Der Verein Deutsche Jugend aus Russland setzt sich für Integration, Jugendhilfe, Bildung und Kultur ein. Deutschlandweit hat er über 12.000 Mitglieder. Der DJR e.V. versteht sich als offener, überparteilicher und überkonfessioneller Verein junger Migranten und Migrantinnen. Natalia Wagner leitet seit 2012 das Bildungs– und Kulturzentrum des DJR Hessen in Frankfurt am Main.

Wenn es um Fußball geht, hören Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland häufiger die Frage: „Für wen bist du eigentlich?“ Dabei muss man sich gar nicht entscheiden, findet Natalia Wagner. „Wenn im nächsten Jahr die Fußballweltmeisterschaft in Russland stattfindet, sind wir für beide Mannschaften: die deutsche und die russische“, sagt sie.

Natalia Wagner selbst stammt aus Kasachstan. 1995 siedelte die studierte Physiklehrerin mit ihrer Familie aus der Kleinstadt Jerejmentau, nordöstlich der Hauptstadt Astana gelegen, in die Bundesrepublik über. In Frankfurt am Main engagiert sie sich beim Verein Deutsche Jugend aus Russland (DJR). Dort leitete sie zunächst ehrenamtlich und ab 2003 hauptamtlich einen Jugendtreff.

Seit 2012 leitet sie das Bildungs– und Kulturzentrum des 1999 gegründeten Landesverbandes DJR Hessen. „Inzwischen haben wir uns vergrößert. Mittlerweile haben wir eine Fläche von etwa 420 m² zur Verfügung. 36 Mitarbeiter unterrichten und betreuen 250 Kinder im Alter von drei bis elf Jahren sowie Jugendliche“, erklärt Wagner, die selbst zweifache Mutter ist.

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Migranten helfen Migranten

Wagner hat sich seit ihrer Aussiedlung erfolgreich in Deutschland integriert. Dabei sprach sie, als sie Mitte der Neunziger ankam, kein Wort Deutsch. Wie schwierig die erste Zeit für sie war, hat sie 2006 in einem Bericht der Wochenzeitung „Die Zeit“ geschildert. „Meine Vorstellungen von Deutschland waren rosarot.“ Doch die damals Ende 20-Jährige ließ sich nicht unterkriegen und besuchte einen Sprachkurs nach dem anderen.

Als Wagner das Gefühl hatte, ihr Deutsch sei gut genug, entschied sie sich, in Frankfurt Sozialarbeit zu studieren. Das Studium schloss sie 2001 ab. Seitdem hilft sie anderen Migranten, sich in Deutschland zurechtzufinden.

Der DJR bietet den Kinder– und Jugendgruppen ein umfangreiches Kultur– und Bildungsprogramm an und hilft ihnen bei der Integration. Werktags gibt es für
30 Cents einen Mittagstisch. In den Gruppen sind 18 Nationalitäten vereint, die Hälfte ist muslimisch. Es gibt klassische Kurse wie Sprache(n), Musik, Logik, Kunst, Sport und Basteln.
Doch der inklusive Pädagogikansatz zielt auch auf die frühkindliche Bildung und Förderung ab. Es geht um den Erwerb von Sozialkompetenz, Berufsberatung und Integrationshilfe, politische Bildung, gewaltfreie Konfliktlösung und die spezifischen Belange der Spätaussiedler.

Regelmäßig werden gemeinsam Ausflüge unternommen, Veranstaltungen organisiert sowie Ferienprogramme gestaltet. Seit 2012 gibt es die Samstagsschule „Raduga“, seit 2016 die Sonntagsschule „Evrika“.

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Russlanddeutsche als Brücke

Der DJR wurde für seine Kinder– und Jugendarbeit 2004 mit dem Hessischen und 2008 mit dem Frankfurter Integrationspreis ausgezeichnet. 2006 und 2012 belegte er den 1. Platz bei der alljährlichen Frankfurter Parade der Kulturen und ebenfalls 2008 wurde ihm der 1. Bürgerpreis der Stadt Frankfurt verliehen. Durch regelmäßige, individuelle Reisen und Verwandtschaftsbesuche nach Russland, Weißrussland und Kasachstan ist der DJR über aktuelle Entwicklungen und Ereignisse im postsowjetischen Raum sehr gut informiert.

Nach Angaben der Landesbeauftragten der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, sind seit dem Jahr 1950 mehr als 4,5 Millionen Personen aus der Sowjetunion nach (West-)Deutschland gekommen. Allein das Bundesland Hessen hat seit 1979 265.570 Aussiedler aufgenommen. In Zeiten politischer Spannungen können sie eine Brücke nach Osteuropa sein. Die Kinder– und Jugendarbeit der Russlanddeutschen kann dazu beitragen.

Für 2018 sind in den Frankfurter Stadtteilen Eckenheim, Sossenheim sowie Frankfurter Berg neue Kindertagesstätten mit den Schwerpunkten Kunst und Musik für insgesamt 160 Kinder geplant. „Es ist uns wichtig, die Kinder zu fördern, ihre Persönlichkeiten und Kreativität zu entwickeln und sie so optimal auf das Leben vorzubereiten“, sagt Wagner. Einige bleiben dem Jugendzentrum auch als Erwachsene erhalten. „Manche unserer ehemaligen Schüler kommen als ausgebildete Pädagogen zum DJR zurück und arbeiten hier.“

Konstantin Dallibor

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