Boris Blank: „Die Früchte des Zusammenbruchs in den 90er Jahren werden immer noch geerntet“

Die kasachstanische Eishockeynationalmannschaft hat kürzlich ein recht aktives und umkämpftes Spiel bestritten und Norwegen bei der Weltmeisterschaft mit 4:3 (nach Penaltyschießen) besiegt. Laut Boris Blank, einem deutschen Eishockeyprofi und Trainer der Krefeld Pinguine, war dies ein logisches Ergebnis eines nahezu ausgeglichenen Spiels: Die norwegische Mannschaft ist kein Favorit im Turnier und spielt gegen die Schützlinge von Galym Mambetalijew etwa gleich stark. Ja, über den Sieg kann man sich nur freuen, aber auch die bestehenden Schwierigkeiten sollte man nicht vergessen: davon hat das Team von Kasachstan genug. Nicht ohne Grund war für die Auswahl schon in der Gruppenphase Schluss, wo es nicht für mehr als den drittletzten Platz reichte.

Im Interview mit der DAZ erklärt Boris Blank, übrigens gebürtig aus Karaganda, den Unterschied zwischen der deutschen Liga und der KHL (Kontinentale Hockey Liga), erinnert an „Barys Astana“ und zählt die aktuell wichtigsten Herausforderungen des Eishockeys in Kasachstan und Deutschland auf.

Boris, sind Sie noch im Trainerstab der deutschen Jugendmannschaft?

Nein, nicht mehr. Ich musste es aufgeben, weil ich Cheftrainer bei den „Krefelder Pinguinen“ geworden bin. Die beiden Positionen sind sozusagen unvereinbar.

Wie entwickelt sich Ihrer Meinung nach das Eishockey in Deutschland heute?

Ich würde mir natürlich wünschen, dass es sich besser entwickelt. Die deutsche Liga ist inzwischen auf einem solchen Niveau – ich spreche von den Meisterschaften der Junioren und der Erwachsenen – dass wir uns nicht für Preise qualifizieren.

Wofür qualifiziert man sich?

Wenn man zum Beispiel die U18 (Eishockey-Weltmeisterschaft der Junioren – Anm. d. Red.) mitzählt, ist die deutsche Nationalmannschaft derzeit in der Gruppe B, aber sie liegt irgendwo auf Platz zehn in der Welt. Die U20-Mannschaft ist seit zwei Jahren in Folge unter den besten Acht – die Nationalmannschaft liegt etwa auf Platz acht. Die erste Eishockey-Profimannschaft liegt ebenfalls auf dem achten Platz… Aber wenn es um Medaillen geht, sind wir immer noch schwach. Wie gesagt, es gibt zehn Nationalitäten, die im Hockey besser sind als wir – sie sind sowohl körperlich als auch technisch stärker.

Zum Beispiel?

Amerikaner, Kanadier, Russen, Schweden, Tschechen, Finnen, Slowaken… Unser Niveau sind jetzt Letten, Norweger, Dänen. Die Wurzeln des Problems liegen im Kinderhockey, denke ich: Mangel an qualifizierten Trainern und Geld. Die Sportart Nummer eins in Deutschland ist, wie Sie sicher wissen, der Fußball. Der Rest ist nicht so wichtig. Der Kinderhockeysport entwickelt sich nicht, obwohl es genug Kinder im Lande gibt, aber es gibt wenig Geld. Die Trainer sollten ordentlich bezahlt werden, aber das ist nicht der Fall, so dass das Kinderhockey, ehrlich gesagt, minderqualifizierte Trainer bekommt. Es gibt eine ganze Reihe von Problemen! Nehmen Sie das Schulsystem: Es gibt keine Sportklassen, es gibt nur sehr wenige Sportinternate usw.

Steigt oder sinkt die Popularität von Eishockey in Europa?

Ich denke, sie steigt. Die Europäer lieben Eishockey sowieso. Vor allem, weil es sich verändert, schneller und körperlich härter wird – das Spiel nimmt eine andere Form an. Bei den Spielen in Deutschland sind die Tribünen meist immer gut gefüllt – in dieser Hinsicht unterscheidet sich das deutsche Eishockey nicht von Russland und anderen Ländern.

Wenn es kein Geheimnis ist: Aus welchem Grund hat es Ihr Sohn Alexander Blank, Stürmer der Düsseldorfer EG, nicht zur Weltmeisterschaft geschafft, obwohl er während der Saison quasi in die deutsche Nationalmannschaft einberufen wurde?

Er wurde als junger und vielversprechender Spieler einberufen; er ist erst 21, er muss sich noch entwickeln. Alex hat sowohl starke als auch schwache Seiten, deshalb war der Trainer der Meinung, dass er noch „roh“ ist – im Prinzip bin ich genau der gleichen Meinung. Es ist gut, dass Alex vorher einberufen wurde und wir gesehen haben, dass er spielen kann. Ich denke, er hat alle Chancen, in Zukunft bei der Weltmeisterschaft dabei zu sein. Im Moment trainiert er in Düsseldorf, am Wochenende kommt er nach Hause. Im Sommer trainiert er fünf oder sechs Mal pro Woche. Die Vorbereitungen für die nächste Saison sind bereits im Gange.

Warum haben Sie Kasachstan verlassen?

Damals wollten alle weg. Es war 1994, eine schwierige Zeit mit vielen sozialen Katastrophen und Wirtschaftsreformen. Ich war 16 Jahre alt. Ich besuchte eine Kinder- und Jugendsportschule in Karaganda, wo ich ab der zweiten Klasse Hockey spielte. Dann kam der Anruf, und ich ging mit meinen Eltern nach Deutschland. Hier habe ich weiter Eishockey gespielt und hatte das Glück, Profi zu werden.

Ich glaube, Sie wurden zu „Barys Astana“ eingeladen?

Ja, das war ich. Vor fünfzehn Jahren. Als die KHL gegründet wurde, gab es einige Gespräche, aber etwas ging schief. Ich glaube, sie haben mir sogar einen Vertrag gegeben. Ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen, aber entweder mein Agent oder jemand anderes hat mich im Stich gelassen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Schwierigkeiten der kasachischen Eishockeynationalmannschaft?

Letztes Jahr hat die Mannschaft gut gespielt, es aber nicht unter die ersten Acht geschafft. Die Zeit wird zeigen, wie es in dieser Saison sein wird. In der Mannschaft gibt es fünf Kanadier mit kasachischem Pass. Das ist eine Schande. Das andere Problem ist, dass das kasachische Kinderhockey in den wilden 90er Jahren durch den Zusammenbruch der Sowjetunion sehr gelitten hat. In Karaganda gab es zum Beispiel einen „Flohmarkt“ im Sportpalast, wo Pendelhändler chinesische Konsumgüter verkauften. Stände aller Art waren aufgebaut. Es war ein echtes Chaos. Die Kinder konnten nirgendwo trainieren, es gab keine Umkleideräume. Das frühere sowjetische System wurde zerstört und hinterließ ein riesiges Loch im System, auch im Profisport, was sich auf die gesamte Generation auswirkte. Die Früchte dieses Ruins werden noch heute geerntet.

Sie haben Legionäre erwähnt…

Ich bin der Meinung, dass Ausländer nicht in der Nationalmannschaft spielen sollten. Ich verstehe, als wir Deutschen nach Deutschland kamen, einen deutschen Pass bekamen und hierblieben, um zu leben. Aber ich glaube nicht, dass sich Kanadier nach Abschluss ihrer Karriere in Kasachstan dauerhaft dort niederlassen werden. Sie bekommen kasachstanische Pässe, nur um zu spielen. Ich denke, es ist besser, die Jugend zu erziehen, das Kinderhockey zu fördern und Geld in den Sport zu investieren. Denn ein Ausländer ist nur vorübergehend, für eine oder zwei Meisterschaften. Jede Liga entscheidet selbst, wie viele Ausländer sie haben will. In Deutschland sind es meiner Meinung nach viele – in der DEL (Deutsche Eishockey Liga – Anm. d. Red.) dürfen neun Ausländer spielen. In Russland sind es zum Beispiel vier oder fünf, in der Schweiz drei. In Deutschland sind die Ausländer hauptsächlich Nordamerikaner und Kanadier. Deshalb ist der Eishockeystil ein bisschen anders; steifer, geradliniger, nordamerikanischer und nicht so technisch und kombinationsfreudig wie in Russland und der GUS.

In der GUS gibt es übrigens eine ständige Abwanderung von Sportlern. Was halten Sie davon?

Es kommt darauf an, wohin sie gehen. Wenn sie in die NHL, die stärkste Eishockeyliga der Welt, gehen, dann in der Hoffnung, den Durchbruch zum Erfolg zu schaffen. Jeder Junge, jeder Teenager träumt davon, dorthin zu gehen. Die NHL ist prestigeträchtig, und die Gehälter sind dort am höchsten. Andererseits, wenn wir über Legionäre sprechen: Jedem das Seine. Sie verdienen Geld. Sie spielen auf Vertragsbasis, sie gehen dorthin, wo sie mehr Geld bekommen.

Wie beurteilen Sie den jüngsten Sieg Kasachstans – die kasachischen Medien sprachen von einem Erdrutschsieg gegen Südkorea in einem Freundschaftsspiel? Das Ergebnis lautete 5:0.

Um ehrlich zu sein, habe ich noch nie gehört, dass Südkorea Eishockey hat. Südkorea ist kein Gegner, glaube ich. Hier zu gewinnen, bedeutet überhaupt nichts. Außerdem handelt es sich um ein Freundschaftsspiel, bei dem sich der Trainer nur die Mannschaft ansieht: wer und was sie kann, auf welchem Niveau sie spielt. Das ist alles nur Vorbereitung. Das wichtigste und bedeutendste Spiel ist die Weltmeisterschaft.

Glauben Sie an Gott?

Natürlich. Das ist etwas Persönliches. Ich gehe nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber ich glaube und gehe manchmal hin. Ich bin überzeugt, dass es auf jeden Fall jemanden über uns gibt, der uns hilft, zu leben, uns zu entwickeln. Er liebt uns. Es gibt einen präzisen biblischen Ausdruck: „Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts..“

Sprechen Sie von der Konsumgesellschaft?

Ja. Vieles läuft heute schief: Alle schauen nur noch auf Macht, Geld und so weiter. Die menschlichen Qualitäten rücken in den Hintergrund. Die Menschen müssen freundlicher werden und sich gegenseitig lieben. Und dann wird die Welt gerettet werden.

Ich danke Ihnen für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Marina Angaldt.

Übersetzung ins Deutsche: Annabel Rosin.

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