Über den Senior Experten Service (SES) können Pensionäre aus Deutschland in ferne Länder reisen und dort Mitarbeiter von Firmen oder Institutionen schulen. In Kasachstan erfreut sich die Praxis besonderer Beliebtheit im Bildungsbereich.

Für viele Ruheständler ist die Zeit nach dem Berufsleben eine Herausforderung. Sie müssen sich neu orientieren, ihren Tagesrhythmus umstellen, sich neue erfüllende Aufgaben suchen. Außerdem fehlt der lebendige Umgang mit Kollegen oder Kunden. Andere wiederum stürzen sich in Abenteuer, für die im Job die Zeit fehlte, und reisen um die Welt.

Jürgen Purtz verbindet das Eine mit dem Anderen: Der Pensionär unternimmt regelmäßig Reisen in ferne Länder, um dort zu arbeiten. Mehrmals im Jahr, jeweils für vier Wochen. In den letzten drei Jahren verschlug es den Deutschen dabei insgesamt acht Mal nach Kasachstan – zuletzt nach Almaty, wo Purtz eine Sprachschule für den Einsatz von Online-Kursen schulte. Genau zur rechten Zeit, möchte man meinen: Der Einsatz endete Anfang März, kurz bevor Kasachstan die ersten Corona-Fälle offiziell bestätigte und sich in Quarantäne begab. Die Sprachschule, an der Purtz wirkte, konnte und musste das neue Wissen also direkt praktisch umsetzen.

Purtz während einer Rede mit Dolmetscherin

Der Pensionär wiederum konnte planmäßig zurückreisen und viele positive Erfahrungen in die Heimat mitnehmen. „Von der Stadt und Region Almaty bin ich total begeistert“, schwärmt Jürgen Purtz. „Die nahen Berge mit ihrer unberührten Natur haben mir außergewöhnlich gut gefallen.“ Zudem hätten die Menschen, denen er in Kasachstan begegnet sei, ihn stets freundlich aufgenommen. „Darüber hinaus ist mir die positive gesellschaftliche Grundstimmung in Bezug auf neue Technologien aufgefallen.“ Um die ging es auch bei seinen vorherigen Stationen: In Uralsk, Temirtau, Semej und Kostanaj schulte er Colleges und Universitäten in der Programmiersprache Java und im Erstellen von Apps für Smartphones.

Kostenlose Arbeitskraft, kostenlose Anreise und Übernachtung

Die Einsätze ermöglichte der Senior Experten Service (SES), eine Einrichtung der deutschen Wirtschaft in Zusammenarbeit mit dem deutschen Entwicklungsministerium. Sein Ziel: Wissen und Kenntnisse an Multiplikatoren aus unterschiedlichen Branchen vermitteln. Die Bandbreite reicht dabei von der Lebensmittelindustrie über das Gesundheitswesen, die Bereiche Gastronomie und Tourismus, Verwaltung und Kammern, das Bildungswesen bis hin zu Informationstechnik.

Das Konzept hinter dem Programm klingt ein wenig nach Travel and Work für Senioren: Eine Firma, Bildungseinrichtung oder Behörde in Kasachstan fragt bei der SES einen Experten an. Sie beschreibt eine Projektaufgabe und formuliert Anforderungen an das Wissen des Experten. Die Person, die der SES als Entsendeorganisation schließlich vermittelt, stellt unentgeltlich sein Knowhow bereit und führt das Projekt vor Ort durch. Die Kosten, die für An- und Abreise, Hotelübernachtungen und Verpflegung anfallen, übernimmt je nach Situation der Auftraggaber, der SES, oder beide gemeinsam. Insgesamt 13.000 deutsche Ruheständler aus nahezu allen Berufsfeldern kann der SES vermitteln – vom Handwerksmeister bis zum Akademiker.

Junge Kasachstaner beim Erlernen einer Programmiersprache

In Kasachstan ist die Organisation mit elf Büros vertreten. Der Schwerpunkt der Projekte liegt mit 50 Prozent auf dem Bildungsbereich, gefolgt von Gastronomie, Gesundheitswesen, Lebensmittelindustrie und Agrarwirtschaft. 2019 gab es 158 Einsätze.

Stärkerer Software-Fokus, um Abhängigkeit zu verringern

Ein Problem, das Jürgen Purtz bei seinen Einsätzen immer wieder begleitet, sind Sprachbarrieren. „Da ich weder Kasachisch noch Russisch spreche, stellt die Kommunikation eine besondere Herausforderung dar.“ Alle Kursunterlagen seien auf Englisch, schildert der Pensionär. „Jüngere Kursteilnehmer können dem meistens folgen, bei älteren gibt es zuweilen Probleme und man muss einen Dolmetscher einsetzen.“

Bei aller Begeisterung für die hohe Bedeutung, die Kasachstan der Informations- und Kommunikationstechnologie beimisst, findet Purtz auch ein paar kritische Worte zu seinen Beobachtungen. So seien es in den meisten Fällen ausländische Firmen, die die Systeme herstellten, betrieben und warteten. „Lokale Firmen und Einzelpersonen verharren meistens in der Rolle des Konsumenten.“ Bei Hard- und Software zur Steuerung von Industrieanlagen, Standardprogrammen, sowie zur Entwicklung von Apps für Smartphones und vielem mehr liege nahezu die gesamte Wertschöpfungskette in fremder Hand.

Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt Purtz eine Fokussierung auf Software-Entwicklung, verbunden mit einer gründlichen Ausbildung im Einsatz der entsprechenden Techniken. Denn: In diesem Bereich sind die Investitionskosten relativ gering. „Man muss im Wesentlichen in Ausbildung investieren, die Kosten für Büros und Hardwareausstattung bleiben überschaubar“, so der Deutsche. Das Gegenteil sei bei einem Einstieg in Fertigungsstätten für Prozessoren, Hauptspeicher oder andere IT-Komponenten der Fall.

Christoph Strauch

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