Zum 76. Mal jährte sich in diesem Jahr der 9. Mai, der Tag des Sieges der Sowjetunion über das Deutsche Reich und damit das Ende des sogenannten Großen Vaterländischen Krieges. Fast überall in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kamen die Menschen aus diesem Grund zusammen. Die noch lebenden Kriegsveteranen präsentierten stolz ihre Uniformen und Orden, Angehörige legten Blumen an den Weltkriegsdenkmälern ab, alte Autos aus den Kriegsjahren fuhren in Paraden durch die Innenstädte und hier und da erklang das alte Kriegslied Katjuscha, wie auch im Park der 28 Panfilow-Gardisten im Zentrum von Almaty.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 unterzeichneten die deutschen Oberbefehlshaber von Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst die ratifizierte Urkunde der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Der schreckliche Zweite Weltkrieg fand in dieser Nacht sein offizielles Ende. Josef Stalin, ab 1922 Generalsekretär des ZK der KPdSU und in den Kriegsjahren 1941 bis 1945 Oberster Befehlshaber der Roten Armee, wählte den 22. Juni 1945, genau vier Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, für die landesweite Ankündigung einer Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau.

Diese Siegesparade, die zwei Tage später, am 24. Juni 1945, stattfand, war mit 40.000 teilnehmenden Soldaten, 1850 Militärfahrzeugen und einer Dauer von über zwei Stunden die größte Militärparade in der Geschichte der Sowjetunion und markierte den absoluten Höhepunkt der Macht Josef Stalins. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion fanden noch drei weitere Siegesparaden statt: in den Jahren 1965, 1985 und 1990.

Unruhige politische Zeiten

Die Geschichte des Parks der 28 Panfilow-Gardisten im Herzen Almatys beginnt lange vor den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. Der Festung Werny wurde am 11. April 1867 das Stadtrecht verliehen. Kurz darauf legte man einen Friedhof an. Auch die Opfer des schweren Erdbebens des Jahres 1887 fanden hier im alten Friedhofspark in Massengräbern ihre letzte Ruhe. Durch seine diversen Umgestaltungen, an denen sich insbesondere der Architekt Pawel Matwejewitsch Senkow beteiligte, verlor die Anlage langsam ihren Friedhofscharakter und wandelte sich zu einem Stadtpark, der statt Trauer mehr und mehr Unterhaltung für die Besucher bot. In Pavillons wurden Eis, Obst und Teeangeboten, der Konsum von Spirituosen blieb allerdings verboten, ebenso das Pferdereiten entlang der Parkwege.

Zu Ehren des 100. Geburtstages des russischen Dichters Alexander Puschkin erhielt der Park im Jahr 1899 den Namen Puschkin-Garten. Mit dem Bau der Christi-Himmelfahrt-Kathedrale zwischen 1904 und 1907 im Zentrum des Parks, dessen Architekt Pawel Senkows Sohn Andrej Senkow war, wurde der Friedhof endgültig aufgelöst. Die folgenden Jahre waren schließlich für die Parkanlage ebenso unruhig wie die politischen Verhältnisse im Zarenreich. Sowohl der offizielle Name als auch Bebauung und Funktion änderten sich mehrmals, während der russische Zar in Petrograd abdanken musste und die Bolschewiken im blutigen Kampf um die Macht langsam auch nach Zentralasien vorrückten.

Die 28 Panfilow-Gardisten im Kriegseinsatz

Inzwischen war Wladimir Lenin, der Vater der Oktoberrevolution, bereits seit einigen Jahren tot. Die Stadt Werny hieß nun Alma-Ata und Josef Stalin saß auf der höchsten Position der Sowjetunion. Das Deutsche Reich unter Adolf Hitler setzte alles daran, Europa in den Untergang zu stürzen, und überfiel im Sommer 1941 auch die Sowjetunion. Bereits in den frühen Tagen des Krieges befand sich eine kleine Einheit – die Infanteriedivision 316 unter Leitung des Generals Iwan Panfilow – westlich von Moskau. Aufgabe der Einheit, die hauptsächlich aus kasachischen und kirgisischen Rekruten bestand, war es, die Stadt vor den deutschen Truppen zu verteidigen, die nur noch etwa 100 Kilometer entfernt standen.

Im Oktober 1941 kam es zu heftigen Kämpfen und großen Verlusten in den Verteidigungslinien der Roten Armee. Das, was jetzt noch von der Division des Generals Panfilow übriggeblieben war, formierte sich am Morgen des 16. November nahe der kleinen Siedlung Dubossekowo ein letztes Mal. Hier sollen sich die letzten 28 Soldaten unter General Panfilow heldenhaft einem Angriff von 54 deutschen Panzern entgegengestellt haben. Alle 28 Rotarmisten, einschließlich General Iwan Panfilow, blieben an diesem Tag auf dem Schlachtfeld zurück. Generalmajor Panfilow wurde am 12. April 1942 posthum mit dem Titel „Held der Sowjetunion“ ausgezeichnet. Im selben Jahr erhielt der Park im Zentrum Alma-Atas den Namen „Park der 28 Panfilowzen“ zu Ehren der 28 Soldaten der Infanteriedivision 316 des 1075. Regiments zur Verteidigung Moskaus.

Gedenken an Opfer des Großen Kriegs erst nach Stalin relevant

Solange Josef Stalin noch lebte, war das Gedenken an die großen Opfer und Verluste des Krieges eher nebensächlich. Dies änderte sich erst nach dessen Tod langsam. So wurde erst in den 1970er Jahren damit begonnen, in den Städten und Dörfern der Sowjetunion teilweise monumentale Gedenkstätten, Ewige Flammen und Gräber des Unbekannten Soldaten zu errichten. In Alma-Ata waren die Architekten T. Basenow, P. Sejdalin und W. Kim ab dem Jahr 1974 damit beauftragt, ein Projekt für ein Mahnmal auszuarbeiten. Diese Gedenkstätte des Ruhms, ausgestaltet in Form eines Triptychons, wurde im Jahr 1975 zum 30-jährigen Jubiläum des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg im Westen des Parks der 28 Panfilow-Gardisten eröffnet.

Das Areal um die Ewige Flamme ist seitdem der zentrale Gedenkort für die jährlichen Veranstaltungen rund um den 9. Mai. Auch General Panfilow und die 28 Gardisten sind mit einem Mahnmal am südlichen Eingang des Parks gewürdigt. Derweil muss die heldenhafte Geschichte dieser 28 Infanteriesoldaten allerdings womöglich ins Reich der Legenden und der Kriegspropaganda verbannt werden. Die Legendenbildung wiederum geht zurück auf eine Serie von Artikeln des Autors Wassili Korotejew, die zwischen November 1941 und März 1942 in der Propagandazeitung der Roten Armee „Roter Stern“ erschien.

Vieles ist heute im Dunkeln

Zuerst war lediglich die Rede von einer Division, die in nicht näher bestimmten Kampfhandlungen bei der Verteidigung Moskaus große Verluste erlitt. Durch propagandistische Ausschmückungen zur Motivation der Frontsoldaten wie „Der Beschützer wird sterben, aber nie apitulieren“ erlangten die Artikel große Popularität. Selbst Stalin soll sich wohlwollend geäußert haben, verlangte aber nach Namen und weiteren Details dieser Aktion. Fehlende verifizierbare Augenzeugenberichte und Gerüchte führten schließlich zu den angeblichen Namen der 28 Soldaten. Von nun an war die Geschichte ein Selbstläufer.

Tatsächlich dürften sich die Kampfhandlungen der Division Panfilows wohl etwas anders zugetragen haben. Wissenschaftler fanden bereits kurz nach dem Krieg, zwischen 1947 und 1948, heraus, dass wohl mehr als 28 Rotarmisten bei der Aktion beteiligt waren. Auch stimmen die Namen der 28 angeblichen Helden nicht mit den echten Namen der Soldaten dieser Division überein. Ebenfalls sind nicht alle „Panfilowzen“ an diesem Tag gestorben. Einige flohen, desertierten und erreichten nach dem Krieg ein hohes Alter. Diese Informationen allerdings würden die Erzählung von der heldenhaften Verteidigung des Vaterlands zerstören und mussten deshalb unbedingt unter Verschluss bleiben. Deshalb ist auch heute noch vieles unklar und bleibt im Dunkeln.

Die 28 Panfilow-Gardisten gehören in Almaty zur Seele der Stadt

Und so dreht sich die Geschichte um die 28 Panfilow-Gardisten bis heute weiter. Zeitungsartikel aus dem Jahr 2015 und der Spielfilm „Die 28 Männer des Panfilow“ des russischen Regisseurs Andrej Schalopa aus dem Jahr 2016 entfachten in Russland heftigste Reaktionen um die Deutung der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs. Für viele Menschen steht fest, dass die Legende der 28 „Panfilowzen“ wahr ist.

Seitdem Wladimir Putin Präsident der Russischen Föderation ist, versucht er, das Gedenken an den Tag des Sieges wieder zu stärken. Zum 60. Jahrestag des 9. Mai ließ er im Jahr 2005 erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder eine Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau veranstalten. Ebenso wird der 9. Mai inzwischen auch in vielen anderen Ex-Sowjetrepubliken, in einer Mischung aus Gedenken und Volksfeststimmung, wieder groß gefeiert. Der richtige Umgang mit so einem weltbewegenden Ereignis wie dem Zweiten Weltkrieg wirft bis heute Fragen auf, auch in Deutschland. Für die Menschen in Almaty scheint jedoch klar, ob nun Legende oder nicht: Die 28 Rotarmisten und ihr General Panfilow gehören am 9. Mai zur Seele dieser Stadt.

Philipp Dippl

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