Zeit für eine neue Partnerschaft: 2007 verabschiedete die Europäische Union eine Strategie für Zentralasien, die der Region unter anderem Stabilität, Freiheit und Demokratie bringen und der EU neue Möglichkeiten zur Energieversorgung bieten sollte. Die ersten drei der insgesamt sechs Jahre, auf die die Strategie zunächst angelegt ist, sind vorbei. Olga Alinda Spaiser, Doktorantin der Politikwissenschaft in Paris, hat den bisherigen Verlauf verfolgt und zieht im DAZ-Interview eine Zwischenbilanz.
/ Bild: Wikimedia. ‚Wüstenschiffe im Aralsee. Beim Thema Wasserversorgung müssen die zentralasiatischen Länder früher oder später kooperieren. ‚/
Wie ist die EU-Strategie für Zentralasien zustande gekommen?
Die EU hat im Rahmen einer Ausweitung der eigenen Nachbarschaftspolitik einen Weg in diese Region gesucht, die für sie sehr wichtig ist.
Wieso?
Ein wichtiger Aspekt zur Entwicklung der EU-Strategie waren damals die Ressourcen der zentralasiatischen Länder. Nach dem Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland wurde den Mitgliedsstaaten klar, was es bedeutet, von Russland energietechnisch abhängig zu sein. Deswegen haben sie sich nach weiteren potentiellen Energieversorgern umgeschaut.
In der EU-Strategie ist eher von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten die Rede, als von solchen klaren, strategischen Interessen…
…weil das damals irgendwie dem Europäischen Rat und der Bevölkerung verkauft werden musste. Die EU kann nicht einfach harte, strategische Politik machen. Deswegen wurde eine Strategie entwickelt, die so etwas wie Menschenrechte und Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit berücksichtigt. Innerhalb der letzten drei Jahre hat beim Thema Energie jedoch der Realismus Einzug gehalten.
Inwiefern?
Die EU hat begriffen, dass die zentralasiatischen Länder nicht nur an sie verkaufen. Russland und China sind Abnehmer, Indien hat auch Interesse. Da bleibt nicht mehr viel übrig.
Welchen Grund hat die EU dann noch, diese Strategie in Zentralasien weiterzuverfolgen, wenn es nicht mehr die Energieversorgung ist?
Das habe ich Pierre Morel, den EU-Sonderbeauftragten für Zentralasien, bei einem Interview auch gefragt. Er meinte, mittlerweile hätten Sicherheit und Stabilität oberste Priorität. Afghanistan grenzt direkt an Zentralasien und niemand weiß, was passiert, wenn die Truppen aus diesem Land abgezogen werden. Außerdem ist Zentralasien Schauplatz für den Handel mit Menschen, Waffen und Drogen. Dazu kommen politische Instabilitäten. Die EU betrifft das auch. Sie ist an einem stabilen und sicheren Zentralasien interessiert.
Sicherheit und Stabilität – Inwiefern trägt die EU-Strategie für Zentralasien tatsächlich zum Erreichen dieser Ziele bei?
In den letzten drei Jahren haben sich drei Bereiche herauskristallisiert, in denen die EU tatsächlich aktiv ist: Bildung, Herausbildung von Rechstaatlichkeit und Wasserversorgung. Durch konkrete Initiativen in diesen Bereichen schafft es die EU, auf subtile Weise Einfluss zu nehmen. Dadurch hebt sie sich klar von den USA, China oder Russland ab, die ebenfalls aktiv sind.
Für Austauschprogramme wie Erasmus Mundus wurde das Budget für Zentralasien verdoppelt, zentralasiatische und europäische Wissenschaftler erhalten auf Konferenzen die Möglichkeit sich auszutauschen, in Kirgisistan gibt es sogar eine OSZE-Akademie – warum investiert die EU besonders in das Thema Bildung?
So hat sie die Möglichkeit, Einfluss auf die jungen Leute beziehungsweise auf die junge Elite zu nehmen. Sie sollen so fasziniert vom europäischen Modell sein, dass sie dessen Werte mit nach Hause tragen. Das funktioniert zum Beispiel über einen Auslandsaufenthalt. Ich finde diesen Weg nicht schlecht gewählt.
Es gibt immer wieder Kritik an dem, wie Sie es nennen, „subtilen“ Vorgehen der EU. Besonders beim Thema Menschenrechte wünschen sich Aktivisten, aber auch einige Mitgliedsstaaten, eine klarere Position der EU.
Erst einmal: Es ist eine sehr europäische Sichtweise, immer einzufordern, dass die EU irgendwohin geht und sagt, wie was gemacht werden muss. Aber dazu hat sie meiner Meinung nach nicht das Recht. Die EU hat eine Vision von einer Welt, die auf Kooperation basiert. Dazu gehört, dass sie Überzeugungsarbeit leistet und Kooperation fördert, anstatt ihre Werte anderen aufzuzwingen. Dieses Vorgehen finde ich richtig.
Halten sie somit auch den Vorwurf, die EU sei mit den Unruhen in Kirgisistan überfordert gewesen, für falsch?
Es waren doch alle überfordert: Russen, Amerikaner, Zentralasiaten und eben Europäer. Das, was dieses Jahr in Kirgisistan passiert ist, hat gezeigt, dass es augenscheinlich doch keine Stabilität in Zentralasien gibt; in Bezug auf die Unruhen hat die EU eher im Hintergrund agiert und stand der Übergangsregierung unter Rosa Otunbajewa beratend zur Seite. Mehr kann und darf sie aus meiner Sicht auch nicht leisten.
Wie sinnvoll ist überhaupt eine Strategie für eine Region wie Zentralasien, die sich nicht als solche begreift und in der jegliche Art von Kooperation zwischen den Ländern unmöglich zu sein scheint?
Letzteres fördert die EU ja, indem sie Konferenzen organisiert, auf denen sich Zentralasiaten untereinander austauschen können. Das würde ansonsten nicht in dem Maße stattfinden. Ich denke auch, dass die Strategie kleine Erfolge gebracht hat. Es wird mehr über Themen wie Rechtsstaatlichkeit oder Menschenrechte gesprochen. Auch da geht die EU wiederum sehr subtil vor. Sie sagt klar, dass Investitionen nur getätigt werden, wenn eine gewisse Sicherheit im Lande herrscht. Die kann nur über konkrete Gesetze geschaffen werden, die wiederum der Bevölkerung zugutekommen können.
Denken Sie, die Europäische Union könnte in gewisser Weise auch als Vorbild für einen Staatenbund der zentralasiatischen Länder dienen?
Die EU ist aufgrund ihrer Geschichte einzigartig und sorgt deswegen auch in Zentralasien für eine gewisse Faszination. Als ich einen Vortrag an einer Universität in Almaty hielt, sagte mir eine Studentin, dass bei der EU Kohle und Stahl dafür gesorgt hätten, dass sich einst zerstrittene Länder wie Deutschland und Frankreich zu einer Kooperation durchringen mussten. In Zentralasien könne es das Wasser sein. Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit. Das Wasserproblem betrifft alle zentralasiatischen Länder, und sie werden es nicht alleine lösen, so dass sie zur Kooperation gezwungen sein werden.
Interview von Antonie Rietzschel
Dieses Interview entstand im Rahmen einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Konferenz zum Thema „EU-Strategie für Zentralasien. Drei Jahre danach“.