Im Gespräch mit dem Filmemacher Nurlan Anarbaev

In einer Zeit, in der nicht nur der Medienkonsum, sondern auch die Produktion und Veröffentlichung von Medieninhalten immer schnelllebiger wird, ist es eine Herausforderung, sich nicht von der Fülle an Informationen überrollen zu lassen, sondern die sich bietenden Chancen für sich zu nutzen.

Schritt für Schritt in die Filmbranche

Dieser Herausforderung stellt sich auch der kirgisische Produzent, Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur Nurlan Anarbaev. Vor zehn Jahren gründete er seine eigene Produktionsfirma OKOY MEDIA PRODUCTION und ist seitdem in der Filmbranche tätig. Begonnen hat sein kreativer Weg jedoch bereits viel früher.

Während des Studiums sammelte Anarbaev erste Erfahrungen mit der Schauspielerei und entdeckte dabei seine Freude und Leidenschaft daran. „Ich dachte mir damals: Warum einem Bürojob nachgehen, wenn es einen Beruf gibt, der mir so viel Freude bereitet und nebenbei noch andere zum Lachen bringt“, sagt er heute mit einem Lächeln.

Allerdings führte ihn sein Weg zunächst in die Werbeindustrie, bevor er von dort aus Schritt für Schritt seinen Weg in die Filmbranche fand. Dort war Anarbaev anschließend auf den unterschiedlichsten Positionen in die Produktion von Filmen, Serien und Dokumentationen eingebunden. Und das mit zunehmendem Erfolg: Seine Arbeit als Filmemacher hat ihm bis heute diverse Nominierungen und Preise eingebracht. So wurde zum Beispiel einer seiner Kurzfilme bei dem Videowettbewerb zum Internationalen Tag der Berge #MountainsMatter im Jahr 2017 zum Gewinner gekürt.

Die Faszination an Dokumentationen

Während seiner bisherigen Karriere hat Nurlan Anarbaev sich nicht nur in den verschiedenen Bereichen der Filmbranche ausprobiert, sondern auch sämtliche Filmgattungen für sich erschlossen. Im Moment widmet er seine Arbeit überwiegend der Erstellung von Dokumentarfilmen. Zwar arbeitet er hauptsächlich in Kirgisistan, doch führten ihn einige Filmprojekte bereits ins Ausland, so zum Beispiel nach Tadschikistan und Kasachstan, wo er ein Filmprojekt der UNESCO zum Thema Seidenstraße unterstützte.

Die Form des Dokumentarfilms nutzt er vor allem mit dem Ziel, Geschichten über das reale Leben zu erzählen: „Geschichten, die vom echten Leben handeln und dieses auch so zeigen, berühren die Menschen viel tiefer als eine fiktionale Geschichte“, sagt er. Fiktionale Filme mögen manches Mal eindrucksvoller erscheinen in ihrer filmischen Aufbereitung, doch bestehe bei ihnen weiterhin eine Distanz zwischen den Zuschauern und dem Film, so Anarbaev weiter. „Diese Distanz schwindet bei Dokumentationen, da der Zuschauer durch die Kamera in die Leben anderer Menschen, in andere Kulturen und verschiedene soziale Umstände mit hineingenommen werden kann.“

Im Rahmen von Anarbaevs bisheriger Arbeit entstanden unter anderem der Dokumentarfilm My Kyrgyzstan (2018) und die demnächst erscheinende Dokumentation Thank you Coach (2022). In einem zukünftigen Filmprojekt, welches sich momentan noch in der Planung befindet, wird sich der Filmemacher mit der Kulturindustrie auseinandersetzen und der Frage nachgehen, welche Prozesse und wie viel Arbeit eigentlich hinter Kultur und Kreativität stehen, die für den Betrachter meist unsichtbar bleiben.

Die Zweischneidigkeit der Kulturszene

In Krisenzeiten sind es meist Kultureinrichtungen wie Theater, Opern, Filmfestivals und Kinos, die zuerst unter Einschnitten leiden. Hier werden oft zuerst staatliche Gelder gekürzt, und auch die Gesellschaft beginnt meist hier mit dem Sparen, wenn das Geld knapp wird.

Dabei sind es nicht nur die Einrichtungen selbst, die darunter leiden. Es hängt ein ganzer Rattenschwanz an Arbeitsplätzen und Menschen daran, die es direkt zu spüren bekommen, wenn der Staat und die Gesellschaft keine Kapazitäten mehr für Kultur haben. Und das ist in vielerlei Hinsicht tragisch: Zum einen ist Kultur – ob Film, Theater, Musik, Tanz oder Malerei – ein Bereich, wo man die Seele baumeln lassen, Energie schöpfen und neue Inspiration finden kann. Zum anderen bietet sie auch eine Plattform für Austausch und Reflektion. Und schließlich ist sie ein Ort, an dem man sich mit Leichtigkeit in neue Bereiche, Umstände und Situationen hineinträumen oder aber Bekanntes aus einem neuen Blickwinkel betrachten kann. Fällt all das weg, verschwinden also nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die kulturellen Anlaufpunkte der Gesellschaft.

Filmemacher wie Nurlan Anarbaev haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Gesellschaft, Kultur und ihr Land durch das Medium Film neu zu entdecken und dies mit anderen zu teilen. Ein zentrales Problem, das er in der Kulturszene sieht, ist die Schwierigkeit, Künstler angemessen zu bezahlen, damit diese von ihrer Tätigkeit leben können: „Es kann nicht sein, dass ein Komponist nur Hundert Dollar verdient für mehrere Stunden Arbeit“, so Anarbaev. Gleichzeitig müssten aber auch die Preise für den Besuch von Kulturveranstaltungen für Angehörige jeder sozialen Schicht erschwinglich sein..

Um dieses Dilemma zu lösen, bedarf es laut Anarbaev konstanter staatlicher Unterstützung und einer Sensibilisierung der Gesellschaft dafür, wie der Kultursektor und die verschiedenen Arbeitsbereiche funktionieren. Genau diesem Thema möchte sich der Filmemacher in seiner nächsten Dokumentation widmen.

Neue mediale Möglichkeiten

Die sozialen Medien, die verschiedenen Internet-Plattformen und die Tatsache, dass heutzutage fast jeder ein Smartphone mit einer Kamera und Internetzugang hat, eröffnet eine ganz neue Bandbreite an Filmformaten. Der Konsum an Medien unterschiedlichster Art ist stark angestiegen – ihre Schnelllebig- und Vergänglichkeit damit allerdings auch. Wer könnte etwa die letzten fünf Videos aufzählen und inhaltlich wiedergeben, die auf Instagram, TikTok, Facebook oder einer anderen Plattform konsumiert wurden?! Wahrscheinlich nur die Allerwenigsten.

Sich darüber aufzuregen, dass sich die Gesellschaft dahingehend verändert hat, ist jedoch müßig und würde wohl zu nichts führen. Warum also nicht selbst in die neuen medialen Formen eintauchen, sie analysieren und Jugendlichen helfen, damit kreativ und verantwortungsbewusst umzugehen?!

Schließlich kommen mit all den Veränderungen auch neue Möglichkeiten. Es braucht heute keinen Zugang mehr zu teurem Equipment. Mit dem Smartphone können Jugendlichen ihren ganz eigenen Zugang zum Thema Film finden, statt nur passive Konsumenten zu sein. So sieht das auch Filmemacher Anarbaev: „Es ist ein großartiges Gefühl, dabei zu sein und Emotionen vermitteln zu können. Dieses Erlebnis einmal zu haben, wünsche ich jedem.“

Inspiration hält sich nicht an Arbeitszeiten

Kunst und Kultur sind ohne Inspiration undenkbar. Inspiration ist der Dreh- und Angelpunkt, wenn etwas Neues entstehen soll, und jeder, der einmal in seinem Leben auf der Suche nach Inspiration gewesen ist, weiß, wie frustrierend es sein kann, wenn sich der Kopf leer anfühlt. Doch das ist ein Teil des Prozesses. Inspiration hält sich nicht an Arbeitszeiten, sie geht und kommt, wie sie will. Doch man kann ihr auf die Sprünge helfen.
Nurlan Anarbaevs Erfahrung nach sind es oft die kleinen und alltäglichen Dinge, die die Inspiration anregen können. Manchmal ist es ein Geruch, Musik oder der Anblick verschiedener Gesichter in einer Menschenmenge, und schon beginnt das Gehirn, wieder zu arbeiten. Auch körperliche Betätigung wie zum Beispiel Schwimmen oder Spazierengehen kann helfen, um Stress abzuschütteln und sich freizumachen für neue Eindrücke und Gedanken.

Jedem, der mit dem Gedanken spielt, sich im Bereich Film zu betätigen – ganz gleich, ob als Schauspieler, Regisseur, Techniker oder Autor -, und der herausfinden möchte, ob dies der richtige Weg für ihn ist, würde Nurlan Anarbaev empfehlen, sich folgende Frage zu stellen: „Wie fühle ich mich, wenn ich diese Arbeit mache?“ Diese sollte jeder für sich zuerst beantworten und sich über die Antwort im Klaren sein.

Anne Lemke

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