Das Uigurische Theater beeindruckt mit Gesang und einer farbenprächtigen Inszenierung. Mit dem Stück „Anarchan“ wurde in Almaty die 79. Saison eröffnet.

Manchen gilt Theater als eine ernste und steife Angelegenheit. Zwei Stunden Monologe oder Dialoge auf der Bühne können schon in der eigenen Muttersprache zuweilen anstrengend sein. Warum dann ein Stück ansehen in einer Fremdsprache wie dem Uigurischen, eine dem Kasachischen verwandte Turksprache, von der die meisten deutschen Muttersprachler kein Wort verstehen?

Wer sich dennoch ins Uigurische Theater wagt, das in Almaty in der Naurysbai-Batyr-Straße über eine feste Spielstätte verfügt, kann dort eine Überraschung erleben. Es ist eine bunte Mischung an Menschen, die sich dort versammelt hat, um das Stück „Anarchan“ zu sehen, mit dem traditionell die Spielzeiten eröffnet werden – nunmehr bereits die neunundsiebzigste. Es sind viele alte Zuschauer da, manche haben sich ihre Orden angesteckt, manche tragen traditionelle uigurische Tübetejkas, andere eher sowjetisch anmutende lederne Schirmmützen.

Aber auch die Jugend zieht es ins Theater, und neben Uiguren auch sichtbare Vertreter anderer Völker wie den alten Kasachen mit Filzhut oder zwei buddhistische Mönche in orangenen Roben.

Als das Stück beginnen soll, strömen immer noch Menschen in den Saal, der eigentlich schon voll besetzt ist. Eilig werden Stühle herangeschafft, doch für alle reicht es nicht, einige verfolgen das Stück im Stehen. Ein Stimmengewirr liegt in der Luft, das auch während der Vorstellung nicht ganz abreißt – außer in einigen dramatischen Szenen, in denen alle wie gebannt auf die Bühne starren.

Tanz und Gesang auf der Bühne

Doch zunächst beginnt das Stück spielerisch, vor einer dörflichen Kulisse. Es wird gesungen, getanzt, gescherzt – und die Zuschauer gehen mit, klatschen im Takt zur Musik, lachen über die Scherze. Man kann sich die Handlung, die nach der Szene im Dorf in einem reich geschmückten Sultanspalast und schließlich vor einer großen orientalischen Moschee spielt, ungefähr folgendermaßen zusammenreimen: die große Liebe des jungen Dorfburschen Anarchan wird gegen ihren Willen in ein Harem verheiratet. Anarchan befreit sie schließlich, doch die beiden Liebenden werden gefasst und öffentlich verurteilt.

Parallelen zu „Romeo und Julia“ drängen sich auf, doch noch mehr Ähnlichkeiten hat „Anarchan“ zu „Sängär Schäl“ (Blauer Schal), einem Stück des tatarischen Theaters, das in Kasan seit Jahrzehnten vom Publikum mit ähnlicher Begeisterung aufgenommen wird. Es wäre eine lohnende Aufgabe für einen Turkologen und Theaterkundler, einmal der Frage nachzugehen, welcher Urstoff hier in den frühen Jahren der Sowjetunion von unterschiedlichen Völkern verarbeitet wurde.

Beißende Sozialkritik

Zentral ist sowohl „Anarchan“ als auch „Sängär Schäl“ die sozialkritische Botschaft, die ihren Ausdruck findet in einer beißenden Kritik an der Verquickung von Religion und Macht und der Instrumentalisierung von Religion zur Unterdrückung der Armen. In „Sängär Schäl“ ist es ein lüsterner Mullah, der sich entgegen den Gesetzen seiner eigenen Religion bereits die fünfte Frau nimmt. In „Anarchan“ sind es die reichen, dicken, selbstzufriedenen Machthaber, die ihre rauschenden Feste und zynischen Gespräche kurz unterbrechen, um pflichtschuldig zum Gebet zu eilen, wenn der Muezzin ruft. Ihnen gegenüber stehen die einfachen Menschen mit ihren ehrlichen, unverdorbenen Gefühlen von Liebe, Trauer und Verzweiflung.

Das tatarische Stück „Sängär Schäl“ endet, indem zu revolutionären Klängen die Ausgestoßenen aus dem Wald ins Dorf zurückkommen, um ihre Ausbeuter zu vertreiben. „Anarchan“ dagegen klingt auf eine tragische Note aus, macht nachdenklicher. Es ist ein Stück, das seine Wurzeln unverkennbar in der sowjetischen Zeit hat, mit seiner menschlichen Botschaft jedoch über alle Ideologie hinaus die Herzen des Publikums bewegt.

Von Robert Kalimullin

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