Am Freitag jährte sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan zum 30. Mal. Eine wichtige Rolle im Verhältnis beider Länder spielt dabei seit jeher die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die von der Delegation der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien gefördert wird. Im Interview mit der DAZ lässt Hovsep Voskanyan, der Leiter der Delegation, die letzten drei Jahrzehnte Revue passieren, und spricht über aktuelle Chancen, Reformen und Krisen.

Herr Voskanyan, anlässlich des aktuellen Jubiläums: Was waren Ihrer Meinung die wichtigsten Meilensteine der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern in den letzten 30 Jahren?

Grundsätzlich haben sich die deutsch-kasachischen Wirtschaftsbeziehungen in all den Jahren erfolgreich entwickelt. Der heutige Zustand ist ein Resultat von nachhaltiger Zusammenarbeit und vielen kleinen Schritten, nicht einigen großen Ereignissen. Durch bilaterale Abkommen zwischen den beiden Ländern wurden allerdings früh die Grundlagen für die Zusammenarbeit geschaffen. Hier kann man das Investitionsschutzabkommen von 1995, das Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung von 1998 und das Abkommen über Partnerschaft im Rohstoff-, Industrie- und Technologiebereich von 2012 nennen. Geholfen hat auch, dass Kasachstan seit 2015 WTO-Mitglied ist und innere Reformen durchgeführt hat, die die Zusammenarbeit erleichtern.

Welchen Umfang haben heute die Aktivitäten der deutschen Wirtschaft in Kasachstan?

Wir haben inzwischen mehr als 300 deutsche Unternehmen, die in Kasachstan aktiv sind. Dazu zählen auch ca. 25 nennenswerte deutsche Investitionen in einem Gesamtumfang von mehr als einer Milliarde Euro. Damit stellt Deutschland sicher nicht den größten westlichen Investor in Kasachstan. Aber wir stellen über viele Sektoren hinweg eine sehr diversifizierte Gruppe von Investoren. Es gibt Unternehmen wie Knauf und HeidelbergCement im Bereich der Baustoffe, Linde Gas im Bereich der Industriegase, Fresenius und B. Braun im medizinischen Bereich, Claas als Landmaschinenhersteller, und viele andere – Mittelständler wie Großunternehmen. Diese Vielfalt zeigt, dass es eine stetige Abfolge von kleinen Schritten war, die uns hierher gebracht hat.

Eine aussichtsreiche Branche, die in den letzten Jahren neu dazugekommen ist, sind die Erneuerbaren Energien.

Absolut. Es bahnt sich zur Zeit in Kasachstan auch ein großes Wasserstoff-Projekt der deutschen Firma Svevind an, die sich in diesem Bereich spezialisiert hat. Für mich ist dieses Investment sehr symbolhaft für die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern. Erstens, weil es unter anderem durch die bundesgeförderten Reisen von deutschen Unternehmen nach Kasachstan im Rahmen der Exportinitiative Energie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima zustandegekommen ist. Zweitens, weil die Zusammenarbeit im Bereich der Erneuerbaren Energien viele Vorteile für beide Länder verspricht. Für Kasachstan ist es eine Möglichkeit, sich aus dem emissionslastigen Sektor der fossilen Brennstoffe herauszudiversifizieren. Deutschland wiederum kann die Technologien für diese Anlagen liefern und zugleich einen verlässlichen Lieferanten für grünen Wasserstoff bekommen.

Wie hat sich seit dem Amtsantritt von Präsident Tokajew das Geschäftsklima in Kasachstan entwickelt und inwieweit haben dabei die von ihnen erwähnten Reformen eine Rolle gespielt?

Präsident Tokajew hat vielversprechende Initiativen, die es schon gegeben hat – wie etwa die Strategie 2050 – weitergeführt. Er hat sie aber auch verstärkt und die Ziele ausgeweitet. Zudem hat er nach und nach immer neue Reformprojekte auf den Weg gebracht, um die Transparenz in der Wirtschaft zu erhöhen, die Korruption zurückzudrängen und für mehr Diversität in der Wirtschaft zu sorgen. Selbstverständlich reden wir über Prozesse, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber ich denke, dass sich seit dem Amtsantritt von Präsident Tokajew der Übergang hin zu einer liberaleren Wirtschaft stärker abzeichnet. Wenn man mit deutschen Unternehmensvertretern in Kasachstan spricht, so haben viele auch den Eindruck, dass sich dieser Prozess jetzt nach den tragischen Januar-Ereignissen noch verstärken wird.

Die Wirtschaftsbeziehungen waren ja auch das Hauptthema bei Tokajews Berlin-Besuch 2019, wo der kasachische Präsident deutschen Investoren besondere Bedingungen versprach.

Präsident Tokajew hat bei seinem Besuch in Deutschland deutlich gemacht, welchen Stellenwert er der Zusammenarbeit beimisst. Nicht umsonst gab es in den letzten Jahren mit Roman Skljar einen stellvertretenden Premierminister, der sich explizit um die Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen kümmern sollte. Er ist nun zum ersten Stellvertreter des Premierministers befördert worden und hat diese Funktion weiter inne. Klar ist aber auch: Die besten Geschäftsbedingungen und die umtriebigste Investitionsagentur nützen nichts, wenn es keine Grundlage für die wirtschaftliche Zusammenarbeit gibt. Das wichtigste Pfand ist daher vor allem das große Potential für Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern in so vielen Bereichen.

Sie haben die Ereignisse erwähnt, die Anfang Januar das Land erschütterten. Welche Reaktionen haben Sie darauf aus der deutschen Wirtschaft vernommen?

Bei den deutschen Unternehmen, die in Kasachstan vor Ort präsent sind, überwiegt die Meinung, dass die neue politische Situation eine schnellere Umsetzung der Reformen erlaubt. In Deutschland haben dagegen eher Sorgen und Unsicherheit noch die Oberhand. Die Unternehmen möchten verständlicherweise noch abwarten, um sicherzugehen, dass die Situation stabil ist. Ich gehe davon aus, dass wir aus diesem Grund in diesem Jahr einen Rückgang bei neuen Investitionen in Kasachstan haben werden – nicht nur aus Deutschland. Ich erwarte aber nicht, dass bereits bestehende Investitionen abgezogen werden.

Präsident Tokajew hat im Anschluss an die Unruhen gefordert, dass der Staatsfonds Samruk-Kazyna die Privatisierung seiner Anteile intensivieren soll. Wie beurteilen Sie das?

Von Experten wird der Anteil, den der Fonds über seine Beteiligungen an der Wertschöpfung des Landes hat, auf über 50 Prozent geschätzt. Die Privatisierung eines Teils dieses Portfolios ist ein unumgänglicher Schritt hin zu mehr Wettbewerb, mehr Transparenz auf den Märkten, mehr Diversifizierung, und zum Abbau von Marktzugangsschranken. Es geht aber nicht nur um Privatisierungen, sondern auch darum, dass im Rahmen des Reformpakets andere grundsätzliche Gesetze weiterverfolgt werden – etwa die Einführung von transparenten Mechanismen der Zusammenarbeit, neue Regelungen für die Einkäufer, oder weitere Maßnahmen zur Steigerung der Fairness im Wettbewerb.

Die Privatisierungen waren auch Thema bei Tokajews Berlin-Besuch. Damals ging es um 700 große und mittlere Unternehmen. In welchem Umfang ist das tatsächlich umgesetzt worden, und was hat hier bremsend gewirkt? Präsident Tokajew ist ja heute offensichtlich nicht zufrieden…

In der Tat sind die Blue Chips der kasachischen Wirtschaft, die das Interesse großer internationaler Investoren wecken könnten, nicht privatisiert worden. Wir sprechen hier aber über die Jahre der Covid-Pandemie, die kurz nach Präsident Tokajews Besuch in Berlin ausbrach. Außerdem gibt es fiskalische, sicherheits- und sozialpolitische Fragen, die sich eine Regierung bei größeren Privatisierungen stellt. Zum Beispiel: Ist ein hohes Potential für die Einsparung von Arbeitskräften durch technologische Modernisierung vorhanden? Wenn ja, welche sozialen Folgen hat das? Insbesondere in Kasachstan, das jetzt Menschen mit geringeren Einkommen stärker helfen will, ist man als Regierung bestrebt, einen Übergang so vorzubereiten, dass er keinen Schock auslöst.

Wie sehen denn die Chancen konkret aus, die sich für deutsche und andere internationale Investoren aus den Privatisierungen ergeben? In welcher Form können sie davon profitieren?

Generell kann man sagen: Je mehr private Wirtschaft ins Land kommt, desto mehr Wettbewerb und Vielfalt haben wir. Ausländische Investoren können von den Regierungsplänen profitieren, indem sie für sich passende Projekte aussuchen. Die Chancen für internationale Unternehmen sollte man aber nicht auf Privatisierungen oder klassische Investitionen reduzieren. Wie erwähnt, hat Kasachstan einen umfassenden Prozess zur Umstrukturierung der eigenen Wirtschaft in Gang gesetzt. Da gibt es sehr viele Wege, zu kooperieren.

International richten sich derzeit bange Blicke in Richtung Ukraine. Inwiefern würde eine Eskalation des Konflikts mit Russland auch Kasachstan und hier ansässige deutsche Unternehmen treffen?

Im Morgentelegramm der AHK Russland stand letzte Woche, dass sich in den letzten zehn Jahren die Anzahl der deutschen Unternehmen in Russland halbiert hat. Das führen die Kollegen auf eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen infolge der Sanktionsspirale seit 2014 zurück. In der gleichen Zeit ist die Anzahl der deutschen Unternehmen in Kasachstan weitgehend stabil geblieben. Das zeigt, dass Kasachstan es verdient hat, als eigenständige Einheit betrachtet zu werden. Selbstverständlich hoffen wir alle, dass es nicht zu größeren militärischen Auseinandersetzungen kommt. Aber auch über diesen Konflikt hinaus sehe ich grundsätzlich das Problem einer Gefährdung von Globalisierungstendenzen durch die politischen Spannungen weltweit. Das wird sich auch auf deutsche Unternehmen in Kasachstan auswirken. Andererseits ergeben sich auch Chancen, da die Unternehmen nicht nur an Absicherung denken, sondern auch an Diversifikation von Liefer- und Absatzmärkten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Christoph Strauch.

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