Am 1. Januar hat Russland den Vorsitz in der Eurasischen Wirtschaftsunion und ihren Organen übernommen – dem Obersten Eurasischen Wirtschaftsrat, dem Eurasischen Zwischenstaatlichen Rat und dem Rat der Eurasischen Wirtschaftskommission.

Aus diesem Anlass hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin am Montag in einer Botschaft, die auf der Seite des Kreml veröffentlicht wurde, an die Staatsoberhäupter der anderen Mitgliedstaaten gewandt. Putin beschwört dort „ein gemeinsames Verständnis des historischen Schicksals, die Stärkung der kulturellen und sozialen Gemeinschaft der Völker der Unionsländer“ als „Schlüssel zum Erfolg der EAWU“.

Einmal mehr betont Putin, welche Rolle er für die EAWU in der Welt sieht: als „einer der mächtigen, unabhängigen, autarken Pole der entstehenden multipolaren Welt, einem Anziehungspunkt für alle unabhängigen Staaten, die unsere Werte teilen und die Zusammenarbeit mit der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft anstreben“. Die Verflechtung der Mitgliedstaaten sei, so Putin, eine würdige Antwort auf globale Probleme wie Armut, Klimawandel und Ressourcenknappheit. Deren Entstehung, so Putins Sichtweise, sei zumindest teilweise auch mit „illegitimen Sanktionen einer Reihe von Staaten“ verbunden.

Entfremdungstendenzen zwischen Moskau und seinen Partnern

Russlands Vorsitz in der Wirtschaftsunion, der auch Armenien, Belarus, Kasachstan und Kirgisistan angehören, fällt in eine Zeit zunehmender Entfremdung zwischen dem größten Land der Erde und einer Reihe von bisherigen Partnern – darunter auch EAWU-Mitgliedstaaten. Das hat zum einen mit dem russischen Vorgehen in der Ukraine zu tun, zum anderen aber auch mit seiner Rolle in anderen regionalen Konflikten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.

Besonders deutlich sichtbar wurde dies vor zwei Wochen, als Armenien ein bereits offiziell angekündigtes gemeinsames Militärmanöver im Rahmen der OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) absagte. Hintergrund: der Konflikt Armeniens mit Aserbaidschan um Berg-Karabach. Denn obwohl es in den letzten beiden Jahren mehrfach zu erheblichen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Nachbarn und Angriffen auf armenisches Territorium kam, bat Armenien erfolglos um Beistand seitens des russisch geführten Militärbündnisses. Und Russland selbst, das traditionell als Schutzmacht Armeniens auftrat, entsandte lediglich ein kleines Kontingent an sogenannten Friedenstruppen, die allerdings nicht eingriffen, als Aserbaidschan militärisch Fakten schuf.

Zentralasiatische Länder fordern mehr Respekt

Auch ein tödlicher Grenzkonflikt zwischen Tadschikistan und Kirgisistan, die beide OVKS-Mitglieder sind, wurde im vergangenen Jahr als Indiz für einen Autoritätsverlust Russlands in seiner Nachbarschaft gesehen. Hinzu kamen mehrere Gipfeltreffen, auf denen Putin von einem der beiden zentralasiatischen Partner bloßgestellt wurde: Einmal ließ Kirgisistans Präsident Sadyr Schaparow den Kremlherrn bei einem bilateralen Treffen warten. Ein anderes Mal – beim großen Gipfeltreffen der GUS-Staaten in Astana – warf Tadschikistans Emomali Rahmon Putin vor laufender Kamera mangelnden Respekt für die Interessen der Länder der Region vor.

Kasachstan, das außenpolitisch traditionell eine Multivektorpolitik vertritt, verhält sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs gegenüber Russland neutral. Dennoch machte es auch immer wieder klar, dass es sich nicht als Standort zur Umgehung von Sanktionen gegen Russland zur Verfügung stellt. Stattdessen hat es sich inzwischen gar als Alternative zu Russland positioniert, wenn es um Energielieferungen für Europa geht. Dem Kreml gefiel das nicht, weshalb Russland die Weiterleitung von kasachischem Öl gen Westen im vergangenen Jahr mehrfach blockierte. Aktuell hingegen erlaubt Russland den Weitertransport kasachischen Öls über seine Pipelines.

Alternative Transportrouten zur Umgehung Russlands

Angesichts der Meinungsverschiedenheiten zwischen Russland und seinen Partnern wird es spannend sein zu beobachten, wie sich die Zusammenarbeit innerhalb der EAWU unter russischer Präsidentschaft gestaltet. Die von Putin für das nächste halbe Jahr formulierten Prioritäten sind ambitioniert: Es geht um technologische Entwicklung, Digitalisierung, Zollvereinfachungen, Steuerregulierungen, Logistik und Transport.

Gerade im letzteren Bereich lassen sich aber Tendenzen einer Umgehung Russlands erkennen. Denn nicht zuletzt wegen der Unsicherheiten im Zusammenhang mit Sanktionen gegen Russland wird der sogenannte „Mittlere Korridor“ immer öfter als Alternative zur „Nordroute“ ins Spiel gebracht: eine Route für den Warentransport von China nach Europa auf dem Land- und Seeweg, über das Kaspische Meer, vorbei an russischem Territorium.

Christoph Strauch

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