Am Samstag tauschten Vertreter der deutschen Gemeinschaften aus den beiden GUS-Ländern Erfahrungen über ihre Lage aus. Jugend, Bildung und Sprache gehörten dabei zu den zentralen Themen. Im Vergleich mit den Landsleuten in den mittelosteuropäischen Ländern zeigen sich viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige signifikante Unterschiede.

Etwa eine Million Angehörige der deutschen Minderheiten leben im östlichen Europa und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Wer sie sind, was sie bewegt und wie ihr Leben als Minderheit aussieht, beleuchtet der Dokumentarfilm „Perspektive deutsche Minderheit“ des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa). In persönlichen Porträts widmet sich der Film der Lebenswelt von acht Menschen aus Polen, Ungarn und der Slowakei, die in vielfältigen Geschichten über ihre deutsche Identität berichten.

„Wenn man keine Vergangenheit hat, hat man auch keine Zukunft“, sagt einer der Protagonisten aus dem Film. „Man muss über den Tellerrand blicken“ und solle „nicht im eigenen Saft schmoren“, ein anderer. Es zeigt sich darin, worum es für die deutschen Gemeinschaften in ihren heutigen Heimatländern geht: die eigene Sprache und Kultur zu bewahren und gleichzeitig offen für den Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft zu sein; die Werte der alten Generation zu bewahren und zugleich mit neuen Formaten das Interesse der Jugend an ihrer Identität und Herkunft zu festigen. Zweisprachige Erziehung, Jugendarbeit und -begegnung sowie die Förderung eines harmonischen Verhältnisses zwischen den Bevölkerungsgruppen durch mediale Berichterstattung sind hier der Schlüssel zum Erfolg.

Experten aus Sprach- und Projekt-arbeit, Jugendbereich und Business

Auch in Russland und Kasachstan leben zahlreiche Menschen mit deutschen Wurzeln, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie jene in den vorgestellten Ländern Mittelosteuropas. Um das Filmprojekt des ifa um deren Perspektive zu erweitern, organisierte das Deutsch-Russische Begegnungszentrum (drb) Sankt-Petersburg am vergangenen Samstag eine Filmvorführung mit anschließender Podiumsdiskussion. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Deutschlandjahres in Russland 2020/2021 statt. Zugeschaltet waren dabei je zwei Vertreter der deutschen Minderheiten beider Länder.

Die Perspektive aus Kasachstan vertraten Olga Stein von der Vereinigung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“ und Artur Bartel von der SCHNEIDER GROUP Kazakhstan. Aus Russland nahmen Jewgeni Wagner als Vorsitzender des Jugendrings der Russlanddeutschen und Jelisaweta Graf vom Kultur- und Geschäftszentrum „Deutsch-Russisches Haus“ Omsk teil. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Chefredakteur der Moskauer Deutschen Zeitung Igor Beresin, eingeleitet von Karoline Gil, Bereichsleitung Integration und Medien beim ifa. Das Grußwort sprach Beate Grzeski, Gesandtin und Ständige Vertreterin des deutschen Botschafters in Moskau.

Deutsche Kompaktsiedlungen: Vor- und Nachteile für die Identitätspflege

In der Diskussion, die auf die Filmvorführung folgte, nannte Olga Stein einen bedeutenden Unterschied zwischen den Deutschen Kasachstans und jenen in Europa: In Kasachstan, so Stein, gebe es keine kompakten deutschen Siedlungen. Diese Zerstreuung habe einen erheblichen negativen Effekt auf die Versuche, die gemeinsame Identität zu erhalten. Ganz anders dagegen die Lage im Deutschen Nationalrajon Asowo, aus dem Referentin Jelisaweta Graf stammt. Wie der Name der Verwaltungseinheit erahnen lässt, waren einst alle Dörfer des Gebiets deutsch. Zwar packten nach dem Zerfall der Sowjetunion viele Einwohner des Rayons ihre Koffer, um ihr Glück in der Heimat ihrer Vorfahren zu suchen. Doch auch heute gibt es in dem Gebiet noch viele Dörfer mit kompakter deutscher Besiedlung. Graf schätzt deren Zahl auf etwa hundert.

Der Vorteil davon: Identitätsfragen seien für die Einwohner kein Thema, da ihr Deutschsein für sie selbstverständlich sei. „Man feiert seine Feste und hält an seinen Traditionen fest“, so Graf. Der Nachteil bestehe darin, dass so auch die Aktivität in der deutschen Gemeinschaft schwächer ausgeprägt sei als in anderen Ländern. „Überall gibt es deutsche Kulturzentren, überall die Möglichkeit, die Sprache zu lernen“, so Graf. „Dorthin kommen aber eher junge Leute aus gemischten Familien, wo die deutsche Kultur nicht so gut erhalten wurde.“ Ein anderes Problem: Kinder aus rein deutschen Familien wachsen mit den jeweiligen deutschen Dialekten auf. Sobald es in die Kindergärten geht, erfolgt die Umstellung auf Russisch, und das Deutsche geht verloren – auch weil die Bindung zwischen den Familien und den Selbstverwaltungsstrukturen fehlt, die in dieser Phase Unterstützung leisten könnten.

Bildungsarbeit das A und O

Abhilfe schaffen in solchen Fällen Minderheitenschulen oder „Schulen mit ethnokultureller Komponente“, wie sie auf Russisch genannt werden. Die Schüler lernen dort Deutsch als Fremdsprache, bekommen nebenbei Wissen zur Geschichte, dem Brauchtum und den Traditionen ihres Ethnos vermittelt. Jewgeni Wagner, der in Russland selbst eine solche Schule besuchte, hierzu: „Die Arbeit mit den Bildungseinrichtungen ist für uns als Jugendorganisation heute Aufgabe Nummer 1!“

Über das oft unterschätzte Engagement der deutschen Wirtschaft bei der Förderung deutscher Sprache und Kultur im Ausland sprach Artur Bartel. Als Beispiel in Kasachstan nannte er Firmen, die Stipendien verteilen, von denen auch Angehörige der deutschen Minderheit profitierten. Zudem spiele es für deutsche Investoren eine wichtige Rolle, dass der Leiter einer Firma in Kasachstan über deutsche Sprachkenntnisse verfüge, da die gemeinsame Sprache unter anderem eine breitere Vertrauensbasis schaffe.

Geschäftsleute als Brücke zwischen zwei Ländern

Bereits in der Vergangenheit hat die DAZ darüber hinaus über die Brückenfunktion berichtet, die erfolgreiche Unternehmer aus der deutschen Gemeinschaft für die deutsch-kasachischen Beziehungen spielen. Ein besonderer Aspekt sind die Spätaussiedler, die in der Kindheit nach Deutschland kamen, eine gute Ausbildung genossen und Deutsch als Muttersprache sprechen. Nicht wenige von ihnen nutzen ihr Know-how und die Erfahrung mit zwei Kulturkreisen, um geschäftlich nach Kasachstan zurückzukehren und Projekte umzusetzen – wie aktuell etwa im Bereich der Erneuerbaren Energien.

Nach mittlerweile einem Jahr Corona-Pandemie, Homeoffice und Online-Konferenzen dürfte inzwischen bei den meisten Menschen eine gewisse Zoom-Müdigkeit eingetreten sein. Dass der Veranstaltung dennoch über hundert Teilnehmer beiwohnten, ist ein Zeichen für das Interesse an der deutschen Minderheit in Kasachstan und Russland.

Christoph Strauch

Teilen mit: