Der Wasserstand des Kaspischen Meeres hat im Sommer 2025 einen historischen Tiefstand erreicht – und die Auswirkungen sind dramatisch.
Wie mehrere Forschergruppen und Umweltinstitutionen übereinstimmend berichten, liegt der aktuelle Pegel mittlerweile mehr als 29 Meter unter dem Pegel der Ostsee, der als Höhenreferenz genutzt wird. Besonders betroffen ist das flache Nordbecken an der Grenze zwischen Russland und Kasachstan, wo sich der Küstenverlauf inzwischen vielerorts kilometerweit zurückgezogen hat. Der weltweit größte geschlossene See droht buchstäblich zu verschwinden, was mit weitreichenden ökologischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Folgen verbunden ist.
Die Ursachen des Rückgangs sind vielfältig. Neben dem Klimawandel, der in der Region für steigende Temperaturen und zunehmende Verdunstung sorgt, gilt der drastisch gesunkene Zufluss durch die Wolga als entscheidender Faktor. Sie liefert rund 80 Prozent des Wassers für das Kaspische Meer, führt aber seit mehreren Jahren deutlich weniger Wasser als früher – zwischen 210 und 232 Kubikkilometer jährlich, gegenüber einem historischen Mittel von 250 km³. Wissenschaftler gehen davon aus, dass mindestens 270 km³ nötig wären, um das Gleichgewicht des Sees zu halten.
Bedrohung für Mensch, Tier und Wirtschaft
Der Rückgang des Wasserspiegels bedroht nicht nur das sensible Ökosystem der Region – darunter Laichgebiete für Störe, Brutplätze für Zugvögel und den Lebensraum der endemischen Kaspischen Robbe – sondern auch wirtschaftliche Infrastrukturen. Häfen in Aqtau, Atyrau, Machatschkala oder Astrachan müssen ihre Kapazitäten bereits reduzieren. Auch die Trinkwasserversorgung mancher Küstenstädte gerät zunehmend unter Druck, etwa durch den Ausfall von Entsalzungsanlagen infolge des sinkenden Grundwasserspiegels.
Angesichts dieser Entwicklungen hat sich Kasachstans Premierminister Olschas Bektenow deutlich zu Wort gemeldet. Auf der ersten internationalen Umweltkonferenz in Manscherok (Russland) am 25. Juli 2025 bezeichnete er den sinkenden Wasserstand des Kaspischen Meeres als „eine der größten ökologischen Herausforderungen der Region“. Er rief die fünf Anrainerstaaten – Kasachstan, Russland, Turkmenistan, Iran und Aserbaidschan – zu enger Zusammenarbeit auf. Ohne abgestimmte Maßnahmen sei das ökologische und wirtschaftliche Gleichgewicht des gesamten kaspischen Raums ernsthaft gefährdet.
Bektenow wies zudem auf die Gründung eines neuen kasachischen Forschungsinstituts zur Untersuchung des Kaspischen Meeres hin, das fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse zur aktuellen Lage und möglichen Gegenmaßnahmen liefern soll. Die bisherigen Prognosen seien jedoch wenig ermutigend. Einige Szenarien gehen davon aus, dass der Wasserspiegel bis Ende des Jahrhunderts um weitere 9 bis 18 Meter sinken könnte, was mit einem Verlust von bis zu einem Drittel der gegenwärtigen Seefläche einhergehen würde.
Internationale Zusammenarbeit nötig
Kasachstan engagiert sich bereits in mehreren Umweltprogrammen. Dazu zählen die nationale Bewegung „Taza Qazaqstan“, das Gletscherforschungszentrum in Almaty sowie die Maßnahmen, die zur Rettung des Aralsees ergriffen worden sind und die allgemein als Modell für grenzüberschreitende Wasserpolitik gelten. Im Rahmen des Vorsitzes im Internationalen Fonds zur Rettung des Aralsees (IFAS) wirbt das Land für kooperative Projekte im Wassermanagement und setzt sich für die Einführung moderner Monitoring- und Frühwarnsysteme ein.
Bektenows Appell richtet sich nicht nur an die Regierungen der Nachbarländer, sondern auch an internationale Umweltorganisationen, Wissenschaftler und Vertreter der Zivilgesellschaft. Denn die Zeit drängt: Das Kaspische Meer verändert sich mit sichtbarer Geschwindigkeit – und mit jeder weiteren vertanen Saison wird die Rückkehr zur Stabilität schwieriger.
Das größte Binnengewässer der Erde
Das Kaspische Meer ist mit einer Fläche von rund 371.000 Quadratkilometern das größte Binnengewässer der Erde. Trotz seines Namens handelt es sich aus geologischer Sicht nicht um ein Meer, sondern um einen abflusslosen Salzsee mit einem sehr unterschiedlichen Salzgehalt: Während das nördliche Flachwasser relativ wenig Salz enthält, ist das südliche Tiefenbecken deutlich salzhaltiger.
Die größte Tiefe des Kaspischen Meeres beträgt etwa 1.025 Meter. Es beherbergt eine Vielzahl einzigartiger Arten, darunter die stark bedrohten Störe, aus denen der berühmte Kaviar gewonnen wird, sowie die Kaspische Robbe, die nur hier vorkommt. Die Wasserzufuhr erfolgt überwiegend durch Flüsse wie die Wolga, den Ural und die Kura, während es keinen natürlichen Abfluss gibt – das Wasser verdunstet ausschließlich über die Oberfläche.
Das Kaspische Meer hat nicht nur ökologische, sondern auch erhebliche geopolitische Bedeutung: Es ist reich an Erdöl- und Erdgasvorkommen, die sowohl über Offshore-Plattformen als auch über Pipelines erschlossen werden. Der schrumpfende Wasserspiegel gefährdet jedoch zunehmend diese Infrastruktur und führt zu Spannungen über die Nutzung und Verteilung der Ressourcen.
Wie sich die Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen wird, hängt wesentlich davon ab, ob es den fünf Anrainerstaaten gelingt, sich auf ein gemeinsames, grenzüberschreitendes Management zu verständigen – bevor es zu spät ist.