Die Ermordung eines populären usbekischen Imams durch Einsatzkräfte der Polizei in Kirgisistan hat muslimische Gemeinden in Zentral-asien unter Schock versetzt. Der Prediger habe einer terroristischen Vereinigung nahe gestanden, behaupten die kirgisischen Behörden. Wie radikal ist der Islam in Zentralasien?

Bei einem Antiterroreinsatz in der Stadt Osch in Südkirgisistan wurde der usbekische Imam Rafiq Qori Kammoluddin am 6. August von einer Sondereinheit der Polizei erschossen. Bei der Aktion erhielten die kirgisischen Einsatzkräfte Unterstützung aus Usbekistan. Der Tod des populären Predigers hat in muslimischen Gemeinden in ganz Zentralasien Proteststürme ausgelöst. Nach Angaben der kirgisischen Behörden hatte Kammoluddin Verbindungen zur terroristischen Gruppierung „Islamische Bewegung Usbekistan“. Das Informationsnetzwerk „Radio Free Europe“ berichtet, dass der Imam zuvor häufig kritisiert worden war, weil er Mitglieder von radikalislamischen Vereinigungen in seiner Moschee beten ließ.

Ist dieses Ereignis ein Anzeichen für die Radikalisierung des Islam in Zentralasien? Die promovierte Islamwissenschaftlerin Annette Krämer findet, dass die Gefahr durch den radikalen Islamismus in der Region überbewertet wird. „Die Diskussion über den Islam ist in Zentralasien verzerrt von politischen Interessen.“ Krämer, die im Augenblick an der Sommeruniversität der Deutsch-Kasachischen Universität Vorlesungen hält, verweist auf die Praxis, die beispielsweise die usbekische Regierung verfolgt: „Es entsteht der Eindruck, dass die Regierung Usbekistans die Gewaltbereitschaft von radikalen Muslimen in der Region überbetont, um ihre Macht zu sichern“, so die Islam-Expertin aus Deutschland. Allerdings warnt Krämer davor, dass in gewissen Regionen Zentralasiens durchaus Tendenzen islamischer Radikalisierung zu beobachten sind. „Das Fergana-Tal in der Grenzregion zwischen Usbekistan und Kirgisistan ist in den letzten Jahren zu einem Gebiet religiöser Spannungen geworden“, erklärt die Wissenschaftlerin. Dort liegt auch die Stadt Osch, wo der Imam Kammoluddin erschossen wurde. „Im Fergana-Tal kommen eine Reihe von Problemen zusammen. Es herrscht hohe Armut und eine große Bevölkerungsdichte. Verschiedene Volksgruppen leben auf engem Raum zusammen. Die Stimmung dort ist aufgeheizt.“

Große regionale Unterschiede

Generell betont die Islamexpertin, „dass es in Zentralasien regional große Unterschiede im Hinblick auf den Islam gibt. Der Stellenwert der Religion ist in verschiedenen Gegenden unterschiedlich ausgeprägt.“ Gewaltbereiter islamischer Extremismus tritt laut Krämer vor allem dann auf, wenn drei Faktoren zusammenkommen: „Wenn in einer Region ein sehr konservativer Islam existiert, die sozialen Probleme stark ausgeprägt sind und die politischen Systeme keine Lösung dieser Probleme anbieten, dann ist der Boden für eine Radikalisierung der Bevölkerung gegeben.“

Besteht auch in Kasachstan eine Gefahr durch gewaltbereite Anhänger islamistischer Gruppierungen? Krämer beruhigt: „In Kasachstan sind mir keine Gegenden bekannt, die eine derartige sozio-religiöse Sprengkraft besitzen wie das Fergana-Tal.“ Allerdings will sie nicht ausschließen, „dass es auch hier im Untergrund radikalislamische Bewegungen gibt.“ Und die Islamwissenschaftlerin, die über muslimische Frauenälteste in Zentralasien promoviert hat, ist der Ansicht, dass ein konservativer Islam nach saudi-arabischem Vorbild gerade in ärmeren und weniger gebildeten Bevölkerungsschichten eine hohe Attraktivität besitzt: „Als Utopie ist die streng islamische Gesellschaft in vielen Köpfen vorhanden.“
Ein Besuch in der Zentralmoschee von Almaty nach dem Freitagsgebet. Die Gläubigen haben sich in kleineren Grüppchen versammelt und tauschen sich aus. Die Stimmung ist heiter, auch nicht-muslimische Besucher sind in dem Gotteshaus willkommen und werden sofort in die Gemeinschaft aufgenommen: „Der Islam ist eine Religion des Friedens und der Versöhnung“, erklärt der 25-jährige Alibek Nurbekow. Von gewaltbereiten, radikalislamischen Gruppierungen will niemand etwas wissen. „Dass der Islam als eine Religion des Terrorismus erscheint, ist eine Hetze der westlichen Medien“, findet Nurbekow, der selbst schon in Spanien, Frankreich und Italien gelebt hat.

Islamische Grundsätze

„Ein wichtiger islamischer Grundsatz lautet: Wer einen Menschen tötet, der tötet die ganze Menschheit“, erklärt Ongar Onirbek, Pressesekretär der Vereinigung der Muslime Kasachstans, im Hinblick auf den Mord an dem Imam in Kirgisistan. Onirbek bekräftigt, dass der Islam eine Religion sei, die Gewaltverzicht predigt. Der Pressesekretär lobt das friedliche Nebeneinander der Religionen in Kasachstan: „Jeder soll in diesem Land nach seinem Glauben glücklich werden. Zwischen den Religionen gibt es in Kasachstan keine Konflikte.“ Hört man Ongar Onirbek genau zu, kann man allerdings einen gewissen Absolutheitsanspruch in seinen Worten vernehmen: „Jedes Kind auf der Welt wird als Muslim geboren. Die Erziehung der Eltern entfernt die Kinder dann häufig vom islamischen Grundglauben.“ Und: „Der Islam ist die letzte monotheistische Religion und vereinigt alle Qualitäten von Judentum und Christentum in sich. Er perfektioniert diese Religionen.“

Von Christian Lindner

25/08/06

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