Die Alternative für Deutschland (AfD) ist die Partei der Russlanddeutschen. Denn während den Flüchtlingen Sozialleistungen angeblich hinterher geschmissen werden, werden die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion von der Bundesregierung systematisch benachteiligt und diskriminiert. So sieht es zumindest die AfD und tritt als Verfechterin der Rechte der Russlanddeutschen auf. Mit einem Thema will sie dabei im Moment besonders punkten – der Rente.
Es ist der 14. Juni 2018, kurz vor Mitternacht. Die Besuchertribüne des Bundestages hat sich längst geleert, als ein Antrag der AfD im Plenum beraten werden soll. Es geht um die Angleichung der Renten von Vertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern. Die Partei fordert, dass die „institutionelle Diskriminierung“ dieser Bevölkerungsgruppe im Fremdrentengesetz beendet wird. Eines ihrer Argumente ist, dass Spätaussiedler im Durchschnitt jünger seien. Damit gebe es mehr Beitragszahler als Rentner, und es entstehe ein unfairer Nachteil.
Hohes Armutsrisiko
„Nur vier Prozent der Aussiedler sind arbeitslos. Damit ist der Arbeitslosenanteil bei ihnen genauso niedrig wie in der Gesamtbevölkerung. Dafür sind die Aussiedler deutlich jünger. Fast 78 Prozent sind jünger als 45 Jahre. Aussiedler zahlen somit viel mehr in die Rentenkasse ein, als sie rausbekommen“, argumentierte der AfD-Abgeordnete Anton Friesen. Tatsächlich sind laut einer 2016 erschienenen Studie des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften fast die Hälfte der in Deutschland lebenden 3,1 Millionen (Spät-)Aussiedler 50 Jahre und älter.
Zudem berechnet sich die Rente in Deutschland danach, wer im Laufe seines Berufslebens wie viel in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung lag die Standardrente 2016 bei knapp 1.200 Euro netto. Im Vorjahr bezogen mehr als 400.000 Menschen, die aus den GUS-Staaten und dem Baltikum stammen, auf Basis des Fremdrentengesetzes eine Rente. Diese fiel jedoch deutlich niedriger aus als die Standardrente und lag bei 668 Euro. Laut Leibniz-Studie haben vor allem Spätaussiedler, die nach 1996 gekommen sind, ein extrem hohes Armutsrisiko.
Rente ohne Beiträge
Dabei sei es eine Besonderheit des deutschen Rentenrechts, dass Menschen, die nie in das deutsche Rentensystem eingezahlt haben, trotzdem eine Rente beziehen können, meinte der Abgeordnete Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion. „Wenn man beide Gruppen [Deutsche und Spätaussiedler] gleichstellen würde, hieße das: Wer nicht eingezahlt hat, bekommt auch keine Rente.“ Würde man also den Vorschlägen der AfD folgen, würde das für russlanddeutsche Spätaussiedler bedeuten, dass sie überhaupt keine Rente erhielten. Aber da die Fremdrente eben eine Zusatzleistung ist, sei es auch notwendig, diese zu deckeln, so Weiß. Und der FDP-Abgeordnete Johannes Vogel stellte klar, „dass die Rente darauf beruht, was jemand individuell geleistet hat, und nicht darauf, ob er zu einer vermeintlichen oder tatsächlichen Gruppe gehört.“
Die Rente in Deutschland berechnet sich nach einem Punktesystem. Momentan erhalten Spätaussiedler, die nach dem 6. Mai 1996 nach Deutschland gezogen sind, nach dem Fremdrentengesetz höchstens 25 Entgeltpunkte. Das entspricht aktuell einer monatlichen Bruttoaltersrente von maximal 800 Euro. Bei Ehepaaren werden zusammen höchstens 40 Entgeltpunkte angerechnet. Das sind höchstens 1281 Euro. Je nach Dauer einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland können mehr Punkte hinzukommen.
Der SPD-Abgeordnete Ralf Kapschack verwies in seiner Rede darauf, dass das Fremdrentengesetz 1959 aus der historischen Verantwortung Deutschlands für die Folgen des Zweiten Weltkrieges entstanden sei. „Damit sollten im Herkunftsland verlorengegangene Rentenansprüche ausgeglichen werden.“ Er gab allerdings auch zu, dass nicht nur Spätaussiedler unter Altersarmut leiden. Deshalb sei eine umfassende Rentenreform für alle Beitragszahler erforderlich. An die AfD-Fraktion gerichtet, sagte Kapschack, dass nach ihrer Logik die Rente der Eltern an die Erwerbstätigkeit ihrer Kinder gekoppelt werden müsse.
„Das kann ja nicht Ihr Ernst sein.“
Spaltung der Gesellschaft
Die Linke setze sich für ein Sozialversicherungsabkommen mit Russland ein, sagte der Abgeordnete Matthias Birkwald. „Dann würde die wechselseitige Zahlung von Renten und die Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten endlich auf eine solide Grundlage gestellt.“ Außerdem kritisierte Birkwald die Kürzung der Rente von (Spät-)Aussiedlern, die 1996 infolge der deutschen Wiedervereinigung beschlossen worden war und fordert, dass diese rückgängig gemacht werde. Markus Kurth von den Grünen warf der AfD vor, dass sie verschiedene soziale Gruppen gegeneinander ausspiele und die Spätaussiedler für ihre Zwecke instrumentalisiere. „Sie haben wieder das Gefühl des Zu-kurz-gekommen-Seins schüren wollen. Sie nutzen einfach diese Gruppe und diesen Antrag auf schäbigste Art und Weise, um Unfrieden und Spaltung in dieses Land zu tragen.“
Alle Redner waren sich einig, dass etwas gegen Altersarmut getan werden müsse. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD haben sich dafür im Koalitionsvertrag unter anderem auf eine Erhöhung der Mütterrente, Erleichterungen bei der Erwerbsminderungsrente und auf die Einführung einer Grundrente geeinigt. Eine im Juni eingerichtete Rentenkommission soll bis März 2020 Vorschläge erarbeiten, wie das Rentensystem auf Dauer finanzierbar bleibt. Dabei wird es nicht nur um (Spät-)Aussiedler gehen, sondern um alle, die in Deutschland irgendwann einmal eine Rente beziehen wollen.