischunterricht in der DDR gemacht. Kasachisch ist, nach meiner Beobachtung, bei den Schülern immer noch eines der am meisten gehassten Fächer mit der geringsten Unterrichtsproduktivität: 90 bis 95 Prozent werden oft von der Lehrerin bestritten, und die Schüler schweigen, hören zu, lernen auswendig, wiederholen. Wir haben schon oft Kasachischlehrern die Teilnahme an methodischen Seminaren zum modernen Fremdsprachenunterricht angeboten, doch sie kommen nicht! Sie meinen, sie hätten es nicht nötig, denn hinter ihnen stünde der politische Wille und der faktische Zwang, z.B. bei der Hochschulzulassungsprüfung, wo ja Kasachisch ein Pflichtprüfungsteil ist.

Sehen Sie hinter diesen Prozessen größere Gefahren, etwa für andere Minderheiten?

Nein, Kasachstan ist in jeder Hinsicht, auch was das friedliche Miteinander der Volksgruppen betrifft, eine stabile Gemeinschaft; aus meiner Sicht wird es so bleiben, dass hier jeder, der gut qualifiziert ist und bereit ist, sich weiter zu qualifizieren, einen Job findet und dass Spannungen zwischen den Ethnien nicht zu befürchten sind. Kasachstan und die Kasachen haben große Erfahrungen im Zusammenleben mit starken Minderheiten wie den Russen oder auch den Deutschen. Die Kasachen selbst waren oft in der Minderheit; aus diesen gemeinsamen, mitunter leidvollen Erfahrungen heraus wird sich auch die Zukunft gestalten, das sitzt in den Köpfen und in den Herzen fest, und das ist gut so. Ich habe hier nie glühenden, ausschließenden, herabwürdigenden Nationalismus erlebt. Sorgen mache ich mir in dieser Hinsicht deshalb keine.

29/06/07

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