Im Verlauf des Programms der internationalen thematischen Jugendakademie in Pawlodar fand neben einem intensiven Trainings– und Workshop-Programm auch die Jahreshauptkonferenz des deutschen Jugendverbands in Kasachstan statt, in deren Verlauf die Wahlen um den Vorsitz abgehalten wurden.
Alle drei Jahre findet die Wahl des Vorsitzenden des Verbandes der deutschen Jugend in Kasachstan (VDJK) statt. Diese Vereinigung fasst alle regionalen deutschen Jugendinitiativen in ganz Kasachstan in Verbandsform zusammen. In die jeweiligen regionalen Jugendclubs können alle Interessierten 14- bis 29-Jährigen kasachstanweit unentgeltlich eintreten und so aktiv am gesellschaftlichen Leben der deutschstämmigen Bevölkerung der Republik teilhaben.
Seit der Begründung des Verbands im Jahr 1996 wechselten bereits sechs Vorsitzende und fanden zum Teil ganz unterschiedliche Zustände des Verbands vor. Hört man Olga Stein (Vorsitz 1997-2000) während ihrer Ansprachen zur Jahreshauptkonferenz des Verbandes zu, so müssen die Anfangsjahre in den 90ern die fruchtbarsten der Jugendorganisation gewesen sein: „Im Vergleich zu heute war es eine Massenbewegung und zwar eine sehr aktive.“
Der Abfall des anfänglichen Enthusiasmus und des ehrenamtlichen Engagements wird seitens vieler Redner mit dem Wegzug der Deutschen und den businessorientierten 2000er Jahren in Kasachstan erklärt, wo scheinbar kein Platz für Freiwilligenarbeit blieb. Die heutigen geringen Mitgliederzahlen von insgesamt ca. 600 Mitgliedern kasachstanweit verbinden demnach nur ein Prozent der deutschen Jugend Kasachstans.
Dass dieses eine Prozent dennoch recht lebendig ist, zeigen die teils umfangreichen Tätigkeitsberichte und Projektpräsentationen einzelner Jugendzentren, die eine Palette an Engagement und Ideenreichtum offenbaren.
Nicht auf dem Posten ausruhen
In diesem Jahr feiert der Verband sein 20. Jubiläumsjahr und veranstaltet eine Jugendakademie internationalen Ausmaßes – inklusive Jahreshauptkonferenz und Wahl des Vorsitzenden. Eine richtige Wahl ist es zwar nicht, da es nur einen Kandidaten gibt. Jedoch kann sich die Wahlkommission immer noch für bzw. gegen ihn entscheiden. Überraschenderweise entscheidet sich diese zunächst für eine geheime Wahl, was schon einmal auf ein nicht eindeutiges Ergebnis hindeutet. Nach der Abstimmung sprechen sich die 18 wahlberechtigten Delegierten mit zwölf Stimmen für Artur Bartel aus. „Die Gegenstimmen sollten als Stimulation zu einer produktiven Verbandsarbeit dienen“, so die stellvertretende Vorsitzende der deutschen Gebietsgesellschaft Pawlodar Olga Litnewskaja zum Wahlergebnis. Die Überrepräsentanz der Frauen im Jugendverband wird erst wieder in der Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden deutlich, als erste Stellvertreterin wird Valeria Solomennikowa aus Ridder und als zweite Lilli Straub aus Pawlodar bestimmt.
Der neue Vorsitzende zeigt sich zwar wenig überrascht, doch sichtlich gerührt. Der einst in Pawlodar aktive Jugendexperte hat ab sofort einen zweiten Posten zu bekleiden. „Diese beiden Posten zu verbinden ist sehr bequem, denn man ist in einer Sphäre und hat die gleichen Ziele. Nun kann ich den Verband direkt, ohne Umwege, repräsentieren.“
Aktion durch Angleichung
An dem Motto der Jugendtage „Beitrag zur nationalen Einheit Kasachstans“ konnte man nicht nur den Einklang mit dem kasachischen Staat ablesen, sondern auch den Wunsch nach Ganzheit. Artur Bartel sieht nun eine Chance zur Annäherung an den Dachverband „Wiedergeburt“. „Wir können nun ruhig aus unserer Systemkrise herausschreiten. Ich denke, dass wir in Zukunft nur auf Verbesserungen blicken werden und der bisherigen Passivität ein Ende bereiten.“ Die Jahre zuvor hätte sich der Verband seiner Meinung nach in einer passiven Gegenhaltung zum Dachverband (Assoziation der Deutschen Kasachstans) befunden. Sein Vorgänger Ruben Bachmann (2013-2016) gestand in seiner Ansprache auch großzügig einige Fehler während seiner Amtszeit ein, beteuerte jedoch, immer im Interesse der Jugend und des Fortschritts gehandelt zu haben. Er betont für die Jugend den ideellen Wert von Freiwilligenarbeit und den unkommerziellen Charakter der Verbandsorganisation. Nach anscheinend mehreren Auseinandersetzungen mit dem Dachverband in den vergangenen Jahren geht er nach dem Motto: Der Klügere gibt nach. Er hätte stets für mehr Mitbestimmung gekämpft, da der Jugendverband seiner Einschätzung nach „keine juristischen Entscheidungsmöglichkeiten auf höheren Ebenen hat, somit das allgemeine Förderprogramm nicht beeinflussen kann und keine Chance hat, von der Jugend ausgehende Projektstrategien und Vorschläge in dieses direkt zu implementieren.“
Umso interessanter in diesem Zusammenhang, dass Jelena Popowa, stellvertretend für die Assoziation der Deutschen, im Verlauf der Jahreshauptkonferenz des VDJK mehrfach betont und die anwesenden Jugendlichen dazu auffordert, formlose Ideen und Vorschläge zu sammeln und beim Dachverband einzureichen, mit dem Versprechen, alle zu sichten und bei der Jahresplanung zur Diskussion zu stellen. „Die Finanzierung für Jugendprojekte ist umfangreich, jedoch mangelt es an der Jugend.“ Vor allem sei man hier an der Einbindung der entlegenen ländlichen Regionen interessiert.
Ultimatum für Strategiekonzept
Obwohl in diesem Jahr der 20. Geburtstag des Verbands gefeiert wird, sieht Bachmann nichtsdestotrotz zwei Dekaden als ein junges Alter für eine Organisation an und betont, dass es für den Verband noch Einiges zu lernen und zu entwickeln gäbe. Durch internationale und national differenzierte Kooperationen (z.B. mit dem Bolaschak-Programm, anderen Kulturverbänden, NGOs etc.) sei es seiner Meinung nach notwendig, auf ein höheres Niveau zu kommen.
So sehen das auch viele der Anwesenden. Anscheinend teilt auch der deutsche Förderer in Form des Bundesministeriums des Innern diese Ansicht und fordert vom Verband bis Dezember ein detailliertes Entwicklungskonzept.
Als Hauptziel sieht Bartel für das kommende Jahr in einem internationalen Jugendforum mit Beteiligung der Jugendverbände der deutschen Minderheit in Europa und GUS-Raum um Sprachförderung und Kulturaustausch. „Insbesondere der Sprachaspekt ist für einen Fortbestand der Organisation essentiell.
Agenda
Ländliche Gebiete einzubinden und eine geeinte überregionale Informationsstruktur des Verbands aufzubauen, sind einige weitere Hauptziele der Vereinigung für das kommende Jahr.
Auf Anmerkungen seitens der Gäste resümiert man des Weiteren, dass die Verbandsarbeit auf dem gemeinsamen Miteinander der deutschen Minderheit basiert und dem Erhalt der deutschen Identität durch Sprache, Traditionen und Solidaritätsbewusstsein dient.
Solidarisch sollte man auch immer mit dem Vorsitzenden sein, findet Bachmann, dem es am Ende seiner Laufzeit an eben dieser Solidarität mangelte. Sein Nachfolger Bartel ist der Meinung, dass ein neuer Mensch in einer Position zunächst immer mehr Kraft als sein Vorgänger mitbringt. „In meinen Augen müssen Veränderungen vonstatten gehen. Fünf Jahre sind eigentlich eine gute Zeit, um seine Arbeit auf einem gleichbleibenden Niveau leisten zu können. Alle fünf Jahre sollten die Clubs Neuwahlen anordnen und es sollte immer vorrangig um die Interessensvertretung der Jugend gehen.“
Fortschritt nur mit System
Die allgemeine positive Stimmung der Jugendakademie färbt auch die Jahreshauptkonferenz und die Wahl. Entgegen kleinen Schwingungen von Konkurrenz und Uneinigkeit im Verlauf der Konferenz scheinen am Ende alle an einem gemeinschaftlichen Wohlgefallen interessiert. Trotz etwaiger Unentschlossenheit und dem Fehlen von enthusiastischen Visionen vereint die Hoffnung auf ein allgemeines „Mehr“. Falls die derzeit noch unzureichenden konkreten Entwicklungsstrategien des Verbandes in absehbarer Zukunft tatsächlich präsentierbar werden, könnte das die erste frohe Kunde eines neuen Abschnitts für die deutsche Jugend Kasachstans einläuten.