Die Wüstenperle Xiva in der Region Choresm (usbekisch Xorazm) lockt jedes Jahr zahlreiche Touristen an. Bekannt ist sie vor allem für ihre Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Nach einem Aufenthalt an der beliebten Destination lohnt sich eine Autofahrt in ein Gebiet, das weniger bekannt ist: die autonome Republik Karakalpakstan (Qoraqalpogʻiston Respublikasi).

Karakalpakstan liegt in Nordwest-Usbekistan am Unterlauf des Flusses Amudarya, entlang der südwestlichen Küste des Aralsees. Es grenzt im Nordwesten an Kasachstan, die Navoi-Region im Osten, die Choresm- und Bukhararegion im Südosten und zum Süden hin an Turkmenistan.

Im Osten von Karkalpakstan befindet sich die Kysylkum, eine Kies-und Sandwüste, im Norden die Aralkum, eine durch die Austrocknung des Aralsees neu entstandene Wüste, im Westen das Ustjurt-Wüstenplateau, im Mittelteil das Delta des Amudarya.

Der Name Karakalpakstan leitet sich aus drei Wörtern ab: «kara» steht für schwarz, «kalpak» für Mütze oder Hut, und «stan» für Ort. Es ist als der Ort für Menschen mit schwarzen Hüten, da der Name von der traditionellen Kopfbedeckung der Karakalpaken, den schwarzen Hüten aus Hammelwolle, kommt.

Karakalpakstan zwischen Austritt und Autonomie

Bis zur Gründung von Karakalpakstan war es ein langer und komplizierter Weg. Nach der Zerschlagung der kirgisischen Autonomie Alasch Orda 1920 wurde der Norden Karakalpakstans mitsamt dem Kysylkum-Gebiet innerhalb der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (SFSR) der ersten Kirgisischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik, dem heutigen Kasachstan, zugeordnet. Der Süden war bis 1924 Teil der Sowjetischen Volksrepublik Choresm (Xiva). Im Oktober 1924 wurde Karakalpakstan zuerst als autonomes Oblast (Gebiet) und ab März 1932 als Karakalpakische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) Teil der Russischen SFSR. Mit der sowjetischen Verfassung von 1936 wurde die Karakalpakische ASSR am 5. Dezember 1936 Teil der Usbekischen SSR.

Eingangstor nach Karakalpakstan
Eingangstor nach Karakalpakstan

Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 verschärfte sich die „nationale Frage“. Es gab für die Karakalpaken nur zwei Alternativen: 1. zum einen der weitere Verbleib bei Usbekistan. 2. der Austritt der ASSR aus Usbekistan und der Anschluss an das sprachverwandte Kasachstan. Eine Mehrheit der Karakalpaken favorisierte eine Zeit lang die letztere Möglichkeit, zumal auch Kasachstan gegenüber Usbekistan territoriale Ansprüche stellte und alle von den Südkasachen bewohnten Gebiete Usbekistans einschließlich der ASSR Karakalpakistan einforderte.

Der Amudarya, ein Schatten seiner selbst

Heute genießt Karakalpakstan in Usbekistan weitgehende Autonomie. Die autonome Republik hat ein eigenes Parlament, einen eigenen Ministerrat sowie  eigene nationale Symbole: Wappen, Hymne und Flagge. In der Region werden zwei offizielle Sprachen, Karakalpak und Usbekisch, gesprochen. Die Republik im Nordwesten von Usbekistan nimmt 37% des gesamten Staatsgebietes ein.

Auf dem Weg von Xiva in die Hauptstadt Nukus überquert man auf einer langen und wackeligen Brücke den Amudarya. Der Amudarya, einst ein mitreißender Strom, der sich in seinem Bett hin- und hergeworfen hat, ist mittlerweile ein Schatten seiner selbst. Den Großteil seines von den Gletschern des Pamir und Hindukusch stammenden Wassers verliert er im Mittellauf an den Karakum-Kanal und weitere Kanäle für die Bewässerung der gigantischen Baumwollfelder.

Das Savitzky-Museum in Nukus

Die Hauptstadt von Karakalpakstan und gleichzeitig sechstgrößte Stadt von Usbekistan ist seit 1932 Nukus. Dort befindet sich der internationale Flughafen der Region. Mit seinen circa 312.000 Einwohnern hat Nukus ein ganz eigenes, charakteristisches Stadtbild erhalten, welches sich durch breite und großzügige Straßenzüge ausdrückt. Fast die komplette Altstadt wurde unter Präsident Islom Karimov abgetragen, um diese mit einem Wohnungsbauprogramm durch neue Reihenhäuser in gelb / weiß zu ersetzen.

 

Haupteingang Savitzky Museum
Haupteingang Savitzky Museum

 

Neben dem Berdakh-Nationalmuseum, dem Hausmuseum der Familie des Schriftstellers Amet Schamuratow (1912-1953), befindet sich im Stadtzentrum eines der berühmtesten Kunstmuseen in Zentralasien: das Savitzky-Museum. Es wird auch als das „MOMA“ Zentralsiens, als „Louvre der Wüste“ oder als die „Perle von Karakalpakstan“ bezeichnet. Hier befindet sich nicht nur eine der größten Sammlungen von Gemälden der russischen Avantgarde, sondern auch von Objekten der angewandten Kunst und Ethnographie von Karakalpakstan und Zentralasien.

Das ehemalige Fischerstädtchen Muynak

Der russische Maler Igor Savitzky, als Archäologe im sowjetischen Usbekistan tätig, sammelte über 30 Jahre lang Gemälde, Grafiken, Plastiken, Volkskunst und archäologische Kostbarkeiten, um sie der Bedeutungslosigkeit zu entreißen. Mittlerweile ist die Sammlung auf mehr als 90.000 Exponate angewachsen.

Ausgewählte Exponate aus der Savitzky - Kunstsammlung
Ausgewählte Exponate aus der Savitzky – Kunstsammlung

Von der Hauptstadt Nukus empfiehlt es sich, mit dem Auto in die circa drei Stunden entfernte Stadt Muynak (Moʻynoq) zu fahren. Der Weg dorthin zeichnet sich durch eine sehr karge Vegetation aus. Schon hier lässt sich erahnen, welche Folgen der Rückgang des Wasservolumens des Aralsees um 90 Prozent für die Landschaftsbildung in der Region hat.

Die frühere Hafenstadt bzw. das ehemalige Fischerdorf Muynak lagen bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf einer Halbinsel am südlichen Ende des Aralsees und somit am südlichen Ende der neu entstandenen Wüste Aralkum.

Zu Sowjetzeiten waren die Hauptarbeitgeber in der Stadt ein Fischkonservenkombinat sowie die Fischfangflotte. Aufgrund des dramatischen Rückgangs des Wasserspiegels in den 1960er Jahren musste der Industriezweig komplett aufgegeben werden. Damit verbunden, wanderte ein Großteil der Bevölkerung aus, so dass Muynak heute ein eher beschauliches Städtchen ist. Aktuell erlebt die Stadt jedoch eine kleine Renaissance. Zum einen, weil viele Menschen in dieser Region von der dort ansässigen Gas- und Ölindustrie leben. Zum anderen, weil große Anstrengungen unternommen werden, den Tourismus in die Aralsee-Region zu bringen.

Der Aralsee als Sinnbild einer ökologischen Krise

Im ausgetrockneten Hafen von Muynak befindet sich der berühmte Schiffsfriedhof im Herzen des örtlichen Freilichtmuseums. Der Ort erinnert eindringlich an die Krise um den Aralsee, dessen Salzgehalt sich in der Zwischenzeit vervierfacht hat.

Ökologisches Museum Muynak
Ökologisches Museum Muynak

In Muynak selbst befinden sich diverse Informationspanels, auf denen man die dramatische Entwicklung des Wasserspiegels des einst viertgrößten Sees der Welt nachvollziehen kann. Gleichzeitig befindet sich nahe dem Schiffsfriedhof das vom Ministerium für Kultur der Republik Karakalpakstan eingerichtete „Museum der Geschichte des Aralsees“. Es lohnt sich ein Rundgang, um die Geschichte des Aralsees mit seiner damals wunderbaren Flora und Fauna näher kennenzulernen. Untermauert wird die Ausstellung mit zeitgeschichtlichen Dokumentationen und Kurzfilmen, die in einem extra dafür eingerichteten Kinosaal gezeigt werden.

Von Menschenhand erschaffene Wüste

Ein weiteres Highlight in Muynak ist das ökologische Museum, welches ebenfalls vom Ministerium für Kultur der Republik Karakalpakstan initiiert wurde. Es erzählt ebenfalls die Geschichte des Aralsees, aber auch der Stadt Muynak. Volkstrachten, wunderschöner alter Schmuck, Haushaltsgegenstände, Boote, Fischereigeräte, Tier- und Vogelausstellungen sowie historische Fotografien vermitteln einen guten Überblick über die Geschichte, Kultur und Ökologie des ehemaligen Fischerdorfes. Das ökologische Museum beherbergt zudem eine einzigartige Sammlung von Gemälden von Rafael Matevosyan und Faim Madgazin, die aus den 1960er und 1970er Jahren stammen und die seltene Schönheit der Region in Werken von großem historischen und künstlerischen Wert zum Ausdruck bringen.

Um tiefergehende Eindrücke von Karakalpakstan zu erhalten, lohnt es sich, zum Ustyurt-Plateau zu fahren. Seine Ausläufer reichen bis zum Aralsee. Aber auch der 80 bis 90 km entfernte Weg mit dem Jeep von Muynak zum Aralsee zeigt auf, welche außergewöhnlichen Landschaften seitens der Natur in Karakalpakstan geschaffen wurden. Wohlwissend, dass der Weg hin zum Aralsee durch die Aralkum führt, die neu entstandene Wüste, die von Menschenhand erschaffen wurde.

Christian Grosse

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