Der Frühling ist da. Die Festlichkeiten des Frühlingsfestes „Nauryz“ liegen erst ein paar Tage zurück. Die sonst üblichen öffentlichen Veranstaltungen und Konzerte anlässlich des Festes, welches üblicherweise mehrere Tage lang gefeiert wird, mussten in diesem Jahr allerdings ausfallen. Am Nauryz-Fest, dessen Ursprünge mehr als 3.000 Jahre zurückreichen, wird insbesondere im persischen Kulturraum der Frühlingsbeginn, nämlich der Tag des astronomisch berechneten Eintritts der Sonne in das Tierkreiszeichen des Widders gefeiert. Dieser Tag, an dem Tag und Nacht gleich lang sind, fällt jedes Jahr entweder auf den 20. oder den 21. März und gilt auch in den Ländern Zentralasiens als einer der größten Feiertage des Jahres.
Im Jahr 1992 fanden die offiziellen Festlichkeiten zum ersten Mal auf dem sogenannten Breschnew-Platz etwas südlich des Stadtzentrums statt. Der nicht weit entfernt liegende ehemalige Leninplatz, der nicht viel später den Namen und das Denkmal seines Namensgebers verlieren sollte, reichte platzmäßig schon lange nicht mehr für offizielle Veranstaltungen aus. Aus Platzgründen wurde bereits vor 1980 auf Druck des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kasachstans Dinmuchamed Kunajew entschieden, dass Alma-Ata einen neuen, zentralen Platz bekommen
sollte.
1980, anlässlich des 60. Jubiläums der Gründung der Kasachischen SSR, wurde der neue, sehr weitläufige Bereich mit einer Mischbebauung aus Wohngebäuden und repräsentativen Regierungsgebäuden unter dem Namen Breschnew-Platz eröffnet. Dinmuchamed Kunajew und andere Parteimitglieder pflanzten eigenhändig 70 Tian-Schan-Fichten entlang der Fußgängerwege und ausgedehnten Grünflächen. Von nun an wurden die für die Sowjetunion üblichen Massendemonstrationen, Feste, Militärparaden und andere Kundgebungen anlässlich hoher sowjetischer Feier- und Gedenktage auf diesem Platz abgehalten.
Eigens für solche politischen Aufmärsche wurde an der Südseite der breiten Straße, die den Platz durchkreuzt, eine große Tribüne aus rotem Granit errichtet, auf der die politische und militärische Elite der Sowjetrepublik die Paraden und Märsche abnahm. Gleich hinter dieser Tribüne erhob sich ein gewaltiges Bauwerk. Das Gebäude des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kasachstans ist das zentrale Architekturmonument des Platzes.
Zum Zeitpunkt des Baubeginns 1980 war dieses Gebäude mit einer Gesamtfläche von 35.000 Quadratmetern das größte und mit Baukosten von 20 Millionen Rubel auch das teuerste Bauprojekt in der Geschichte der Kasachischen Sowjetrepublik. Demgegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, wurden zwei langgestreckte, siebenstöckige Verwaltungsgebäude errichtet, die mit zwei jeweils 16-stöckigen Wohntürmen im Zentrum abschließen. Dieses architektonische Ensemble begrenzt den Platz in nördlicher Richtung.
Verschiedene andere Ministerien und Institutionen, auch Fernsehstudios, das kasachische Nationalmuseum und der seinerzeit opulente Supermarkt „Okean“ fanden ebenfalls in direkter Nachbarschaft rund um den Platz ihre neue Heimat. In Alma-Ata entstand ein neues Zentrum, eine neue, repräsentative Stadt-mitte.
Schauplatz der Scheltoksan-Unruhen
Den tragischsten Moment seiner Geschichte dürfte dieser Platz im Dezember 1986 erlebt haben. Im fernen Moskau fiel kurz zuvor aus freiem Himmel die Entscheidung, den im Volk überaus beliebten Dinmuchamed Kunajew von der Position als Erster Sekretär der Kasachischen SSR zu entheben und stattdessen Gennadi Kolbin, dem Kasachstan völlig fremd war, einzusetzen. Infolgedessen kam es in der Nacht auf den 17. bis zum 19. Dezember zu spontanen Protestaktionen von Studenten, die insbesondere hier auf dem neuen Breschnew-Platz, aber auch in anderen Städten Kasachstans zusammenkamen und gegen diese Entscheidung demonstrierten. Die Sicherheitskräfte und Spezialeinheiten der Sowjetmacht reagierten mit Gewalt auf die friedlich demonstrierenden Studenten. Den tragischen Ereignissen des Dezember 1986, die sogenannten Scheltoksan-Unruhen, ist an der westlichen Seite des Platzes ein Monument gewidmet.
Die Sowjetunion allerdings löste sich gegen Ende 1991 in seine Bestandteile auf. Die Kommunistische Partei, die das gewaltige Verwaltungsgebäude des Zentralkomitees an der Südseite des Platzes bislang besetzt hatte, existierte nicht mehr. Zwischen 1991 und 1994 hatte der Großbau die Funktion der offiziellen Residenz des Präsidenten der Republik Kasachstan inne. Noch in den 1980er Jahren begannen die Arbeiten zu einem anderen wuchtigen Monumentalbau direkt hinter dem Gebäude des Zentralkomitees Kasachstans. Ein Wladimir-Lenin-Museum und Gedenkkomplex sollte hier ursprünglich entstehen.
Die Bauarbeiten wurden allerdings im Zuge der Scheltoksan-Unruhen vorläufig gestoppt. 1993 wurden die Arbeiten unter einem veränderten Bau- und Nutzungsplan wiederaufgenommen und zwei Jahre später fertiggestellt. Seitdem ist dieses Gebäude die offizielle neue Residenz des Präsidenten Kasachstans in Almaty. In das Gebäude des Zentralkomitees der Kasachischen SSR zog schließlich das Bürgermeisteramt, das Akimat der Stadt Almaty, wo es bis heute sitzt.
Auch die große Paradetribüne vor dem Gebäude hatte nach 1991 ausgedient, die großen Militärparaden und Aufmärsche zu den sozialistischen Feiertagen gehörten der Vergangenheit an. Der ehemalige Breschnew-Platz wurde nunmehr lediglich „Neuer Platz“ genannt (in Abgrenzung zum „Alten Platz, dem ehemaligen Lenin-Platz). In den 1990er Jahren entwickelte sich das seit 1992 jährlich veranstaltete Nauryz-Fest auf dem Neuen Platz zum beliebtesten Fest der Almatiner Bevölkerung und zur größten Veranstaltung der Stadt. Konzertbühnen wurden aufgebaut, Die Menschen veranstalteten Volksspiele in traditionellen kasachischen Kostümen und in Jurten und Zelten wurden frische Baursaky und andere kasachische Nationalspeisen angeboten.
Symbol für die politische Zeitenwende im Land
Bereits im Frühjahr des Jahres 1990, am Vorabend des Zusammenbruchs der Sowjetunion, wurde durch den Obersten Sowjet der Kasachischen SSR beschlossen, den Platz offiziell in Platz der Republik umzubenennen. Bereits seit den Scheltoksan-Unruhen, aber spätestens als Kasachstan am 16. Dezember 1991 die Unabhängigkeit von der bereits praktisch nicht mehr existierenden Sowjetunion erklärte, ist der Platz der Republik auch ein Symbol für die politische Zeitenwende im Land.
Am 16. Dezember 1996, am Nationalfeiertag und am 5. Jahrestag der Unabhängigkeit des noch jungen Landes wurde auf dem Platz der Republik das Unabhängigkeitsdenkmal enthüllt. Das von einer Gruppe junger Künstler um den berühmten kasachischen Bildhauer und Architekten Schota Walichanow erschaffene Denkmal zeigt den sogenannten goldenen Krieger. Dieser geht zurück auf den Fund einer aus purem Gold bestehenden Kampfrüstung, die im Jahr 1969 auf einem Feld nahe Alma-Ata gefunden wurde. Die Rüstung gehörte vermutlich einem jungen König des Reitervolkes der Saken im 2. oder 3. Jahrtausend vor Christus und deutet insbesondere auf das Vorhandensein einer Hochkultur in diesem Gebiet bereits vor einigen tausend Jahren hin. Es ist unter anderem dieser goldene Krieger, der der Bevölkerung Kasachstans in dem Identitätsvakuum der 1990er Jahre, nachdem die Sowjetunion mitsamt ihrer Ideologie verschwand, neue Identität stiftete. Das Monument gilt seit 1996 als eines der Nationalsymbole des Landes.
2007 begann der große Umbau des Platzes. Die Tribüne verschwand endgültig und der Bau zu einem unterirdischen Einkaufszentrum unter dem gesamten Platz begann. Dieser Umbau traf auf großen Unmut in der Bevölkerung. Für einige Jahre sorgten die Baumaßnahmen für massive Verkehrsbehinderungen, ein Großteil der von Dinmuchamed Kunajew gepflanzten Tian-Schan-Fichten wurde gefällt. Nicht nur musste durch den Bau das von den Bewohnern inzwischen heiß geliebte Nauryz-Fest für einige Zeit ausfallen, der Platz war von Baugruben durchzogen und versank in Schutt und Matsch. Diese Situation nahm erst 2012 ein Ende, mit der feierlichen Eröffnung der Almaly-Mall. Die Veranstaltung des Nauryz-Festes auf dem Platz blieb allerdings erst einmal verboten und fand erst 2014 wieder statt.
Der Platz der Republik hat bis heute seine politische Bedeutung nicht verloren. Es ist der Schauplatz historischer Ereignisse in der Geschichte des Landes und der Standort identitätsstiftender Nationalsymbole des modernen, unabhängigen Kasachstan. Die Unabhängigkeit Kasachstans jährt sich übrigens in diesem Jahr zum 30. Mal, und an den langgestreckten Verwaltungsgebäuden am Platz der Republik hängen auch heute noch große Banner mit den Worten des ersten Präsidenten der Republik Kasachstan an das Volk. Ob und wie das Nauryz-Fest allerdings im nächsten Jahr stattfinden kann, das steht noch in den Sternen.