In der Zarenzeit und in der Sowjetunion war Kasachisch nur eine Sprache zweiten Ranges hinter Russisch. Doch nun lernen immer mehr Menschen in Kasachstan die Sprache ihres Heimatlandes. Für sie ist es auch ein Weg, die russische Vergangenheit aufzuarbeiten.

Suinbike Suleimenowa begrüßt einen mit „Salem“ – Kasachisch für Hallo. Noch vor kurzem wäre das wohl nicht so passiert. Denn obwohl Suleimenowa gebürtige Kasachin ist, lernt sie die Sprache ihres Heimatlandes erst seit etwa zwei Jahren. Damals begann für die Künstlerin ein Umdenken: „Irgendwie sind kulturelle Projekte bei uns immer von der Sprache getrennt. Ich finde das schrecklich“, sagt sie.

Also besucht sie Sprachkurse, kauft sich Lehrbücher und fängt an, die Grammatik zu lernen. „Bei jeder Gelegenheit bin ich auf die Straße gegangen und habe mit Leuten gesprochen“, erzählt Suleimanova. Und schließlich beschließt sie, über ihr Eintauchen in die kasachische Sprache einen Film zu drehen. Auch unser Gespräch wird von einer professionellen Kamera gefilmt. Der Titel des Films lautet Mämbet – ein abfälliger Begriff für junge Menschen aus dem ländlichen Süden Kasachstans schlecht gebildet.

Früher war Kasachisch eine Sprache zweiten Ranges

Begriffe wie Mämbet zeigen den gesellschaftlichen Wert, den Kasachisch lange hatte, in einem Land, wo die eigene Karriere von Russischkenntnissen abhing. Nur wer gut Russisch konnte, hatte während des Zarenreiches, aber auch während der Sowjetzeit überhaupt die Chance, gesellschaftlich aufzusteigen. „Im Vergleich zu Usbekistan, Tadschikistan oder Turkmenistan war beim Zusammenbruch der Sowjetunion die Zahl der Menschen, die Kasachisch als Muttersprache oder im täglichen Gebrauch sprachen, relativ gering“, erklärt der Historiker und Politikwissenschaftler Zhar Zardykhan.

Ihm zufolge liegt das daran, dass Kasachstan noch länger als der Süden Zentralasiens unter russischer Herrschaft war. „Kasachisch wurde gewissermaßen zur zweiten Sprache verdrängt, vergessen oder ignoriert.“ Doch nun ändert sich das, was für Zardykhan vor allem am demografischen Wandel hängt: „Die Mehrheit der Jugendlichen hier sind ethnische Kasachen, deren Muttersprache Kasachisch ist. Künftig werden also mehr und mehr Menschen Kasachisch sprechen, auf Kasachisch schreiben und auf Kasachisch lesen.“

In Almaty und anderen großen Städten entstehen derzeit Sprachclubs, wo sich Menschen treffen und mit Liedern und Literatur die kasachische Sprache erlernen. Darunter auch ethnische Russen, die in Kasachstan leben oder wegen der Mobilisierungskampagnen aus Russland geflohen sind. Einige von ihnen haben sogar eigene Sprachklubs gegründet, wie der Russe Alexej Skalozubow, der in Almaty den Sprachclub „Batyl Bol“ leitet.

Lateinisches statt kyrillisches Alphabet

Die Distanzierung von Russland führt auch zu Bestrebungen, für Kasachisch genauso wie für andere Turksprachen das lateinische statt das kyrillische Alphabet zu nutzen. Bis 2025 will die kasachische Regierung den Wechsel vollzogen haben. Für Zhar Zardykhan ist dies nur ein logischer Schritt, da viele Kasachen bereits im Alltag das lateinische Alphabet nutzen. Es jedoch flächendeckend umzusetzen, wird wohl sehr teuer werden.

Ob dann auch wie im benachbarten Kirgisistan ein Gesetz kommt, das Beamte dazu verpflichtet, nur noch die kasachische Sprache zu verwenden? Zardykhan hält das für nicht nötig, denn ihm zufolge sind die meisten kasachischen Beamten auch in der Lage, Kasachisch zu sprechen: „Das ist ja auch nichts Ungewöhnliches. Auch in Deutschland kann man ohne Deutschkenntnisse wahrscheinlich nicht Staatsbürger sein, geschweige denn
Beamter.“

Die kasachische neue Welle

Doch auch wenn es kein Sprachgesetz gibt, will Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew die Staatssprache weiterentwickeln: „Wir müssen die kasachische Sprache nicht nur als reguläres Kommunikationsmittel nutzen, sondern sie auch zu einer Sprache der Wissenschaft und Bildung machen“, sagte er erst Mitte Juni bei der Nationalen Versammlung Kurultai in Türkestan. Tokajew erwähnte dabei auch junge Künstler und Musiker, die auf Kasachisch singen und so die Sprache in die Welt tragen.

Diese Musiker und Schriftsteller haben auch für Suinbike Suleimanova eine neue Welt eröffnet: „Es gab die französische Neue Welle und die klassische Neue Welle. Jetzt erleben wir die kasachische Neue Welle“. Sie hofft, das in den kommenden Jahren immer mehr Menschen aus der kasachischen Diaspora zurückkommen: „Wir haben sehr wenig Leute in Kasachstan und wir brauchen diese Menschen hier. Und ich wünsche mir, dass sich die Städte in Kasachstan so entwickeln, dass die Leute, von denen ich spreche, dort leben wollen.“ Die gemeinsame Sprache ist ein Schlüssel dafür.

Johann Stephanowitz

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia