Nach langer Zeit der Kompromisse mit Mitbewohnern und nicht enden wollendem Ärger mit meinen Nachbarn hatte ich zu guter Letzt doch Ruh. Endlich ungestört in meinen eigenen vier Wänden, juhu! Doch da rannte plötzlich eine Maus durch die Bude. Fand ich es schon schwierig, mich mit meinen Artgenossen zu einigen, wie sollte ich mich nun bitteschön mit einer Maus arrangieren?

Eines Tages flitzte eine Maus durch meine Küche. Mein erster Reflex: Eine Maus! Eine Mausefalle! Das macht man doch so, oder? Ich fand eine Lebendfalle bei Amazon, bei der Gelegenheit bestellte ich noch ein paar Bücher. Die wurden bald darauf geliefert, die Mausefalle nicht. Vor lauter Büchern hatte ich aber ganz vergessen, dass ich eigentlich eine Mausefalle bestellt hatte. In der Zwischenzeit hatte ich mich so an das Dasein der Maus gewöhnt, dass ich auch vergessen hatte, dass ich sie eigentlich loswerden wollte. So wunderte ich mich, von Amazon zu erfahren, dass die zurückgesandte Ware als Bestellung storniert würde. Ach ja, die Mausefalle… Das ganze Bestellgedöns erschien mir nun in Relation zu dem wenigen Ärger, den mir die Maus bereitete, unverhältnismäßig. Aber was fängt man mit einer Maus an, wenn man sie nicht fängt? Kann man sie zähmen? Beißen sie einem in den Finger und übertragen böse Krankheiten? Bleiben sie in einem bestimmten Territorium oder erobern sie nach und nach die gesamte Wohnung? Rufen sie ihre Freunde, wenn sie sich wohl fühlen? Vermehren sie sich wie die Karnickel? Tanzen sie auf dem Tisch herum, wenn man ihnen nicht deutlich macht, wer hier der Herr bzw. die Katze im Haus ist? Fragen über Fragen … Sicherheitshalber fragte ich meinen schlauen Nachbarn, der fast immer auf fast alles eine Antwort weiß, wie man mit einer Maus im Haus umgehen solle. Und tatsächlich, er hatte auch mal eine. Schlimmstenfalls knabbern sie Dinge an, die man nicht angeknabbert haben will, vor allem Stromkabel. Man gebe ihr stets genug zu fressen. Wenn man sich ein Brot macht, mache man ihr auch eines, dann lässt sie auch die Kabel in Ruh. So verblieben wir, mein Nachbar, meine Maus und ich. Bis es dann plötzlich vier Mäuse waren, drei kleine sind hinzugekommen. Na, großartig! Aus vieren werden dann wahrscheinlich irgendwann 12 und so weiter … Meine darauf folgenden Versuche, sie zu vertreiben, sind fehlgeschlagen. Ein Freund riet mir: Ein Tag lang eine Katze im Haus vertreibt jede Maus! Doch da gerade keine Katze greifbar war und ich auch insgeheim Angst hatte, die Katze könnte eine der Mäuse fangen und verspeisen, fing ich sie lieber selbst. Was keine große Kunst war, da sie so unbeholfen waren. Doch es war wie verhext, jedes Mal, wenn ich eine Maus in der Hand hatte, wurde sie plötzlich so warm und weich und niedlich, dass ich es nicht übers Herz brachte, sie von ihrer Familie zu trennen. So ließ ich sie. Heute kam ich nach einigen Tagen Dienstreise etwas beunruhigt zurück. Denn wer weiß schon, was vier Mäuse anstellen, wenn sie sich mehrere Tage ungestört fühlen. Und wie schnell Mäuse wachsen oder sich vermehren. Doch einzig fand ich eine Maus in meinem Mülleimer liegend. Halbtot. Verdammt! Wie rettet man eine halbtote Maus? Herzmassage? Ob sie an Hunger und Durst leidet? Ein wenig Handwärme und Liebe? Das gebrochene Bein schienen? Oder bedeutet es für sie Stress, wenn sie von einem Menschen betatscht wird? Sollte ich sie lieber in Ruhe lassen? Ich bettete sie in ein kuscheliges T-Shirt, legte sie mir auf den Schoß, hielt meine Hand schützend über sie, legte ein Stück Käse vor ihre Nase und wartete. Ob ich eine Hotline oder eine tierärztliche Online-Beratung in Anspruch nehmen sollte, fragte ich mich. „Hallo, ich habe hier eine Maus, die einige Tage allein in einem Mülleimer gehockt hat und nun geschwächt ist. Ist es das Herz oder eine Mangelerscheinung?“ Währenddessen erholte sie sich, wackelte auf zitterigen Beinchen auf mir herum, wurde immer trittfester und munterer, bis ich sie schließlich auf den Boden setzte. Sie suchte sich einen Platz unter dem Klavier. Und schlief ein. Wie ich dachte. Hoffte. Genau, sie muss sich nun von den Strapazen meiner Fürsorge erholen. Schlaf nur, kleine Maus. Jetzt war ich aber doch unruhig und stupste sie an, man macht sich ja doch ein wenig Sorgen. Aber ach, sie war ganz steif. Nun ist sie doch gestorben. Einfach so. Wie sterben Mäuse? Was denken oder empfinden sie? Warum hat sie sich ausgerechnet diesen Platz zum Sterben ausgesucht? Hatte sie Schmerzen? frage ich mich und bin traurig, dass sie tot ist und nicht mehr in meiner Küche rumort. Arme Maus!

Julia Siebert

24/04/09

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