Ist Ungarn eine Demokratie? Befragt man unterschiedliche Systeme mit Künstlicher Intelligenz, bekommt man unterschiedliche Antworten. Unklar bleibt jedoch, wie sie zu ihrem Urteil und ihren politisch relevanten Einschätzungen kommen. Woher kommt die Moral, die hinter diesen Antworten steht? Vergangenen Freitag erkundete Professor Markus Ziener von der Media University of Applied Sciences (Berlin) in seinem Vortrag vor Studierenden der Deutsch-Kasachischen Universität dieses und weitere Probleme im Verhältnis von Demokratie und Medien.
Früher lief das Medienwesen anders. Zeitungen wurden gedruckt, sie hatten einen Anfang und ein Ende. Man blätterte die Zeitung durch, stieß auf Themen, die jenseits der persönlichen Interessen liegen, mit denen man aber dennoch in Kontakt kam. Mittlerweile schneidern Algorithmen den Inhalt auf unsere Interessen zurecht. Wir bewegen uns zunehmend in Informationsblasen, die unsere Meinung kontinuierlich bestätigen und uns auf weniger Themen beschränken.
In der Reihe technologischer Erneuerungen, die mitunter die Medienwelt revolutioniert haben, ist die weite Verbreitung von Systemen mit Künstlicher Intelligenz laut Professor Ziener „die nächste große Sache“. Die Künstliche Intelligenz werde die Zukunft von Recherche sein und die derzeitigen Suchmaschinen verdrängen. Anders etwa als ein besseres Mikrofon oder das digital unterstützte Layouten von Texten vor deren Veröffentlichung berge dieser Schritt in der technischen Fortentwicklung jedoch Gefahren, geht er doch an die Inhalte der Informationen selbst. Denn die KI liefert uns immer schon fertige Antworten. Diese beruhen allerdings auf Daten, die zunächst von jemandem eingespeist werden müssen; werden aber andere Daten eingespeist, so lassen sich auch die Antworten verändern und die Ergebnisse, die die KI uns liefert, damit manipulieren. Wie bei allen anderen Quellen im seriösen Journalismus oder in der Wissenschaft, müsse auch die Darstellung, die durch eine KI erstellt wurde, immer auf ihren Wahrheitsgehalt extern überprüft werden. Andernfalls könnte die KI Narrative bestimmter Geschehnisse erschaffen, die sich dann bei den Konsumenten durchsetzen und den Diskurs polarisieren und untergraben. Somit werde sie möglicherweise die Problematik der Informationsblasen verschärfen.
Wenn Unternehmer übernehmen
Ein weiteres Beispiel für gefährliche Entwicklungen in der Medienlandschaft zeigte Professor Ziener anhand von Beispielen aus den USA: Immer mehr Zeitungen würden von einzelnen Unternehmern gekauft und in ihre finanzielle und ideologische Obhut übernommen. Das bringe diese Zeitungen in ihrer journalistischen Tätigkeit in eine zunehmende Abhängigkeit vom Willen einzelner Personen und vergrößere die Möglichkeiten zur Einflussnahme durch diese Superreichen. In Deutschland habe sich demgegenüber schon lange ein Verlagswesen herausgebildet, dessen Firmenethos Qualitätsjournalismus einfordere. Zudem gebe es den demokratisch beaufsichtigten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der ideologisch unabhängigem Journalismus verpflichtet ist. Unter den privaten Investoren aber verkämen Zeitungen häufig zu Institutionen, die vor allem gewinnbringend sein sollen. Allerdings seien die lukrativen Themen nicht immer die wirklich wichtigen; was dann aber oft zu einem Ungleichgewicht in der Berichterstattung führe. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Trump in den USA etwa verkaufe sich besser, also werde er mehr abgebildet in der Presse und könne seine Meinungen somit leichter verbreiten.
Freie Medien spielten in Demokratien eine zentrale Rolle, um Bürger zu informieren und Meinungsbildung zu ermöglichen, um die Politik zu kontrollieren, wofür sie von politischer Einflussnahme unabhängig sein müssen. Mit KI-generierten Narrativen sowie den rein kapitalistisch agierenden Unternehmern kommt die Frage auf, nach welchen Kriterien die Moral der Berichterstattung aufgestellt wird und wer dies tut. Das Ziel eines gut informierten Bürgers rücke in weitere Ferne, Polarisierungen werde Vorschub geleistet und die sogenannte Vierte Gewalt beginne zu wackeln. Der Demokratie kann das nach Professor Zieners Einschätzung nur
schaden.
„Ich habe immer damit zu kämpfen, gute Informationsquellen zu finden“
Die Diskussionsrunde im Anschluss an den Vortrag bringt die angesprochenen Themen noch in eine andere Richtung. Eine Studierende berichtete: „Ich habe immer damit zu kämpfen, zuverlässige Informationen einzuholen.“ Für viele junge Menschen scheinen die geschilderten Probleme des Verhältnisses von Demokratie und Medien in ihrer Situation wenig präsent und nicht wirklich dringend zu sein. Statt konventioneller Printmedien informieren sich ohnehin viele vornehmlich über Blogger und Kanäle im Messengerdienst Telegram. Dennoch interessierten sie sich für die Möglichkeiten in der deutschen Medienlandschaft: „Herr Ziener, haben Sie jemals bei Ihren verschiedenen Arbeitgebern Zensur erlebt?“ Das konnte er mit einem knappen „Nein!“ beantworten.