Herr Wiese, Sie werden häufig nur als „Russlandkoordinator“ bezeichnet. Dabei werden die Länder Zentralasiens und der Östlichen Partnerschaft meist vergessen. Sollte es vielleicht besser zwei Koordinatoren geben – einen für Russland und einen für die anderen elf Länder?
Der ukrainische Botschafter in Berlin nennt mich auch gerne „Ukraine-Koordinator“, und das ist genauso wenig falsch, wie ich auch „Kasachstankoordinator“ oder „Südkaukasuskoordinator“ genannt werden könnte. In diesem Jahr war ich, seitdem ich diese Aufgabe übernommen habe, außer in Kasachstan, Russland und der Ukraine auch mehrmals in Belarus, nächstes Jahr kommen auf jeden Fall weitere Länder hinzu. Aber auch in Berlin spreche ich mit den Botschaftern aller zwölf Länder und natürlich mit vielen Besuchern aus der Region.
All diese Länder haben ihre Besonderheiten; alle pflegen ihre eigenen Beziehungen zu Deutschland und zur Europäischen Union. Es gibt aber aus der Geschichte heraus auch besondere Beziehungen untereinander – und natürlich zu Russland. Daher ist es wichtig, nicht nur ein Land, sondern die Region als Ganzes in den Blick zu nehmen, um ihre ganze Vielfalt zu berücksichtigen.
Sie sind vor Ihrer Ernennung im April nicht unbedingt als Außenpolitiker in Erscheinung getreten. Hinzu kommt, dass Ihr Vorgänger Gernot Erler große Fußstapfen hinterlassen hat. Konnten Sie sich bereits in die Besonderheiten der Regionen Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien einarbeiten?
Es gibt viele Berührungspunkte mit meiner bisherigen Arbeit. Als Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und als Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie waren der Bereich der Außenwirtschaftspolitik, insbesondere China und seine „Belt and Road“-Initiative natürlich bereits ein Thema, das gerade in Zentralasien eine große Rolle spielt. Damit verbunden, interessiere ich mich natürlich dafür, welche Rolle Zentralasien in der Eurasischen Wirtschaftsunion und für die Konnektivitätsstrategie der Europäischen Union spielt.
In Gesprächen mit den Botschaftern, Besuchern aus der Region und natürlich auch Experten aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft bekommt man schon einen guten Eindruck von den Besonderheiten, den Problemen, aber auch den Chancen, die die Zusammenarbeit bietet. Einen eigenen Eindruck von der Region konnte ich auf den Reisen gewinnen. Aber auch in meinem Wahlkreis im Sauerland gibt es viele Anknüpfungspunkte – seien es die international tätigen Unternehmen oder nicht zuletzt die vielen Deutschen, die seit den neunziger Jahren nach Deutschland gezogen sind- auch aus Kasachstan.
Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Arbeit zu Zentralasien setzen?
Einerseits möchte ich natürlich darauf aufbauen, was es gibt. Das sind etwa die wirtschaftlichen Beziehungen, die Chancen für deutsche Unternehmen bieten, die dann auch die Kontakte zwischen den Menschen in Deutschland und Zentralasien intensivieren. Auch einstige Spätaussiedler bilden hier eine Brücke, wenn sie heute oft für deutsche Unternehmen in Kasachstan arbeiten.
Eine neue Zentralasienstrategie der Europäischen Union wird ja erarbeitet werden, und da wird es mit Blick auf die erwähnten Initiativen viele Ansatzpunkte geben, dass sich Deutschland noch besser mit Zentralasien verbindet.
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Darüber hinaus ist es mir besonders wichtig, die neue, junge Generation für die Zusammenarbeit zu begeistern und in die Beziehungen zu unseren Partnern im Osten stärker einzubeziehen. In Almaty habe ich durch Vermittlung der Friedrich-Ebert-Stiftung beeindruckende Gespräche mit Aktivistinnen und Aktivisten aus der Jugendarbeit geführt. Auch in Ländern wie Usbekistan gibt es durch die Reformen eine neue Dynamik. Hier sollten wir ansetzen und junge, kreative Menschen zusammenbringen.
Welche Rolle sollte Deutschland in Zentralasien, das häufig als Brücke zwischen Asien und Europa bezeichnet wird, spielen und welche Rolle kann es tatsächlich einnehmen?
Deutschland ist traditionell in der Region stark engagiert und genießt in allen zentralasiatischen Staaten ein hohes Ansehen. Die erste EU-Zentralasienstrategie ist während der deutschen Ratspräsidentschaft 2007 verabschiedet worden. Wir unterstützen die Rechtsstaatsinitiative, die regionale Wasserpolitik und ein Programm zur Drogenprävention. So tragen wir wesentlich zur Stabilisierung bei – auch mit Blick darauf, dass die Region, die ja an Afghanistan angrenzt, für unsere Sicherheit sehr wichtig ist.
In diesem Jahr soll die neue EU-Zentralasienstrategie verabschiedet werden, da sind wir natürlich wieder ein wichtiger Impulsgeber für eine regelbasierte und nachhaltige Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Wir wollen dabei weiterhin Akzente setzen, wie zum Beispiel bei der Unterstützung der Deutsch-Kasachischen Universität oder dem „Berliner Prozess“, das heißt der regionalen Zusammenarbeit der zentralasiatischen Länder beim Thema Wasser.
Wo sehen Sie Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit zwischen Astana und Berlin?
Insgesamt sehe ich die Zusammenarbeit mit Kasachstan positiv, gerade im außen- und handelspolitischen Bereich. Die kasachische Regierung ist für uns in vielen Fragen ein konstruktiver und verlässlicher Partner in Zentralasien. Roman Wassilenko, Vizeaußenminister Kasachstans, habe ich nach guten Gesprächen in Astana gerade erst in Berlin bei den Feierlichkeiten zum kasachischen Nationalfeiertag wieder getroffen.
Wir ziehen zum Beispiel an einem Strang, was das Thema der Konnektivität angeht. Für uns war dies ein zentrales Thema unseres Vorsitzes in der OSZE. Beim diesjährigen OSZE-Ministerrat hat nun Kasachstan eine Veranstaltung zu diesem Thema organisiert, was zeigt, dass wir hier gemeinsame Interessen haben.
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Eine verbesserte Konnektivität zwischen Asien und Europa kann nicht nur einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum, sondern auch zum zivilgesellschaftlichen Austausch leisten. Wichtig dabei ist für uns, dass dies regelbasiert und nachhaltig vonstattengeht. Das spiegelt sich auch in der jüngst verabschiedeten EU-Asien-Konnektivitätsstrategie. In Kasachstan sehen wir hier einen gleichgesinnten Akteur: etwa als engagiertes WTO-Mitglied – die nächste Ministerkonferenz der WTO wird 2020 in Astana stattfinden – wirkt es protektionistischen Tendenzen anderer Mitgliedsstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion entgegen.
Der bilaterale Handel wächst. Allerdings, und das möchte ich auch nicht verschweigen, wäre noch deutlich mehr möglich. Die Lösung älterer Problemfälle würde unseren Wirtschaftsbeziehungen einen weiteren wichtigen Impuls geben. Ich hoffe, dass wir hier im kommenden Jahr gemeinsam mit der kasachischen Regierung einen entscheidenden Schritt vorankommen.
2019/2020 hat Deutschland wieder einen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Kasachstans zwei Jahre in dem Gremium werden dann vorbei sein. Welches Fazit ziehen Sie aus der ersten zentralasiatischen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat?
Deutschland setzt sich schon lange für eine größere regionale Ausgewogenheit und Repräsentativität des Sicherheitsrates ein. Daher haben wir die Wahl Kasachstans als erstem Land Zentralasiens in den Sicherheitsrat sehr begrüßt. Kasachstan konnte in seiner Mitgliedschaft wichtige Akzente setzen: in den Bereichen Abrüstung, nachhaltige Entwicklung sowie zu Afghanistan. Es hatte zudem den Vorsitz im wichtigen Taliban-Sanktionsausschuss inne. Im November 2017 organisierte Kasachstan zusammen mit Deutschland und Afghanistan ein Treffen des Sicherheitsrats zu Frieden, Sicherheit und Entwicklung in Afghanistan und Zentralasien. Die regionale zentralasiatische Perspektive war aus unsern Augen ein großer Gewinn. Die Erfahrungen als gewähltes Mitglied des Sicherheitsrats, die Kasachstan mit uns in den letzten Monaten geteilt hat, waren in der Vorbereitung auf unsere Sicherheitsratszeit sehr nützlich – vielen Dank dafür.
Allein für die Förderung der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland stehen 2019 insgesamt 18 Millionen Euro zur Verfügung. Welche Projekte sollen mit dem Geld umgesetzt werden?
Erstmals ist es uns gelungen, die Mittel im Haushalt für das Programm signifikant zu erhöhen. Das freut mich sehr. Die Auswahl der Projekte ist aber aktuell noch nicht abgeschlossen. Die Mittel des Programms sollen aber so eingesetzt werden, dass sie zur Stabilisierung der Region beitragen. Das Programm fördert vor allem Projekte von Organisationen der deutschen Zivilgesellschaft in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland. Dabei geht es darum, Pluralismus zu stärken und Wertediskurse durch zivilgesellschaftlichen Dialog und kulturpolitische Maßnahmen zu fördern, jungen Menschen durch Ausbildungs- und Weiterbildungsmassnahmen eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektive zu geben sowie Dialog und Verständigung zu fördern. So wirken sie am Aufbau einer offenen, integrativen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft in ihren Heimatländern mit.
Es gibt die sogenannten Themenjahre, die den Dialog zwischen Deutschland und Russland fördern sollen. Das kommende wird der Hochschulkooperation und Wissenschaft gewidmet. Können Sie sich ein solches Format auch für Zentralasien vorstellen?
Momentan bestehen allein 86 Kooperationen zwischen kasachischen und deutschen Hochschulen. Auch mit den anderen Ländern der Region gibt es Hochschulkooperationen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ist in allen Ländern Zentralasiens aktiv. Und natürlich gibt es die Deutsch-Kasachische Universität in Almaty. In Bischkek gibt es das Deutsch-Kirgisische Technische Institut. Demnächst läuft außerdem ein von der VW-Stiftung finanziertes Promotionsprogramm zwischen der Humboldt-Universität Berlin und der Nasarbajew-Universität zu „Eurasian Studies“ an. Das ist schon mehr als in manch anderen Ländern, aber natürlich wünsche ich mir, dass wir diese Kooperationen noch ausbauen können. Denn gerade junge Menschen sollten sich kennen lernen, und Universitäten und Hochschulen sind dafür hervorragend geeignet.
Der Almatyner Stadtbezirk Medeu hat eine Städtepartnerschaft mit dem 12.000-Einwohner-Ort Alpen in Nordrhein-Westfalen. Was verbindet die Menschen am Fuße des Tienshan-Gebirges mit denen am Niederrhein?
Städtepartnerschaften sind ein hervorragendes Mittel, die Beziehungen auch außerhalb der außenpolitischen Kontakte zu pflegen. Ob am Niederrhein oder in Kasachstan: Städte auf der ganzen Welt haben ähnliche Probleme und Menschen ähnliche Bedürfnisse: saubere Straßen, eine funktionierende Abfallentsorgung, ein gesundes Lebensumfeld. Egal in welchem Land: Städte und Gemeinden sind den Bedürfnissen der Menschen am nächsten.
Städtepartnerschaften bieten sich daher besonders dafür an, die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften zu fördern, indem Dialogräume und Austauschmöglichkeiten geschaffen werden. Übrigens denke ich da nicht nur an den Niederrhein. Auch Ostwestfalen mit Espelkamp kommt mir in den Sinn. Hier bieten sich viele Möglichkeiten für weitere Kooperationen, die unsere Länder verbindet.