Vom russischen Nowosibirsk ins südkasachische Arys: 2351 Kilometer lang ist die Turkestan-Sibirische Eisenbahn. Dem Großbauprojekt wurde in der Sowjetunion ein propagandistisches Denkmal gesetzt.

Bejsen Schormakow ist ein echter Eisenbahnfan. Er sammelt nicht nur Modelle, sondern baut auch selbst welche. Seine Leidenschaft geht sogar so weit, dass er als ehemaliger Eisenbahner 1999 mit seiner Privatkollektion ein eigenes Museum eröffnet hat. Der kleine Ausstellungsraum ist gefüllt mit selbstgebauten Modellen von sowjetischen Waggons und Lokomotiven, von alten Eisenbahnerapparaturen und Schautafeln, die knapp die Geschichte der Turkestan-Sibirischen Magistrale aufzeigen.

Die wirtschaftliche Entwicklung Kasachstans zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist wesentlich von der Eisenbahn geprägt. Noch vor dem ersten Weltkrieg wurden zur Anbindung Zentralasiens an das zaristische Russland eine Eisenbahnverbindung geplant und erste Streckenabschnitte errichtet. Allerdings bekam das Projekt erst gegen Ende der 1920er Jahre wieder neuen Schwung. Der Bau der Streckenteile durch die Steppen und Halbwüsten Südostkasachstans wurde ab 1927 zum sozialistischen Großbauprojekt des ersten Fünfjahresplanes erhoben. Dementsprechend war das Projekt von enormem propagandistischem Aufwand begleitet.

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Der Stummfilm „Turksib“ des Regisseurs Viktor Turin, auch bekannt unter dem Namen „Der stählerne Weg“, dokumentiert die Bauarbeiten und wurde noch vor Fertigstellung der Bahnstrecke am 24. Mai 1930 veröffentlicht. Wie zu Beginn des Films zu lesen ist, soll die Bahnstrecke den Austausch zwischen Baumwolle aus dem heißen, trockenen Süden und Getreide aus dem fruchtbaren Südsibirien sicherstellen und somit die Menschen Zentralasiens ernähren. Einzig die heißen Steppengebiete im Osten Kasachstans liegen wie eine Barriere zwischen den beiden Regionen, die im Kampf des sowjetischen Arbeiters gegen die Natur und für den Aufbau des Kommunismus überwunden werden muss. Auf Pferden durch die unwirtliche Wüste reitende Nomaden treffen auf moderne technische Wundermaschinen, die Fortschritt, Geschwindigkeit und Moderne für Zentralasien bedeuten. Neben seiner propagandistischen Aussage ist dieser Film aber aufgrund seiner radikal modernen Bildsprache in erster Linie ein Meisterwerk der sowjetischen Avantgarde der 1930er Jahre.

Die einzelnen Bahnabschnitte waren ab 1931 vollständig verbunden. Die Strecke startete als Abzweigung von der Transsibirischen Eisenbahn in Nowosibirsk, verlief über Semipalatinsk entlang des Südufers des Balchaschsees bis Almaty, von dort weiter über Schymkent bis zum Endpunkt Arys. Tatsächlich sollte durch die 2351 Kilometer lange Trasse die entfernt gelegene Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Turkestan, aus der später die fünf Sowjetrepubliken Zentralasiens hervorgingen, enger an die Sowjetunion angebunden werden. Die „Turksib“ ist bis heute, neben der von Orenburg nach Taschkent durch Westkasachstan verlaufenden, bereits 1906 eröffneten Trans-Aral-Eisenbahn, eine der wichtigsten Haupteisenbahnachsen Kasachstans.

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Turksib
Deutsches Filmplakat „Turksib“.

Der russische Komponist Maximilian Steinberg näherte sich dieser für Kasachstan so bedeutenden Eisenbahnmagistrale musikalisch an. Als Schüler von Nikolai Rimski-Korsakow, dessen Tochter er heiratete, und späterer Lehrer von Dmitri Schostakowitsch spielte er seinerzeit in den höchsten Riegen der russischen und sowjetischen Klassik; heute sind Steinberg und sein Werk allerdings weitgehend in Vergessenheit geraten. Der „Turksib“ setzte er mit der gleichnamigen Sinfonie Nr. 4 in C-Dur im Jahr 1933 ein musikalisches Denkmal. Dieses für die so progressiven sowjetischen 1930er Jahre wohl etwas zu klassisch und konservativ angelegte Werk nimmt den Zuhörer mit auf die Eisenbahnreise in das ferne, abenteuerliche Turkestan.

Das Museum der kasachischen Eisenbahnen gehört zu Unrecht zu den kaum bekannten Sehenswürdigkeiten von Almaty. Man muss Schormakow dankbar für seine kleine Eisenbahnausstellung sein. Wirklich spüren und erleben lässt sich das Großbauwerk „Turksib“ und der Geist des Aufbruchs in den frühen Sowjetjahren allerdings wohl nur durch die musikalischen und filmischen Interpretationen oder am besten direkt bei einer Fahrt auf der Turkestan-Sibirischen Magistrale.

Philipp Dippl

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