Konstantin Ehrlich – zum 75. Geburtstag des Literaturhistorikers, Publizisten und Herausgebers

Als Geschichts-, Sprach- und Literaturwissenschaftler, Publizist, Prosaiker und Lyriker, Übersetzer, Herausgeber und Verleger hat Dr. Konstantin Ehrlich einen bemerkenswerten Beitrag zur Kulturgeschichte der Russlanddeutschen geleistet. Schon in den 1970er, dann aber auch in den 1980er und 1990er Jahren, gehörte er zu den überzeugten Autonomieverfechtern und leidenschaftlichen Befürwortern der Gleichberechtigung der Russlanddeutschen. Am 24. März 2023 feiert er seinen 75. Geburtstag. VadW gratuliert ganz herzlich und wünscht Konstantin Ehrlich weiterhin viel Schaffenskraft bei bester Gesundheit.

Seit den 1970er Jahren verfasste Konstantin Ehrlich lyrische und epische Gedichte und Poeme, Skizzen und Erzählungen, Vorworte zu Dichtung und Prosa russlanddeutscher Autoren sowie literaturkritische, geschichtliche und publizistische Beiträge, die in Periodika, Literaturalmanachen, Sammelbänden und einigen Einzelbänden erschienen sind. Er ist Mitglied des Schriftstellerverbandes Russlands (seit 1988) und Verdienter Kulturschaffender der Republik Kasachstan (seit 1997). 2008 wurde er vom Schriftstellerverband Russlands mit der Goldenen Jessenin-Medaille ausgezeichnet, der Journalistenverband der Republik Kasachstan verlieh ihm den Titel „Ehrenjournalist Kasachstans“.

Gedankenaustausch auf engem Raum

Konstantin Ehrlich wurde 1948 im sibirischen Dorf Schelannoje (Gebiet Omsk) geboren, in der Familie deportierter Wolgadeutscher. Schon ganz früh zeigte er Interesse für die deutsche Sprache und die Geschichte der Russlanddeutschen. Seine Mutter arbeitete ab dem Schuljahr 1947/48 wieder als Lehrerin in der Mittelschule des Verbannungsortes.

„In unserer engen, aus zwei Räumen – dem Schlafzimmer und der Küche, wo die dürftigen Mahlzeiten abgehalten wurden und auch sonst der gesamte Existenzprozess der Familie ablief – bestehenden Kate, versammelten sich nicht selten, gewöhnlich samstags, russlanddeutsche Landsleute, um Neuigkeiten und Gedanken zu verschiedensten Lebens- bzw. Überlebensfragen in der Verbannung auszutauschen. Während dieser Zusammenkünfte las meine Mutter den Versammelten wissenswerte Informationen aus so mancher Zeitung vor, während der Vater die für ein deutsches Ohr schwierigen Stellen aus dem Inhalt ‚synchron‘, wie wir heute sagen würden, verdeutschte. Es entfalteten sich rege Diskussionen“, erinnert sich Ehrlich.

Seine ersten Schreiberfahrungen sammelte er bereits als Schüler bei der Vorbereitung der Schulwandzeitung „Freundschaft“, später in der Lokalpresse nach dem Abitur engagierte und erhielt während des obligatorischen Wehrdienstes eine Militärkorrespondenten-Ausbildung. Seine Schreibversuche konnte er in der anschließenden Studienzeit fortsetzen – wiederum beim Entstehen der Fakultätswandzeitung. Auch die ersten deutschsprachigen, lyrischen Veröffentlichungen in der Moskauer Zeitung „Neues Leben“ fielen in die Studentenzeit.

Redaktionserfahrungen während des Studiums

1970-1975 studierte Ehrlich an der Fremdsprachenfakultät der Pädagogischen Hochschule Omsk Deutsche Sprache und Literatur sowie Englisch und Mundartenforschung bei Prof. Dr. Hugo Jedig und Dr. Viktor Heinz, unter dessen Leitung sich der junge Ehrlich bei Mundartforschungsexpeditionen nach Nordkasachstan beteiligte. 1990 promovierte Ehrlich zum Doktor der Philosophie an der Karl-Marx-Hochschule Berlin zum Thema „Schicksalsweg der Russlanddeutschen im Spiegel der deutsch-russischen Beziehungen“.

Bereits im fünften Studienjahr (1974) wurde er als Redakteur der deutschsprachigen Sendungen im Gebietsrundfunk Omsk aufgenommen und 1977 wechselte für ein Jahr in die deutsche Redaktion des Kasachstaner Republiksenders in Alma-Ata.

Zu dieser Zeit sagt er: „Als einem russlanddeutschen Berichterstatter wurde mir, sei es beim Rundfunk Omsk oder beim Republiksender Kasachstans, eine Kunst abverlangt, die natürlichen patriotischen Gefühle meiner Landsleute – und sie waren ja die Hauptfiguren in meinen journalistisch-publizistischen Beiträgen –, ihre Liebe zur verlorenen Heimat in zensurgerechte sprachliche Hüllen bzw. Schemen zu kleiden, damit der wahre Inhalt wenigstens in relativer Hinsicht daran nicht zu leiden brauchte.“

Auch im deutschsprachigen Ausland bekannt

In den nächsten zehn Jahren (1978-1988) leitete Ehrlich das deutsche Lektorat im Verlag „Kasachstan“, in dem Dutzende Bücher russlanddeutscher Autoren herausgebracht wurden. Die deutsche Verlagsredaktion wurde 1966, ebenso wie die Tageszeitung „Freundschaft“ in Zelinograd und die gleichnamige Konzertgruppe in Karaganda, im Zuge der „Steigerung der politisch-kulturellen Arbeit unter der sowjetdeutschen Bevölkerung…“ laut dem Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 29.8.1964 über die teilweise Rehabilitierung der Russlanddeutschen gegründet. „Nicht zuletzt infolge der kühnen Aktivitäten zweier Delegationen von Russlanddeutschen, die nach Moskau reisten und im Kreml die Wiederherstellung der Republik der Wolgadeutschen verlangten“, sagt Ehrlich.

Zahlreiche deutschsprachige Publikationen des Verlags „Kasachstan“ wurden nicht nur in der UdSSR, sondern auch im interessierten deutschsprachigen Ausland bekannt und durchaus positiv bewertet. Hervorzuheben sind insbesondere die dreibändige „Anthologie der sowjetdeutschen Literatur“, die von Ehrlich 1981-1982 herausgegeben wurde, die Lesebuch-Reihe mit Victor Klein, Herbert Henke, Rudolf Jacquemien, Dominik Hollmann, Friedrich Bolger und Alexander Reimgen oder die Kinderliteratur, die einen festen Platz nicht nur auf dem inländischen Büchermarkt, sondern auch von Handelsfirmen Österreichs, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland eingekauft wurde. Die ersten Buchveröffentlichungen der angehenden russlanddeutschen Autoren Viktor Heinz, Elsa Ulmer, Wendelin Mangold und Hugo Wormsbecher wurden ebenso im Verlag „Kasachstan“ veröffentlicht.

Lehrgänge in Berlin und Moskau

Auch Ehrlichs eigene Publikationen zur russlanddeutschen Kulturgeschichte, für die er intensiv forschte, fielen in diese Zeitperiode. Sie erreichten eine breite positive Resonanz und waren unter den damaligen Verhältnissen bahnbrechend in der russlanddeutschen Literaturgeschichte, darunter „Lose Blätter. Aufsätze, Skizzen, Erzählungen“ (1982), „Literatur der Sowjetdeutschen“ (1982) und „Panorama der sowjetdeutschen Literatur. Literaturgeschichtlicher Überblick“ (1983), in denen er verschiedene Aspekte der Geschichte der „Sowjetdeutschen“, die damalige Bezeichnung, durchleuchtete.

Seine populär-wissenschaftliche Monografie „Lebendiges Erbe. Aufzeichnungen zur Siedlungsgeographie und Kulturgeschichte der Deutschen in Russland und in der Sowjetunion“ (Alma-Ata, 1988) war das erste umfassende Nachkriegswerk zur Kultur- und Literaturgeschichte der Russlanddeutschen. Dafür erhielt Ehrlich 1990 den 1. Preis im Landeswettbewerb für die beste Edition im Bereich Politologie.

Auf dem Spielplan des Deutschen Schauspieltheaters Temirtau stand in den 1980er Jahren das Solotheaterstück nach der Erzählung von Konstantin Ehrlich „Nachklänge jener Jahre oder Der Beginn einer Biografie“ (inszeniert von Erich Schmidt, gelesen von Peter Warkentin).

1985 und 1988 absolvierte Ehrlich Weiterbildungslehrgänge für Redakteure in Moskau und Berlin. Und im Frühjahr 1988 wurde er, unter anderem auf Wunsch mehrerer Redaktionsmitglieder, neuer Chefredakteur der deutschsprachigen Tageszeitung „Freundschaft“ mit Sitz in Zelinograd (später in Almaty).

Sprachrohr der russlanddeutschen Befreiungsbewegung

In den nächsten Jahren bis 1999 war es ihm gelungen, das Profil der Zeitung – in einem historischen Zeitabschnitt auch für die Russlanddeutschen – entscheidend zu verändern, eine engere Tuchfühlung mit den Lesern herzustellen und brennende Themen aufzugreifen. Dem Chefredakteur gelang es, die Zeitung – zumindest für einige Jahre – von der totalen Parteikontrolle abzukoppeln.

Die „Freundschaft“ (gegründet 1966, ab 1991 „Deutsche Allgemeine Zeitung“ mit dem Untertitel „Zeitung der Russlanddeutschen“) entwickelte sich zunehmend zum Sprachrohr der russlanddeutschen Befreiungsbewegung in der Sowjetunion. Der Drang nach Veränderungen erfasste inzwischen weite Kreise der Bevölkerung. „Freundschaft“/DAZ berichtete intensiv darüber und entwickelte sich zunehmend zur Stimme und Tribüne der deutschen nationalen Bewegung in der Sowjetunion. Unter der Leitung von Konstantin Ehrlich verwandelte sich die „Freundschaft“ zu einer „Glocke der Freiheit“, die „Schlafenden“ aufweckte und „Nichtwissenden“ aufklärte, laut der Schätzung des Historikers und Journalisten Josef Schleicher.

Als in den späten 1980er Jahren die Diskussion um die Wiederherstellung der Autonomie und die Geschichte der Russlanddeutschen wieder in Fahrt kam, wagte es die „Freundschaft“ als eines der ersten deutschsprachigen Blätter der Sowjetunion, Beiträge zu diesen damals heiklen Themen zu veröffentlichen.

Engagierter Einsatz für die Rechte der Deutschen

Ab Mitte 1988 begann die Reihe „Sowjetdeutsche: Blick in die Geschichte“. Es wurden neue Rubriken eingeführt wie „Geschichte der Russlanddeutschen“, „Unsere Gebräuche und Traditionen“, „Unsere Muttersprache“. „Freundschaft“ veröffentlichte auch Auszüge aus Ehrlichs Buch „Lebendiges Erbe, das von interessierten Landsleuten landeweit diskutiert wurde. Im September 1988 erschien in „Freundschaft“ erstmals auch eine russischsprachige Beilage, um die jungen Leser über die Geschichte und Problematik der Volksgruppe aufzuklären.

Im Mai 1988 initiierte Ehrlich in Alma-Ata die Gründung eines „Deutschen Kulturzentrums“, er gehörte zu den Mitbegründern der Unionsgesellschaft der Russlanddeutschen „Wiedergeburt“ (März 1989) und der „Wiedergeburt“-Zweigorganisation in Kasachstan (Juli 1989), die er jahrelang anführte.

Er beteiligte sich engagiert an der Bewegung für die Wiederherstellung der Rechte der Russlanddeutschen und anderer repressierten Völker und war zehn Jahre als Mitglied der Vollversammlung der Völker Kasachstans und der Deutsch-Kasachischen Regierungskommission.

Aktivitäten seit den 1990er Jahren

Auf Ehrlichs Initiative wurde im Juli 1989 die erste Internationale Konferenz zur Geschichte und Gegenwart der Deutschen in Russland bzw. der Sowjetunion „Deutsche in der Brüderfamilie der Sowjetvölker“ durchgeführt, wo zum ersten Mal öffentlich die Forderung über die Wiederherstellung der deutschen Staatlichkeit gestellt wurde.

Seit Ende der 1990er Jahre lebt Konstantin Ehrlich in Hamburg. Für die Sorgen und Belange seiner russlanddeutschen Landsleute setzt er sich auch in Deutschland ein. 1999-2004 war er Vorsitzender der Landesgruppe Hamburg der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V.

Seit 1997 ist er Chefredakteur von „Diplomatischer Kurier“ / „Russlanddeutsche Allgemeine Zeitung“, die zurzeit als Internet-Zeitung (www.rd-allgemeine.de) erscheint. Neben intensiver schriftstellerischer und publizistischer Tätigkeit war Ehrlich Sprecher der Hamburger Landesabteilung des Literaturkreises der Deutschen aus Russland e.V.

Nina Paulsen

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