Die Dokumentation „Das Schicksal eines Theaters“ von Rose Steinmark erzählt die Geschichte des russlanddeutschen Theaters in Russland und der Sowjetunion – in der Zwischenkriegszeit und vor allem der Nachkriegszeit. Mit dem Deutschen Schauspieltheater Temirtau/Almaty in Kasachstan, das 1980 eröffnet wurde, war das Leben der Verfasserin zehn Jahre lang aufs Engste verbunden.
Liebe Rose, was war deine persönliche Motivation, das Buch zu schreiben? Wie kam das Projekt überhaupt zustande?
Die Motivation war schon immer da. Nur wusste ich nicht, wen ich für diese Idee begeistern könnte. Ich hatte Glück, als ich im Frühjahr 2015 in Berlin Frau Olga Marterns, die erste Stellvertreterin des Vorsitzenden des IVDK, die Verlegerin einer Reihe ethnografisch-geschichtlicher Bücher und der „Moskauer Deutschen Zeitung“, traf. Im Gespräch mit ihr stellte sich heraus, dass sie sich auch schon lange ein Buch zur Geschichte des Theaters wünschte, und sogar bereit wäre, es herauszugeben.
Beiträge zur Geschichte des Deutschen Theaters oder über einzelne Schauspieler hattest du bereits früher in unterschiedlichen Publikationen hier und drüben veröffentlicht, unter anderem im HB 2006. Was konntest du im Buch, das immerhin über 370 Seiten hat, noch zusätzlich verwirklichen bzw. umsetzen? Und was ist vielleicht dennoch liegen geblieben?
Das Buch sollte die dichten Kulissen der einzigartigen kulturellen Institution unseres Volkes möglichst weit zur Seite schieben, um dem Leser und ehemaligen Zuschauern einen Blick in das Theaterleben zu gewähren, um die bisher unbekannten Tatsachen zur Geschichte seines Bestehens mitzuteilen. Meine Beiträge von früher enthielten nur einen winzigen Teil dieser großen Geschichte, das Buch aber bot die einmalige Chance, eine Zeitstudie der vergangenen Ereignisse aus heutiger Sicht durchzuführen, sie mit Erinnerungen und Bildern zu bestücken und über Persönlichkeiten zu erzählen, die dieses Theater aufgebaut und geprägt haben. Nicht alles, was ich plante, konnte ich im Buch unterbringen, aber dennoch enthält es die bedeutendsten Momente und aufschlussreichsten Augenblicke des Schaffens der russlanddeutschen Theatertruppe der Nachkriegszeit.
Lesen Sie auch: „Das Schicksal eines Theaters“
Du hast ein sehr umfangreiches Theaterarchiv nach Deutschland mitgebracht. Wie kam es überhaupt dazu? Soll dieser Schatz irgendwann z.B. im Detmolder Museum landen?
In der Tat: Ich konnte Bruchteile des Archivs nach Deutschland mitbringen und im Laufe der Jahre habe ich auch damit gearbeitet. Ich wäre sehr froh, wenn dieser Schatz jetzt im Detmolder Museum aufbewahrt werden könnte. Aber das Material müsste zuerst digitalisiert und bearbeitet werden. Es wäre wunderbar, wenn es dazu käme – Zeitungen, Bilder, Plakate gehen mit der Zeit zugrunde, und es wäre sehr schade, diesen Teil unserer Geschichte zu verlieren…
Welche Quellen, außer dem mitgebrachten Archiv, hast du noch verwendet? Wie waren die entsprechenden Kulturträger, etwa ehemalige Schauspieler oder Regisseure, am Entstehen der Inhalte beteiligt?
Ich arbeitete mit mehreren Quellen, stützte mich beim Aufbau des Buches auf historische Begebenheiten, auf die Geschichte des Deutschen Theaters der Vorkriegszeit, auf das Archiv der Berliner Akademie der Künste… Selbstverständlich standen mir auch ehemalige Mitarbeiter und Schauspieler des Theaters sowie russlanddeutsche Journalisten zur Seite: Sie teilten Erinnerungen und Bilder mit und unterstützten mich in meinem Vorhaben.
Gibt es aus deiner Sicht gewisse Parallelen zwischen dem/den Deutschen Theater(n) der Zwischenkriegszeit und dem Deutschen Theater der Nachkriegszeit in Kasachstan?
Diese Parallelen wird der Leser bestimmt merken, denn in mehreren Hinsichten hatten es die beiden Theater nicht gerade einfach. Vor allem mussten sie hart um ihr Überleben kämpfen und dem Druck der Behörden widerstehen. Vielleicht hat dieser Kampf auch dazu beigetragen, dass sie so beliebt und bekannt im Volke wurden und dass ihre schöpferischen Leistungen von so großer Bedeutung waren…Aber nicht nur das hatten die Theater gemein. Das Repertoire widerspiegelte sich auch: Auf den Theaterplakaten in Engels sowie auf denen in Temirtau standen „Der eigene Herd“ von A. Saks, „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller. Außerdem wurden mit großem Elan „Volksfeste“ gefeiert.
Lesen Sie auch: Russland-Deutsches Theater: Eine Brücke zwischen Deutschland und Kasachstan
Als Dramaturgin und Leiterin der Literaturabteilung des Theaters hast du alle Entwicklungen am Theater verfolgt und mitgeprägt. Was könnte aus deiner heutigen Sicht – aus der zeitlichen Distanz heraus – vielleicht anders laufen? Was hat dem Theater geschadet und zum zeitweiligen Erliegen geführt, und was hat es umgekehrt gefördert und weitergebracht?
Ich glaube, der Weg, den unser Theater damals eingeschlagen hatte, war der einzig richtige. Obwohl auch einige Jahre vergehen mussten, ehe uns bewusst wurde, welche Aufgaben wir tatsächlich zu bewältigen haben. Wenn das Ensemble nur hartnäckig auf schöpferische Erfolge gebaut hätte, wäre es bestimmt nicht so beliebt gewesen. Der Verdienst des Theaters besteht darin, dass es zum Mittelpunkt vieler geschichtlicher und kultureller Ereignisse im Leben der Russland-deutschen geworden ist. Es förderte nicht nur das Nationalbewusstsein seiner Zuschauer, sondern vereinte auch unter seinem Dach die russlanddeutsche Prominenz: Musiker, Künstler, Gelehrte und nicht zuletzt Schriftsteller und Dichter. Die erfreuliche Entwicklung der russlanddeutschen Dramatik, Folklore und Kultur haben wir auch dem Theater, das sich mit aller Kraft für den Zusammenhalt einsetzte, zu verdanken.