Während man andere Länder Zentralasiens gut mit dem Zug erkunden kann, ist dies in Kirgisistan schwierig. Die einzige aktive Bahnstrecke des Landes verbindet Bischkek mit dem Issyk-Kul. Wir sind mitgefahren und haben sogar einen prominenten Mitreisenden getroffen.

Los geht die Reise an einem Freitagmorgen am Bahnhof von Bischkek, der wie ein etwas größerer Regionalbahnhof wirkt. Wie schon vor 80 Jahren begrüßt hier immer noch ein bronzener Lenin die Reisenden, und von der Decke erstrahlt das Wappen der Kirgisischen Sowjetrepublik. Anders als in vielen kasachischen Bahnhöfen ist es hier sehr sauber – das mag auch an der überschaubaren Zahl an Verbindungen liegen. Die Anzeigetafel listet ein paar Fernverbindungen nach Russland auf und sonst vor allem wenige Züge nach Tokmok, Kaindi und nach Balyktschy am See Issyk-Kul. Dort wollen auch die vielen Familien mit Kindern hin, die an diesem Morgen die Metalldetektoren passieren. Dazu ein Fernsehteam – denn wie später klar wird, fährt heute ein prominenter Gast mit.

Umgerechnet 5 Euro kostet ein Platz in einem der neuen Panoramawagen, doch die sind schon ausgebucht. Also Platzkart für umgerechnet 1,50 Euro – das ist eh viel authentischer. Wir hieven unsere Rucksäcke in die alten Ammendorf-Waggons, die in der früheren DDR produziert wurden. Und während der Zug langsam Bischkek verlässt, kommt die Schaffnerin vorbei und serviert Instantkaffee in Gläsern mit den traditionellen metallenen Glashaltern. So kommen wir schnell mit unseren Sitznachbarn ins Gespräch: Eine junge Kirgisin, die uns auf Deutsch anspricht. Sie hat die Sprache in der Schule gelernt und mehrere Jahre als Au-Pair in Deutschland gelebt. Nun fährt sie mit ihrem zweijährigen Sohn und ihrer Familie ihre Tante besuchen, die am Issyk-Kul lebt.

Auch ein paar Sitze weiter wird Deutsch gesprochen. Eine Freundesgruppe junger Schweizerinnen und Schweizer ist auf Wanderreise in Kirgisistan: Unter ihnen Modedesigner, Fotografen und ein Jurastudent, der sich nur mit seinen Klausuren quält, um sich an der Hausdurchsuchung bei seinem Vater zu rächen: „Ich will, dass mir so etwas nicht noch einmal passiert und dem Staat deswegen auf die Finger schauen.“

Regierungschef will Schienennetz ausbauen

Organisator des Trips ist Talant, dessen Mutter aus Kirgisistan kommt und der seine Freunde gefragt hat, ob sie ihn auf der Reise begleiten wollen. „Seit einem halben Jahr muss ich alles organisieren. Ich bin der Vater. Sie müssen nur essen und schlafen“, sagt er, während er der Schaffnerin das Ticket vorzeigt, das ein ungefähr ein Meter langer Kassenbon ist. Talant sagt mir, dass heute zum ersten Mal in diesem Jahr die neuen Panoramawaggons eingesetzt werden und deswegen ein prominenter Gast mitfährt: der kirgisische Premierminister Akylbek Schaparow.

Kirgisistans Premierminister Akylbek Schaparow (links) mit unserem Autor Johann Stephanowitz

Mein journalistischer Jagdinstinkt ist geweckt. Ich gehe in den Panoramawagen und versuche, den Premier für ein kurzes Interview abzupassen. Leger in ein Poloshirt gekleidet, sitzt Schaparow zusammen mit seiner Familie in den sehr gemütlichen Sitzen. Vor ihm eine Schale mit Obst, hinter ihm seine Bodyguards, die mich aber problemlos zu ihm durchlassen. Der Regierungschef ist gerade unterwegs zu einer Arbeitskonferenz in seine Heimat am Issyk-Kul und wollte die neuen Panoramawagen einmal ausprobieren. „Ich finde sie sehr bequem“, sagt er. „Und ich hoffe, dass sie auch bei den Touristen gut ankommen und mehr Menschen den Zug nehmen.“ Schaparow sagt, dass der Zugverkehr in Kirgisistan in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden soll: „Wir haben schon viele Strecken elektrifiziert und wollen auch neue bauen.“

Züge sind in Kirgisistan immer noch eine Seltenheit

Für Kirgisistan hat die Eisenbahn dabei nicht nur Bedeutung für den Tourismus, sondern vor allem für den Frachtverkehr. So will die Regierung in den kommenden Jahren den Schienenausbau in Richtung Usbekistan und China vorantreiben. Doch bislang gibt es fast nur diese eine Strecke, und die erreicht nun ihren malerischen Höhepunkt: Langsam schlängelt sich der Zug durch die enge Boom-Schlucht. Ich strecke vorsichtig den Kopf durch die sich ein wenig öffnenden Fenster und genieße die Landschaft: Links und rechts steigen die Berge des Alatau empor, und unten fließt der reißende Fluss Tschüi. Dazu immer wieder Menschen, die aus Autos oder Marschrutkas zuwinken – Züge sind in Kirgisistan wohl immer noch eine Seltenheit.

Immer wieder quetschen sich Händlerinnen und Händler durch die Gänge, um Essen zu verkaufen: Pizza, Eis, Sandwiches, Cola und Kurt – traditionelle salzige Quarkkügelchen. Der Geruch von gekochten Maiskolben liegt in der Luft. Bei den Schweizern fliegen derweil die Spielkarten auf den Tisch, und als wir kurz darauf am Issyk-Kul ankommen, sind wir um ein paar Freundschaften reicher.

Johann Stephanowitz

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia