Zentralasien ist durch seine geographische Lage zwischen China und Europa eine attraktive Region für deutsche Logistiker geworden. Unterstützung erhalten diese von der Bundesvereinigung Logistik (BVL), die 1978 gegründet wurde und etwa 11.000 Mitglieder zählt. Wir haben mit Mirco Nowak, dem Leiter des BVL-Chapters Russia, über Herausforderungen und Chancen für deutsche Unternehmen, die Konkurrenzsituation auf dem zentralasiatischen Markt und die Bedeutung der EAWU gesprochen.
Herr Nowak, Sie leiten seit 2011 für die BVL das Chapter Russland. Können Sie kurz etwas zu den Aufgaben und Aktivitäten der Bundesvereinigung sagen? Wie profitieren Unternehmen von einer Mitgliedschaft bei Ihnen?
Die BVL ist ein tolles Netzwerk für alles rund um Supply Chain Management. Neben dem Networking sorgt sie dafür, Logistik bekannt und interessant zu machen – auch für junge Leute. Dafür bieten wir nicht nur regelmäßige Veranstaltungen an, sondern auch Informationen zu Ausbildungsmöglichkeiten. Seit über 25 Jahren bilden wir mit zahlreichen Lehrangeboten aus und weiter, in Bremen über die DAV Deutsche Außenhandels- und Verkehrs-Akademie.
Außerdem sind wir international als Ansprechpartner für deutsche Unternehmen da, die in andere Länder expandieren. Sie sollen dort die Plattformen vorfinden, die sie aus Deutschland kennen und schätzen. Wir haben hier vor Ort einige Leit-Events wie das Deutsch-Russische Logistikforum parallel zur TransRussia oder den Tag der Logistik, eine Art Fenster in die Unternehmen für junge und interessierte Leute. Das sind Formate, um sich zu treffen und Logistik zu verstehen. Für unsere Mitglieder verstehen wir uns als lebendige Plattform, um Kontakte zu knüpfen und potentielle Kunden kennenzulernen.
Zu dem Gebiet, das Sie von Moskau aus abdecken, gehören auch die fünf zentralasiatischen Länder. Welche Rolle spielt die Region für deutsche Unternehmen?
Zentralasien ist ein interessanter neuer Markt mit hohem Potential. Das gilt vor allem für Usbekistan. Das Land hat in den vergangenen zwei Jahren nach seiner starken Öffnung eigene Initiativen ergriffen, um ausländische Investoren anzulocken, besonders deutsche. Es hat sich dort ein regelrechter Hype entwickelt, bei Banken wie Investoren, die sich in Usbekistan engagieren. Kasachstan hängt noch etwas zurück, aber auch dort ist spürbar, dass sich die Situation ändert.
Wir vom BVL Chapter Russia engagieren uns aktiv in einem Projekt zur Etablierung des Internationalen Nord-Süd-Transportkorridors und haben u.a. empfohlen, das Kaspische Meer als einen „Logistik-Hub für die neuen Märkte Zentralasiens“ zu positionieren. Es hat sich gezeigt, dass es bei deutschen Logistikern, Verladern, aber auch Industrieunternehmen Interesse vorhanden ist. Nun geht es darum, sowohl logistische Infrastruktur zu schaffen als auch die Investitionsbereitschaft zu stärken. Man muss Finanzierungsinstrumente anbieten können, die gemeinsam mit deutschen Banken in diesen Ländern funktionieren. Dabei gibt es schon viel Bewegung.
Sie sind bereits auf die Öffnung Usbekistans und das Interesse deutscher Unternehmen eingegangen. Was für Erfahrungen haben diese gemacht und wie sieht es mit den anderen Ländern aus? Was ist positiv, wo gibt es Probleme?
Für jeden Logistiker geht es um die Frage, ob er nur One-Way fährt oder auch Retourware hat. Das ist in den Ländern der Region immer ein großes Thema gewesen, weil viel dorthin geliefert wurde, aber nur wenig zurückgekommen ist. Usbekistan hat da zuletzt sehr viel gemacht. Es hat zum Beispiel den Export von Rohbaumwolle verboten; nur noch das Fertigprodukt darf exportiert werden. Dadurch haben sich deutsche Unternehmen dort angesiedelt, die jetzt mit usbekischen Partnern Textilien produzieren und auf den Weg Richtung Deutschland schicken.
Auch andere Bereiche wie Fruchtexporte sind spannend. Mit dem Verband der usbekischen Exporteure haben wir besprochen, ob wir in Deutschland ein Handelshaus für usbekische Produkte etablieren. Das Thema Export kommt für Logistiker an erster Stelle. Für sie stellt sich die Frage: Welche Ware kann ich auf dem Rückweg wieder mitnehmen? Dadurch vergünstigt sich ihre Kalkulation. In Kasachstan ist da noch viel zu tun, aber auch hier gibt es positive Beispiele wie den Trockenhafen Khorgos, der sich sehr gut entwickelt hat.
Was können Sie zur aktuellen Konkurrenzsituation auf dem zentralasiatischen Markt sagen? Welche Vorteile haben die Deutschen gegenüber Unternehmen aus anderen Ländern?
Deutsche Unternehmen haben den großen Vorteil, dass sie in der Kontraktlogistik unglaublich bewandt sind. Sie haben weltweite Netzwerke, über die sie optimiert ihre Dienstleistungen anbieten können. Und in der Regel nutzen alle deutschen Unternehmen, die in neue Regionen gehen, auch deutsche Logistiker, um ihre Läger und Inhouse-Logistik betreiben zu lassen.
Konkurrenz gibt es – aber auch hier muss man sehen, dass es bei Logistik um Netzwerke geht. Und die meisten deutschen Unternehmen, die etwa in Russland arbeiten, machen die innerrussische Logistik kaum selbst, sondern hauptsächlich über Kontraktoren. Auch in Ländern wie Kasachstan oder Usbekistan ist das nicht anders: Selbst wenn die eigentliche Logistik im Land von einem deutschen Unternehmen an ein deutsches Unternehmen verkauft wird, wird sie von den entsprechenden Locals ausgeführt, denn die können das in der Regel viel besser. Effektive Logistik ist immer ein Netzwerk von Partnern.
Die Coronakrise hat im vergangenen Jahr zahlreiche Branchen auf den Kopf gestellt. Was waren die größten Herausforderungen für die Logistik und wo gab es positive Schübe?
Einen positiven Schub hat die Neue Seidenstraße erhalten, die auch durch Zentralasien und Russland verläuft. Sie ist ein Gewinner dieser Krise. Denn viele Waren, die aus China kamen, mussten schneller geliefert werden. Dadurch wurden sie weg vom Schiff auf die Schiene verbracht. Einige Logistikunternehmen, die auf dieser Strecke tätig sind, hatten 100 Prozent Volumenwachstum im vergangenen Jahr. Und das wird noch verstärkt durch den E-Commerce, der auch in den GUS-Ländern auf dem Vormarsch ist.
Die Logistik hat sich in einigen Bereichen Verluste eingehandelt, aber andere sind dafür gewachsen. Vieles wird nachgeholt werden. Einige Unternehmen, die nicht über die schnellen Lieferketten verfügen, werden allerdings wegfallen. Vermutlich wird es auch eine Konsolidierung im Markt geben, wodurch kleinere Unternehmen in größeren aufgehen.
Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Ländern Zentralasiens im Logistikbereich – sowohl auf der Ebene der Entscheidungsträger als auch der Unternehmen? Was läuft gut, wo gibt es Luft nach oben?
Logistik wird durch Unternehmen gemacht. Sie brauchen Infrastruktur, die zum Teil der Staat zur Verfügung stellt. Man braucht gute Straßen und Anlagen, und da hat gerade Kasachstan mit Khorgos ein tolles Projekt gestartet, das auch in Anspruch genommen wird. Auch in Aktau und Kuryk, seine beiden Häfen am Kaspischen Meer, investiert der Staat sehr viel. Usbekistan investiert in einen zentralen Umschlagshub, der aus Russland ko-finanziert wird. Daran sieht man, wie global die Welt wird. Einige Tausend Lkws mit usbekischen Produkten wie Früchten und Gemüse gehen jede Woche nach Russland. Insofern gibt es private Interessen, aber der Staat schafft die regulatorischen Voraussetzungen. Da gibt es immer Luft nach oben.
Ein wiederkehrendes Thema sind die Zollformalitäten. Das zeigt auch der Logistics Performance Index, wo alle Staaten Zentralasiens noch im Mittelfeld stehen. Allerdings gibt es auch hier Fortschritte. Die Eurasische Wirtschaftsunion ist ein sehr guter Ansatz, um Zollformalitäten zu vereinfachen. Sie bringt zudem Standardisierung und gibt Spediteuren und Verladern Sicherheit, dass ihre Waren rechtzeitig ankommen. Die Möglichkeiten durch die EAWU stoßen auf großes Interesse. Deutsche Unternehmen wie Hellmann oder DB Cargo arbeiten dort in den Komitees, um Zollvereinfachungen voranzubringen und Vorschläge für Standards bei Abwicklungsformalitäten einzubringen.
Um noch bei der EAWU zu bleiben: Was bedeutet es für die Logistikbranche in Zentralasien, dass einige Länder der Region Mitglieder sind und andere nicht?
Auch Usbekistan hat jetzt einen Beobachterstatus erhalten. Dem Land ist klar geworden, dass ein Fernbleiben nicht unbedingt von Vorteil ist. Ich habe in dieser Woche einen Vortrag gehalten über die großen Transportkorridore – die Neue Seidenstraße, den Nord-Süd-Korridor und den Mittelkorridor – und dabei ging es im Besonderen um die Vernetzung dieser Korridore. Wir müssen davon wegkommen, dass all diese Länder auf der Route zwischen China und Europa nur Transitländer sind. Es wird zwar weiter darum gehen, sie zu beliefern, aber auch Waren aus ihnen nach China oder Europa zu bewegen. Dafür ist es in erster Linie notwendig, dass sich Handel und Produktion gut entwickeln, und die Logistik dafür auch die Instrumente schafft – inklusive der nötigen Infrastruktur.
Die Aufnahme in die EAWU ist ein gutes Instrument, um die Wirtschaft zu fördern. Und ich glaube, dass sich neben Usbekistan noch weitere Länder dafür bewerben werden. Das wird steigen und fallen mit dem Warenvolumen, das dort abgewickelt wird. Aber ich bin optimistisch, dass – auch bei Russland – die Rolle als Transitland bald überwunden wird durch mehr Export.