Seit 20 Jahren können junge Hochschulabsolventen aus der ganzen Welt ein Praktikum im deutschen Bundestag absolvieren. Lina Kaskenowa ist eine der fünf Ausgewählten in Kasachstan und wird ab März nächsten Jahres für fünf Monate in Deutschland sein.

„Ich will Demokratie erleben”, erklärt die 28-jährige Kasachin Lina Kaskenowa. Sie hat sich für das diesjährige Internationale Parlamentspraktikum (IPP) der Bundesrepublik Deutschland beworben. Das Praktikum gibt jungen Menschen die Möglichkeit, fünf Monate an der Seite eines deutschen Bundestagsabgeordneten im Parlament zu verbringen und so einen tiefen Einblick in die Funktionsweise der deutschen Demokratie zu gewinnen. Lina Kaskenowa war eine von zwölf Bewerbern, die nach einer Vorauswahl durch die deutsche Botschaft zu den Auswahltests eingeladen wurden. Ende dieser Woche bekam sie die Nachricht, dass sie angenommen wurde. Die fachlichen Vorgaben hat Lina auf jeden Fall erfüllt. Von 1995 bis 2000 war sie immer wieder in Deutschland, zuerst an einem Studienkolleg für ausländische Studierende, dann als Jurastudentin an der Goethe-Universität in Frankfurt. „Aber mir wurde klar, dass meine Aussichten in Deutschland nicht gut sind. Ich kannte viele Ausländer mit Universitätsdiplom, die als Taxifahrer arbeiteten. Ich kann mit meinen Kenntnissen in Kasachstan viel mehr erreichen”, begründet sie ihre Entscheidung, ihr Jurastudium in Deutschland abzubrechen und in ihre Heimat zurückzukehren. Sie sei aber dankbar für die Erfahrungen, die sie in Deutschland machen konnte. Zurück in Kasachstan, hatte Lina sich schon an der Staatlichen Universität eingeschrieben, als ihr jemand einen Prospekt der DKU, der Deutsch-Kasachischen Universität in die Hand drückte. „Ich hatte das nicht geplant, aber irgendwie dreht sich in meinem Leben alles um Deutschland“, sagt sie. „Deshalb habe ich mich dann an der DKU eingeschrieben und Internationale Politik studiert“, meint Lina, die in diesem Jahr ihren Abschluss gemacht hat. Eine Lektorin der DKU wies sie auf das IPP-Programm hin, und so bewarb sie sich kurzentschlossen Anfang des Jahres.

„Alle Bewerber waren hervorragend geeignet, die fachliche Qualifikation war beeindruckend“, sagt Irmingard Schewe-Gerigk von der Auswahldelegation. Sie selbst ist Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im deutschen Parlament. Die dreiköpfige Delegation war Anfang November extra nach Almaty gekommen, um die Teilnehmer auszuwählen. „Wir legen großen Wert auf die gesamte Persönlichkeit, darauf, dass die Teilnehmer ein starkes Bedürfnis danach haben, etwas in ihrem Land zu verändern, bzw. für ihr Land zu tun”, erklärt Schewe-Gerigk weiter. In Einzelgesprächen versuchen die Mitglieder der Delegation herauszufinden, wer geeignet ist. „Bei dem Gespräch war ich sehr nervös”, gibt Lina Kaskenowa offen zu. „Die erste Frage betraf die Träger der Macht in Deutschland, also Bundesrat, Bundespräsident und so weiter. Das hat mich, obwohl es leicht zu beantworten ist, fast aus der Fassung gebracht”, beschreibt die schwarzhaarige Kasachin ihre Gefühle während der Prüfung, auf die sie sich seit September vorbereitet hat.

Gute Berufschancen für Ehemalige

„Ich halte es für eine große Chance und eine gute Möglichkeit, meine theoretischen Kenntnisse, die ich an der Universität erworben habe, auch in der Praxis anzuwenden”, sagt Kaskenowa mit Begeisterung. Irmingard Schewe-Gerigk kennt die Vorteile des Programms: „Es gibt in einigen Ländern sogar Ehemaligenvereine, und viele dieser Ehemaligen sind heute selbst politisch aktiv. So war z. B. der jetzige Justizminister Ungarns auch einmal Praktikant im deutschen Parlament.” Eine politische Laufbahn käme auch für Lina Kaskenowa in Frage, obwohl sie noch lieber im Bereich der politischen Bildung tätig sein würde. „Ich habe 2004 bei einem Projekt der Konrad-Adenauer-Stiftung mitgearbeitet, wir haben jungen Menschen in allen Regionen Kasachstans die demokratischen Grundbegriffe erklärt”, erzählt Lina mit leuchtenden Augen. Dies sei eine Arbeit, die sie sich auch für die Zukunft vorstellen könne. „Die Jugendlichen in Astana und Almaty sind fast schon politisch verwöhnt, es gibt hier ein Überangebot an Informationsveranstaltungen. Wer aber in abgelegenen Gebieten wohnt, weiß oft nicht einmal über seine grundlegenden politischen Rechte Bescheid”, sagt sie. Diese Menschen aufzuklären, sei sehr befriedigend. „Egal, was passiert, ich bin gut vorbereitet auf den Arbeitsmarkt”, meint Lina lächelnd. Für politisch engagierte Menschen gebe es in Kasachstan viel zu tun. „Unser Land braucht eine starke Opposition, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Bevor es hier eine wirkliche Demokratie wie in Deutschland gibt, liegt noch ein langer Weg vor uns”, ist sie sich im Klaren. Nun hat sie die Möglichkeit, ihre Kenntnisse in Deutschland zu erweitern und sie dann in ihrer Heimat umzusetzen.

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Internationales Parlamentspraktikum

Dieses Programm ermöglicht es jungen Menschen aus verschiedenen Ländern, die deutsche Politik von innen zu erfahren. Vorraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung sind ein abgeschlossenes Hochschulstudium und die Beherrschung der deutschen Sprache. Weiter müssen die Bewerber unter 30 sein. Die endgültige Entscheidung, wer zu den Teilnehmern gehören wird, trifft eine Auswahldelegation. In diesem Jahr bestand diese in Kasachstan aus der Bundestagsabgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, dem Energietechnikprofessor Frank Behrendt von der Technischen Universität Berlin und Birgit Meiners, der stellvertretenden Leiterin des Referats „Internationale Austauschprogramme” der Bundestagsverwaltung. Das Programm gibt es seit 1986, die ersten Teilnehmer kamen aus den USA und Frankreich. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs wurden immer mehr Länder in das Programm aufgenommen, vor allem aus den ehemaligen Ostblockstaaten. Kasachstan ist seit 2004 dabei. Insgesamt dürfen 100 Personen teilnehmen, die ab dem 15. März 2005 fünf Monate in Deutschland verbringen werden, fünf davon aus Kasachstan. Sie werden einem Abgeordneten zugeteilt, in dessen Büro sie mitarbeiten. Auch eine Reise in die Wahlbezirke der Abgeordneten ist geplant. Die Praktikanten sollen einen genauen Einblick in die Arbeitsweise der deutschen Politiker gewinnen.

11/11/05

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