Jedes Jahr können Bergsportbegeisterte beim „Alpine Race“ im Skiresort Shymbulak auf ihre Kosten kommen und einen Wettkampf in der Disziplin ihrer Wahl belegen.

In diesem Jahr war es am 5. März so weit. Ich wählte für mich die Disziplin Skyrunning, da mir die für Skibergsteigen und Schneeschuhlaufen erforderliche Ausrüstung fehlte. Mit meinem „selbstgestrickten“ Trainingsprogramm hatte ich bereits im Dezember begonnen. Die letzten Tage vor dem Start waren von Überlegungen bezüglich Bekleidung und Ausrüstung geprägt. Beim Bergauflaufen zählt jedes Gramm, deshalb musste ich das Gewicht minimieren und gleichzeitig gewappnet sein für den eisigen Wind vom Talgar-Pass auf dem letzten Abschnitt. Was Schuhe betrifft, zog ich diesmal meine knöchelhohen Laufschuhe mit Membranen an, um meine Füße trocken zu halten. Obwohl es auf der Strecke eine steile Stelle mit hartem Schnee gab, verzichtete ich nach einigem Zögern auf Steigeisen.

Der Morgen des 5. März begann bei mir, wie üblich, mit Morgengymnastik im Park und Haferbrei zum Frühstück. Um 9:30 nahm ich ein Taxi zur Seilbahnstation bei Medeo. Meine Startnummer erlaubte mir das kostenlose Benutzen der Seilbahn am Tag des Wettbewerbes. Um 10:30, eine halbe Stunde vor dem Start, kam ich in Shymbulak an. Zu dieser Zeit starteten gerade die Skibergsteiger und Schneeschuhläufer. Ich ging zu dem riesigen weißen Zelt, wo in einer Ecke die Garderobe eingerichtet war, aß ein Gel und trank Mineralwasser. Das Gel ist eine Mischung aus schnellen und langsamen Kohlehydraten, die eine gleichmäßige Energiezufuhr des Organismus über längere Zeit erlauben. Das Mineralwasser benutzte ich, um den Mineralienverlust beim Schwitzen zu kompensieren.

Skyrunning-Influencer am Start

Beim Umziehen wurde ich von einer freundlichen Zeitungskorrespondentin interviewt. Ich hatte den Eindruck, in einem Hollywood-Film zu sein. Der Eindruck wurde durch die Anwesenheit ihres Fotografen verstärkt. Dann deponierte ich meine Sachen an der Garderobe, wärmte mich auf und stand um 10:50 mit 410 Gleichgesinnten vor dem roten aufblasbaren Startbogen. Links von mir habe ich Pedro erkannt. In seinen Videos auf YouTube teilt Pedro seine Begeisterung für den Berglauf und seine Erfahrungen mit seinen Fans, zu denen auch ich mich zähle. Persönlich habe ich ihn zum ersten Mal getroffen und freute mich über die Gelegenheit, mich bei ihm für seine Videos zu bedanken.

Ich war überzeugt, dass Pedro Erster in diesem Lauf werden würde, da die anderen drei Läufer seines Niveaus, Fjodor Suchonosow, Tschingis Baikaschew und Denis Wlasow, diesmal im Skibergsteigen antraten – seit kurzem eine olympische Disziplin, für die Kasachstan eine Nationalmannschaft aufbauen will. Im Unterschied zu Pedro waren meine Chancen in meiner Altersgruppe 60-69 ungewiss. In den letzten Jahren enthielten die Startlisten die entsprechende Spalte nicht, deshalb wusste ich nicht, welche Überraschungen mich in meiner Altersgruppe erwarteten. Ich beschloss, darüber nicht mehr zu grübeln, sondern den Lauf in guter Gesellschaft zu genießen.

Ideale Wintersportbedingungen

10 Sekunden vor dem Start. Der Countdown beginnt. „Zehn, Neun, Acht, Sieben“ – Hunderte Lungen stoßen die Zahlen aus – „Sechs, Fünf, Vier“ – Adrenalin schießt in die Adern, der Körper, bereit zum Take-off, scheint Gewicht zu verlieren – „Drei, Zwei, Eins“ – die Strecke steht vor den Augen wie eine Wand – „Start!“ Ich stürme mit den anderen Läufern vorwärts, als ob es um eine Kurzstrecke in einem Stadion und nicht um einen Bergaufstieg geht.

Kurz nach dem Start verengt sich die Strecke, eingezwängt von einer Schanze für Freestyle. Wenn die Läufer nicht schnell genug sind, entsteht hier ein Stau. Ohne diese Schanze wäre die Raserei unnötig. Unter anderen Bedingungen wäre ich langsam gestartet und allmählich in das Arbeitstempo eingestiegen. Endlich war dieser Flaschenhals vorbei, und ich konnte weiter mit der normalen Geschwindigkeit steigen. Das war schwer. Nach dem ersten Schwung bewegte sich mein Körper nur durch Zwang bergauf. Erst nach einer Weile hat er sich mit meinem Tempo abgefunden, und ich konnte das Geschehen genießen. Alles war herrlich. Die Sonne lächelte, die Fichten grünten, die Luft war warm, der Schnee war fest genug, aber noch nicht rutschig, und es gab genug Raum zum Überholen und um überholt zu werden.

Überraschungen ausgeschlossen

Der Aufstieg zum Hotel S.N.e.G. an der Seilbahnumsteigestation ist besonders steil und rutschig. Alle traten hintereinander in die Spuren, die der Leader im harten Schnee ausgeschlagen hat. Ich versuchte ein Überholmanöver. Oje! Meine Laufschuhe waren zu weich, um den harten Schnee zu durchstoßen. Beim Training stieg ich an dieser Stelle seitwärts und rammte meine Fersen in den Schnee. Diesmal half dieser Trick nicht: ich bewegte mich nicht schneller als die Schlange, verbrauchte dabei doppelt so viel Kraft. Ich nahm meinen Platz in der Schlange ein, die wie eine gigantische Anakonda gemächlich ihren unendlichen Rumpf zum Hotel hinaufzog. Zu gemächlich, zu langsam. Nichts zu machen. Die Anakonda war kalt und gefühllos.

Kurz vor dem Hotel löste sich die Schlange endlich auf. Am Hotel entlang konnte ich rennen. Pieps! Ich lief zwischen den Geräten des Kontrollpunktes hindurch, die den Transponder auf meiner Startnummer abfragten und meine Daten per Satellit in das Internet schickten. Fantastisch! Am Verpflegungspunkt lief ich vorbei, ohne zu stoppen. Hinter dem Hotel erwartete mich eine Überraschung.

Beim letzten Alpine Race 2021 wich die Route dem steilen Hang hinter dem Hotel nach rechts zur Piste aus, diesmal mussten wir diesen Hang geradeaus besteigen. Dieser Aufstieg war sogar noch steiler als derjenige vor dem Hotel. Der Schnee war immerhin weich, so dass die Füße in ihm versanken. Und es gab Raum zum Überholen. Hinter dem Hubschrauberlandeplatz kamen wir auf der Piste an. Der mit Maschinen präparierte Pistenschnee war ideal fürs Laufen. Das letzte Stück der Strecke lag vor Augen. Ab diesem Punkt waren jegliche Überraschungen unmöglich – ausgenommen ein Zusammenstoß mit einem besessenen Skifahrer oder Snowboarder. Bei dieser Breite der Piste zählen normale Skifahrer und Snowboarder nicht. Ich nahm den Rhythmus auf und arbeitete mich methodisch zum Ziel vor.

Der älteste Teilnehmer ist über 80

2021 ging es mir auf dieser Strecke ausgesprochen schlecht. Diesmal jedoch war ich voll entspannt. Hatte ich den Ehrgeiz im Laufe der letzten zwei Jahre verloren? Auf dem Talgar Pass ankommend klickte ich meine Stöckchen aus, um das letzte Stück zum Zielbogen zu rennen. Ein junger Mann versuchte, mich einzuholen. Ich nahm die Herausforderung an und beschleunigte. Wir rasten durch den roten Zielbogen, er überholte mich dabei. Wir gehörten zu verschiedenen Altersgruppen, deshalb war unsere Raserei eigentlich sinnlos. Aber warum sollten wir uns so einen Spaß entgehen lassen?

Hinterher stellte sich heraus, dass das eigentliche Ziel nicht der Zielbogen war, sondern ein Mädchen dahinter, das uns verfolgen musste, um unsere Transponder mit ihrem Handgerät abzulesen und damit unsere Zeit festzustellen. Es folgten gleich Finisher-Medaillen, Umarmungen und Gratulationen. Am Verpflegungspunkt neben der Jurte habe ich mich mit ein paar Bananen- und Schokoladenstückchen gestärkt. Zwei Becher Cola mit heißem Wasser kamen dazu. Im Gegensatz zu 2021 war es nicht besonders kalt auf dem Pass. Ich zog meine Windjacke an, aber darunter war ich ganz nass und musste schnell nach Shymbulak absteigen, wo trockene Wäsche, eine warme Daunenjacke und heißer Pilaw auf mich warteten. Es war verlockend für mich, diese vier Kilometer nach unten zu Fuß zurückzulegen. Ich nahm aber die Seilbahn, um schneller zum Pilaw zu kommen. Eine kleine Enttäuschung: der Pilaw wurde erst eine Stunde später geliefert.

Dank dem System konnten die Preisträgerlisten noch vor dem Ende des Laufs ausgedruckt und ausgehängt werden. In der Gesamtwertung lag auf Platz 1 von 411 Pedro mit einer Zeit von 00:44:34. (Der letzte Teilnehmer brauchte für die Strecke 2 Stunden, 15 Minuten und 49 Sekunden.) Der älteste Teilnehmer, der 84-jährige Wladimir Wassiljewitsch Kowaltschuk, war auf Platz 285 in der Gesamtwertung und auf Platz 2 in seiner Altersgruppe (Männer 70+) mit einer Zeit von 01:23:40. Meine Hochachtung! Ich selbst war auf Platz 85 in der Gesamtwertung und auf Platz 1 von 5 in der Altersgruppe Männer 60-69 mit einer Zeit von 01:02:19.

Die Preisverleihung fand ein paar Stunden später statt und schloss dieses wunderschöne Sportfest ab.

Anton Turovinin

Das Alpine Race ist eine jährliche Sportveranstaltung, deren Teilnehmer in einer von drei Bergsportarten antreten können: Skyrunning, Skibergsteigen und Schneeschuhlaufen. Alle Starts finden im Skiresort Shymbulak auf einer Höhe von ca. 2.300 Metern statt. Das Ziel befindet sich an einer Jurte auf dem Talgar Pass auf einer Höhe von ungefähr 3.200 Metern. Die Distanz für Skyrunning, Skibergsteigen der Frauen und Schneeschuhlaufen beträgt vier Kilometer mit einem Höhenunterschied von 900 Metern. Die Strecke für das Skibergsteigen der Männer ist 5,5 km lang. Im Skyrunning gibt es außerdem die Kurzstrecken „Light“ und „Kids“. Der Organisator des Alpine Race ist „Extremalnaja Athletika“, ein Unternehmen, das auf Wettbewerbe im Skyrunning, Trailrunning, Marathon, Extrem-Hindernislauf, Langstreckenschwimmen und auf verschiedene Arten von Radsport spezialisiert ist.

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