Reinhard Krumm, selbst seit einigen Jahren in Zentralasien tätig, sieht in den Ereignissen in Kirgisistan vor allem einen innnenpolitischen Konflikt. Eine Außenwirkung hält er deshalb nur bedingt für prognostizierbar.
DAZ: Herr Krumm, wie waren Ihre Eindrücke, als Sie in diesen Tagen nach Kirgisistan gekommen sind?
Reinhard Krumm: Es lag etwas von Rechtlosigkeit und Chaos in der Luft. Die Bevölkerung ist verunsichert, die Lage unübersichtlich. Zudem sind die zerstörten Räume im Regierungshaus und die ausgebrannten Läden ein Beweis dafür. Waren es Provokateure, war es die geballte Volkswut.
DAZ: Was schätzen Sie, welche Ursachen die letzten Ereignisse in Kirgisistan haben?
Reinhard Krumm: Das Land stand politisch in den letzten Jahren still. Das ist die einhellige Meinung von Regierungsbeamten, mit denen ich gesprochen habe. Die Ursachen waren die Unzufriedenheit über die mangelnde wirtschaftliche Entwicklung sowie die zum Teil selbstherrliche Herrschaft des Präsidenten, der leider den politischen Überblick verloren hat und beratungsresistent war.
DAZ: Wie würden Sie „die Ereignisse“ überhaupt bezeichnen, als Revolution, als asiatische Willkür …?
Reinhard Krumm: Es war ein Aufstand von Teilen der Bevölkerung und damit eine rein innenpolitische Angelegenheit.
DAZ: In welcher Art und Weise wird die Bereitschaft zu solch gewalttätigen Protesten innerhalb des Landes, wie sie sich jetzt gezeigt hat, Ihrer Meinung nach, die zukünftige politische Entwicklung Kirgisistans beeinflussen?
Reinhard Krumm: Gewalt war nicht geplant, insofern glaube ich nicht, dass solche Ereignisse sich beliebig wiederholen. Gleichwohl ist die Geduld des Volkes wohl am Ende, und die Regierung wird sicherlich sehr vorsichtig in den nächsten Tagen und Wochen agieren.
DAZ: Welche Unterschiede sehen Sie in den Reaktionen der Nachbarländer Kirgisistans?
Reinhard Krumm: Man muss verstehen, dass es im Gegensatz zu Georgien und der Ukraine zu keiner außenpolitischen Neuausrichtung gekommen ist. Die Gründe waren innenpolitischer Natur. Das freilich wird Auswirkungen auf die Nachbarländer haben, so fielen auch die Reaktionen aus. Wann und wie ist kaum zu prognostizieren.
DAZ: Welche Länder haben, Ihrer Meinung nach, ein Interesse an Kirgisistan als strategisch wichtige Region?
Reinhard Krumm: Als ein Land zwischen Europa und Asien haben zunächst einmal die umliegenden Länder sowie Russland und China ein Interesse. Für Europa und die USA geht es auch um eine demokratische und friedliche Entwicklung in Zentralasien, um die Stabilität in der Region zu wahren.
DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Reinhard Krumm ist Projektkoordinator für Zentralasien der Friedrich-Ebert-Stiftung in Taschkent, Usbekistan
Das Gespräch führten Edda Schlager und Natascha Salipjatskich