Askhat Omirbajew ist Chefredakteur der kasachischen Zeitung „Karatal“ und schreibt in seiner Freizeit Märchen für Kinder. Zu den Angehörigen der deutschen Gemeinschaft in seiner Stadt Uschtobe pflegt er guten Kontakt. Mit den Übersetzungen seiner Werke möchte er einen Beitrag zum Gedeihen der deutschen Sprache und Kultur in Kasachstan leisten. Zwei davon, ins Deutsche übersetzt vom Freund seines Vaters, stellt die DAZ vor. Geeignet zum Vorlesen für die Kinder unserer Leserinnen und Leser:

Der höfliche Kater

In einem kleinen Dorf in der Nähe des Waldes lebte ein freundlicher Kater. Die Gastgeberin fütterte ihn mit Milch und er ging satt und freundlich durch das Dorf. Der Kater war gut zu allen, aber aus irgendeinem Grund mochte der Welpe des Nachbarn ihn nicht und schikanierte ihn immerzu. So geschah es auch diesmal: Der Welpe sprang unerwartet aus seiner Hütte und begann, den Kater auf der Straße zum Wald zu jagen.

Der Kater hatte große Angst, sein Herz begann heftig zu schlagen. Er erkannte, dass der Welpe diesmal nicht von ihm lassen würde. Er musste fliehen, nur wohin? Irgendwohin, wo der Wald ihn schützte! Nach kurzem Zögern kletterte der Kater auf einen Baum, der von Eichhörnchen bewohnt war. Es gab keinen Kampf, aber er betrat das Haus ohne Erlaubnis. Der Kater war sehr gebildet und erkannte sofort, dass das Eichhörnchen Junge hatte, die noch nie zuvor einem Fremden begegnet waren.

„Guten Tag! Ich bitte um Verzeihung, dass ich Ihr Haus ohne Erlaubnis betreten habe“, sagte der Kater.

„Ich habe bereits vergeben“, sagte das Eichhörnchen. Es hatte gesehen, wie der Gast vor dem Hund davongelaufen war, und erkannt, dass er das Haus nicht freiwillig betreten hatte.
„Oh, was für schöne Kinder! Hab keine Angst, ich werde euch nichts tun“, flüsterte der Kater lächelnd und streichelte die Köpfe der kleinen Eichhörnchen. Als er sah, dass der Welpe nicht mehr auf ihn wartete, machte er sich auf den Weg und kletterte die Treppe hinunter.

„Mama, wer ist das?“ Fragten die Jungen das Eichhörnchen.

„Ein Kater“, sagte das Eichhörnchen. „Er ist sehr gefährlich. Er hat scharfe lange Krallen. Wenn er sich nicht entschuldigt hätte und so höflich gewesen wäre, hätte ich ihn dafür bestraft, dass er ohne Erlaubnis das Haus betreten hat, und ihn vom Baum in die Klauen seines Feindes geworfen.“

„Mama, warum sagst du das? Er hat uns doch angelächelt und jedem von uns über den Kopf gestrichen“, antworteten die Kinder mit einer Stimme.

„Ja, seine sanften Worte und seine Freundlichkeit haben mich sehr berührt. Deshalb habe ich ihm nichts getan und ihn gehen lassen“, antwortete das Eichhörnchen.

„Deshalb, Kinder, seid auch ihr stets höflich und großherzig und gebt Gutes zurück, wenn ihr Freundlichkeit erfahrt!“

Das intelligente Buch

Einst lebten zwei Kinder namens Meirim und Miras. Sie hatten eine Leidenschaft: Sie liebten es, Bücher zu lesen. Wenn sie ein interessantes Buch sahen, ruhten sie nicht, bis sie es bis zu Ende gelesen hatten.

Einmal sahen sie am Rande des Dorfes unter einer großen Weide ein zerzaustes Buch, aus dem mehrere Seiten fehlten. Trotz seines Aussehens leuchtete es mit seinem Einband und lächelte süß. Die Kinder nahmen das Buch und starrten sich fragend an; sie hatten so etwas noch nie gesehen. Dann sprach das Buch:

„Ich bin kein einfaches Buch, sondern ein kluges Buch. Ich habe viele kluge Tipps, die euch im Leben nützlich sein werden. Aber der frühere Besitzer riss meine Seiten aus, und ich verlor viele wertvolle Worte.“ Die Kinder zeigten Mitleid für das kluge Buch.

„Was ist das für ein Junge? Wir werden ihn und deine zerrissenen Seiten finden und dich wiederherstellen.“

Das Buch war begeistert:

„Oh, wie schön war es, euch kennenzulernen.“

Es dankte Meirim und Miras. Auch die Kinder freuten sich, einen neuen Freund kennengelernt zu haben, und machten sich auf die Suche nach dem vorherigen Besitzer des Buches. Auf dem Cover lasen sie seinen Namen. Es stellte sich heraus, dass er Tentekbai hieß. Sie setzten ihre Suche fort und trafen einen Jungen, der Steine auf Hühner warf. Der Beschreibung zufolge sah er aus wie der Besitzer des Buches, Tentekbai.

„Bist du der Besitzer dieses Buches?“, fragten sie ihn und zeigten ein Buch mit Spuren von zerrissenem Einband.

„Ja! Aber ich brauche es nicht mehr; wenn ihr wollt, könnt ihr es nehmen“, sagte Tentekbai.

„Gut, wir nehmen es; aber es fehlen ein paar Seiten, die du aus dem Buch gezogen hast. Wo sind sie?“, fragen die Kinder.

Tentekbai: „Ich habe ein Boot aus den Seiten gemacht, um damit am Bach entlang zu segeln.“

Die Kinder kamen an die Quelle des Baches.

„Bach, Bach! Hast du das Papierboot gesehen?“, fragten sie ihn. Der Bach antwortete:
„Ich kann nicht gut sehen, bitte entfernt das Gras von meinen Augen und baut mir eine Steinmauer von allen Seiten.“

Die Kinder reinigten den Bach und brachten alles in Ordnung, wofür er ihnen dankbar war und sie ins Herz schloss. Er sagte:

„Fragt den großen Apfelbaum nach dem Papierboot, es schwamm in seine Richtung.“
Meirim und Miras kamen zum Apfelbaum:

„Apfelbaum, Apfelbaum! Hast du das Papierboot gesehen?“ Der Baum antwortete:
„Kinder, ich bin sehr durstig, bitte bringt mir etwas Wasser.“

Die Kinder gingen zum Bach, den sie zuvor sauber gemacht hatten, nahmen Wasser, und gossen den Apfelbaum. Der glückliche Apfelbaum gab zwei Äpfel und sagte:

„Ich habe ein Papierboot am Ufer gesehen. Es nahm gerade ein Sonnenbad, als ein Igel kam, es auf den Rücken legte und zu seinem Haus ging.“

Die zwei Freunde kamen zum Igel.

„Igel, wo hast du das Papierboot versteckt?“, fragten sie.

„Ich habe keine Zeit, mit euch zu reden. Meine Kinder sind sehr hungrig, und ich muss Nahrung für sie finden.“

„Wir haben zwei rote Äpfel. Los geht’s, gib sie deinen Kindern.“

Der Igel war begeistert:

„Danke, jetzt werden meine Kinder satt. Als ich das Boot mit mir trug, stieg Wind auf. Das Papier flog gen Himmel und wurde von einer Schwalbe gefangen.“

Der Igel bedankte sich noch einmal bei Meirim und Miras und gab ihnen einen Faden; vielleicht würde er nützlich sein. Die Kinder fanden daraufhin ein Schwalbennest.

„Schwalbe, Schwalbe! Wo hast du das Papierboot gelassen?“

Darauf die Schwalbe:

„Ich habe versucht, aus den Blättern des Boots ein Nest zu bauen. Aber der Wind wehte mich gegen einen Berg, und ich verletzte mir einen Flügel. Jetzt kann ich nicht fliegen und Futter für meine Jungen bringen.“

„Komm, wir verbinden deinen Flügel mit einem Faden und heilen so die Wunde“, sagten die Kinder. Die Schwalbe genoss ihre Fürsorge und brachte die zerrissenen Seiten. Die Kinder klebten sie in das Buch und es nahm seine ursprüngliche Form an. Das kluge Buch war sehr glücklich. Meirim und Miras auch:

„Hurra! Jetzt können wir das Buch von Anfang bis Ende lesen!“ Und so taten sie es auch. Das Buch hatte viele Ratschläge, die ihnen im späteren Leben nützlich waren. Auf seinen zerrissenen Seiten standen insbesondere folgende Zeilen: „Wenn ihr jemandem Gutes tut, wird es euch sicherlich mit Gutem erwidert.“

Seitdem sind die Kinder mit dem intelligenten Buch befreundet und trennen sich nie mehr davon.

Übersetzungen von Eduard Zernickel

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