Trotz der Coronakrise stimmt Kirgisistan am 4. Oktober über ein neues Parlament ab. Doch eine freie Wahl bedeutet nicht gleich, dass sie auch fair verläuft. Schon jetzt gibt es Vorwürfe, dass Stimmen gekauft oder Staatsangestellte unter Druck gesetzt worden sind, für eine bestimmte Partei zu wählen. Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Kirgisistan ist laut Verfassung die einzige parlamentarische Demokratie Zentralasiens. Doch eine Demokratie, die noch in den Kinderschuhen steckt. Zehn Jahre nach einem blutigen Regierungsumsturz und der Einführung des Parlamentarismus sind viele Kirgisen von dem neuen System enttäuscht. Am 4. Oktober stimmen sie zum nunmehr dritten Mal seit 2010 über eine neue Zusammensetzung des Dschogorku Kengesch ab.

Warum ist diese Wahl wichtig?

Offiziell kämpfen 16 Parteien um 120 Parlamentssitze. Inoffiziell ist es ein Machttest für die führenden politischen Clans. Dabei geht es auch um Kirgisistans hart erkämpften Ruf, freie Wahlen abzuhalten. Denn während die Parlamentswahlen 2015 als die bisher fairsten im unabhängigen Kirgisistan gefeiert wurden, gab es bei den Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren bereits zahlreiche Berichte über Wahlmanipulation zugunsten des späteren Wahlsiegers Sooronbai Dscheenbekow.

Die Wahl am Sonntag ist auch ein Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen 2023. Da laut Verfassung jeder Präsident nur eine einmalige Amtszeit von sechs Jahren hat, muss sich Dscheenbekow zwangsläufig bereits Gedanken über seine Nachfolge machen. Je nachdem, welche Partei nun gewinnt, kann es für ihn einfacher oder schwieriger werden, einen Sukzessor aufzubauen.

Welche Regeln gelten?

Die Zentrale Wahlkommission hatte Anfang September nur 15 Parteien zur Wahl zugelassen. Sie müssen eine Sieben-Prozent-Hürde überwinden, um ins Parlament zu kommen. Die Partei Bütün Kirgistan wurde überraschend vom Wahlkampf ausgeschlossen, da es Unstimmigkeiten auf ihrer Parteiliste gegeben haben soll. Bütün klagte gegen die Entscheidung und wurde nachträglich doch zugelassen.

Die Legislativvertreter werden über Parteilisten gewählt. Eine direkte Abstimmung in den Wahlkreisen ist nicht vorgesehen. Kritiker sagen, dass sich die Abgeordneten durch das Listensystem den Menschen in ihrem Wahlkreis weniger verpflichtet fühlen. Befürworter des Listensystems argumentieren hingegen, dass breitere Bündnisse zwischen den Parteien möglich seien und die Fraktionen somit letztendlich eher dem Wählerwillen entsprechend arbeiten. 3,3 Millionen Menschen sind wahlberechtigt.

Wer hat die Nase vorn?

Schaut man sich die aktuelle Zusammensetzung des Parlaments an, ist es wahrscheinlich, dass es zwischen fünf und sieben Parteien ins Parlament schaffen. Die beiden aussichtsreichsten Parteien sind Birimdik und Mekenim Kirgisistan. Obwohl Dscheenbekow sich offiziell neutral verhält, kann man wohl davon ausgehen, dass er Birimdik unterstützt. Die Partei gilt als präsidentenfreundlich – nicht zuletzt, da sein jüngerer Bruder Asylbek sowie andere wichtige Verbündete auf der Parteiliste stehen. Mekenim Kirgisistan gilt als Oligarchen-Partei, an deren Spitze Rajimbek Matraimow steht. Matraimow hat als ehemaliger Chef des Zolldienstes Millionen US-Dollar unterschlagen. Er und seine Familie sollen in Kirgisistan weit mehr Einfluss haben als der Präsident.

Bisher ist keine der beiden Parteien im Parlament vertreten, obwohl einige der aktuellen Abgeordneten Mitglieder sind. Das liegt vor allem daran, dass die bis dato mächtige Regierungspartei der Sozialdemokraten, der Dscheenbekow angehört, in diesem Jahr nicht zur Wahl antritt. Mit der Verurteilung von Ex-Präsident Almasbek Atambajew zu mehreren Jahren Haft – das vorläufige Ende eines Machtkampfes zwischen Dscheenbekow und Atambajew – war das Schicksal der Sozialdemokraten besiegelt.

Mit der Kirgisistan-Partei, Bir Bol, Ata-Meken und Respublika nehmen immerhin vier Parteien, die bereits in der aktuellen Legislaturperiode im Dschogorku Kengesch vertreten sind, an der Wahl teil. Alle vier Parteien haben in den vergangenen Jahren in verschiedenen Konstellationen einer Regierungskoalition angehört und die Chancen stehen gut, dass sie es auch dieses Mal wieder ins Parlament schaffen.

Dabei haben sich Bir Bol, Ata-Meken und Respublika für diese Wahl neu aufgestellt: Die beiden ersteren kandidieren mit neuen und vor allem jüngeren Gesichtern. Sie präsentieren sich als fortschrittliche, veränderungsfreudige Parteien. Die investigative Nachrichtenseite Factcheck.kg hat jedoch kürzlich Beweise entdeckt, die zeigen, dass es Verbindungen und Absprachen zwischen Ata-Meken und dem Matraimow-Clan gibt.

Welche Themen sind im Wahlkampf wichtig?

In Kirgisistan zählen Persönlichkeiten mehr als Themen, die in den Hintergrund rücken – auch weil mittlerweile wieder mehr Macht in den Händen des Präsidenten liegt. Bereits Atambajew hatte das Parlament, das nach 2010 manchmal wie ein Chaoshaufen wirkte, gezügelt. Bedeutende Abgeordnete wurden mit Hilfe des Geheimdienstes erpresst, um sich so ihre Loyalität zu sichern. Tatsächlich hatten nicht wenige Dreck am Stecken, da auch nach dem Regierungsumsturz 2010 Korruption weiterhin weit verbreitet geblieben ist.

Eine der ersten Parteien, die ihr Programm veröffentlichten, war Reforma. Sie will die Polizei und Sicherheitsdienste reformieren und drängt auf ein so genanntes „Lustrationsgesetz“, um zu verhindern, dass korrupte Beamte weiterhin im System bleiben.

Mekenim Kirgistan gilt als liberale Partei, die vorhat, den Staat zu dezentralisieren und die aufgeblähte Bürokratie abzubauen. Dasselbe Ziel hat ironischerweise auch die als sozialistisch geltende Partei Ata-Meken, die verspricht, die Macht des Präsidenten wieder einzuschränken, so wie es 2010 vorgesehen war. Parteigründer Omurbek Tekebajew hatte damals an der Verfassungsreform mitgearbeitet. Birimdik zieht mit Slogans wie Einheit, Stabilität und Eurasität in den Wahlkampf.

Außenpolitisch suchen alle Parteien die Nähe zu Russland – Bischkeks wichtigster Geldgeber und treibende Kraft in der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Kirgisistan seit 2015 angehört.

Wie werden die Wahlen manipuliert?

Weit verbreitet ist der Kauf von Stimmen. Berichten zufolge wurden bereits Lehrer und andere Staatsangestellte bezahlt, um für eine bestimmte Partei zu wählen. Oft nutzen vor allem Regierungsparteien ihre administrativen Ressourcen, um sich Vorteile zu verschaffen. So soll zum Beispiel bei der Präsidentschaftswahl 2017 das Team von Dscheenbekow Zugang zu Regierungsservern mit privaten Bürgerdaten gehabt haben. Die Behörden bestritten die Vorwürfe.

Schon vor Beginn des Wahlkampfes gab es in den Medien Berichte über eine Schuldirektorin im Süden Kirgistans, die sich beschwerte, dass ihr ein Kandidat von Birimdik mit Entlassung gedroht habe, weil sie sich für eine andere Partei ausgesprochen hatte. Aber auch die Matraimow-Partei Mekenim Kirgistan hat bereits nachweislich Lehrer unter Druck gesetzt, für sie zu stimmen. Der aktuelle Parlamentssprecher Dastan Djumabekov, der für die Kirgistan-Partei kandidiert, soll einer Frau umgerechnet etwa 540 Euro gezahlt haben, damit sie ihr Neugeborenes nach ihm benennt.

Welchen Einfluss hat Corona?

Im Wahlkampf scheint Corona kaum eine Rolle zu spielen. Die Kandidaten reisen munter durchs ganze Land und halten große Veranstaltungen, unter anderem mit Konzerten, ab. Die oft älteren Zuhörer halten kaum Abstand oder tragen Masken. Dabei hatte vor allem die Hauptstadt Bischkek im Sommer mit übervollen Krankenhäusern zu kämpfen.

Durch die Pandemie und die Reisebeschränkungen wird es wahrscheinlich weniger internationale Wahlbeobachter geben, wie zum Beispiel von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Somit wird der Druck auf die lokalen Wahlbeobachter größer und die Chancen steigen, dass es am Wahltag zu weiteren Unregelmäßigkeiten kommt.

Othmara Glas, mit Material von Eurasianet

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