Dass Nation und gesprochenes Wort zusammengehören, hält Dirk Uffelmann für eine romantische Erfindung des 19. Jahrhunderts. Den zentralasiatischen Ländern empfiehlt der Professor für slawische Literaturen und Kulturen, so viele Sprachen wie möglich zu fördern.

/Bild: Victoria Hepting. ‚Professor Dirk Uffelmann bei einem Vortrag über die Rolle der russischen Sprache in Zentralasien. ‚/

Zweisprachigkeit gilt in Kasachstan auch für die Werbung.

Wie wichtig ist die eigene Sprache für die Identität?

Allgemein betrachtet, ist Sprache für Identität sehr wichtig. Die Frage nach der jeweils „eigenen“ Sprache ist allerdings oft sehr schwer zu beantworten.

Versuchen Sie es trotzdem.

Es ist eine romantische Erfindung des 19. Jahrhunderts, dass Nation und Sprache notwendig miteinander verbunden sein müssen. Bevor die Menschen angefangen haben, in Kategorien von Nation zu denken, haben sie meist in gemischt-ethnischen Verbänden gelebt und in verschiedenen Sprachen miteinander kommuniziert. Erst im Zuge des Zweiten Weltkrieges und der Entmischungspolitik von Hitler und Stalin kam es in Teilen des östlichen Europas und Eurasiens zu monoethnischen Siedlungsstrukturen.

Welche Rolle spielt die russische Sprache im heutigen Zentralasien?

Russisch ist bis heute die wichtigste Verkehrssprache, mit deren Hilfe sich die Menschen aus den verschiedenen postsowjetischen Ländern verständigen können. Weder die usbekische noch die kasachische und schon gar nicht die englische Sprache können das derzeit leisten.

Wie hat sich die Bedeutung der russischen Sprache in den letzten 20 Jahren verändert?

Das ist von Land zu Land, von Region zu Region unterschiedlich. In Zentralasien gibt es Gebiete, in denen starke russische Minderheiten vertreten sind. Dann gibt es aber auch Dörfer in den Bergen, wo Russisch überhaupt keine Rolle spielt. Die meisten Länder haben versucht, ihre Titularsprachen im Schulunterricht zu stärken. In Kirgisistan gab es zudem Bemühungen, offizielle Dokumente nur noch auf Kirgisisch auszugeben. Allerdings hat das nicht funktioniert, weswegen man zu Russisch beziehungsweise zur Zweisprachigkeit zurückgekehrt ist. In Kasachstan hat man bis 1995 versucht, das Kasachische zu fördern. Mittlerweile geht man auch dort flexibler mit der russischen Sprache um.

Wie werden sich die Sprachen in Zentralasien in Zukunft entwickeln?

Für die Zukunft können wir von Dreisprachigkeit ausgehen. So werden Englisch, Russisch und die jeweilige Nationalsprache gesprochen werden. Natürlich wird es aufgrund der vielen anderen Minderheiten wie Uiguren oder Koreanern auch noch andere Sprachen geben.

Interview: Rawshan Jarmatow, Samischon Nodirow

Dieser Artikel entstand bei einer Schreibwerkstatt unter der Leitung der ifa-Medienwirtin Antonie Rietzschel. Die Schreibwerkstatt war Teil der Sommeruniversität des Deutschen Akademischen Austausch-Dienstes (DAAD), des Lektorenprogramms der Robert-Bosch-Stiftung und der Universität Passau in Tscholpon-Ata, Kirgisistan.

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