Die Bishkek School of Contemporary Art (BiSCA), eine hauptsächlich von Frauen betriebene Online- und Offline-Plattform, nahm im Juni dieses Jahres an der internationalen Ausstellung für zeitgenössische Kunst documenta fifteen in Kassel, Deutschland, teil und vertrat somit Kirgisistan erstmals bei dieser alle fünf Jahre stattfindenden Veranstaltung. Bermet Borubaewa, Diana Ukhina und Kanaiym Kydyraliewa, drei von neun Gründern der BiSCA, sprachen darüber, wie die Plattform gegründet wurde, wie sie funktioniert und welche Vision sie fördert.

Die BiSCA vertrat Kirgisistan im Juni dieses Jahres auf der documenta fifteen in Kassel.

Am 11. September 2020 wurde BiSCA ins Leben gerufen – ein Forum für zeitgenössische Kunst, in dem gesellschaftliche Belange mit Hilfe einer kollektiven Kraft angegangen werden können. „Die Initiative BiSCA ermöglichte es, lokalen Künstlern eine Plattform zum Wissensaustausch und zur Schaffung von Verbindungen zu geben, zumal es in Kirgisistan keine formale Ausbildung in zeitgenössischer Kunst gibt“, sagt Bermet Borubaewa.

Eine wichtige Rolle bei der Ausbildung der Vertreter der BiSCA spielte die informelle ArtEast School of Contemporary Art in Bischkek, gegründet 2009. Ihre Gründer Gulnara Kasmaliewa und Muratbek Djumaliew waren Absolventen der Kunstuniversitäten in Moskau, Tallinn und St. Petersburg während Gorbatschows Perestroika. In Bischkek fanden sie sich in einem postsowjetischen Kontext wieder, in dem die Kunst nicht mehr ideologischen Zwecken diente, sondern den Bedürfnissen des Marktes, so die Künstler in einem früheren Interview für das Journal of Inquiry & Action in Education.

Mehr Harmonie durch mehr weibliche Beteiligung

Die zunehmende Globalisierung, die damit verbundene Formierung der kirgisischen Diaspora und Zirkulation der Einflüsse sowie die Entstehung einer neuen Seidenstraße regten die beiden Künstler an, sich intensiv mit lokaler Identität auseinanderzusetzen. Die Ziele der ArtEast School bestanden von Anfang an darin, die Rolle der zeitgenössischen Kunst in der einträchtigen Entwicklung der kirgisischen Zivilgesellschaft zu stärken, die Schaffung von Originalkunstwerken frei von jeglichem kommerziellen oder ideologischen Druck zu fördern, aber gleichzeitig auch soziales Engagement zu ermöglichen. Nach Abschluss der ArtEast School führten die Vertreter der heutigen BiSCA ihre eigenen Kunstpraktiken fort. „Der letzte Kurs der ArtEast School im Jahr 2020 wurde von Alumni verschiedener Jahrgänge kuratiert und war die Basis für die Gründung der BiSCA als Plattform mit einem breiteren Publikum“, so Kanaiym Kydyraliewa.

Bei der documenta fifteen präsentierte BiSCA auch eine Reihe von Zines unter dem Namen Aralash (von kirgisisch „Mix“).

„Kunstgeschichte in Kirgisistan wird im Allgemeinen durch Werke von Männern präsentiert. Durch Mikropraktiken in der Kunst wollen wir die Grenzen überwinden, über unsere Erfahrungen und Visionen sprechen“, meint Diana Ukhina. Als Forscherin im Bereich Kunstgeschichte und Gender Studies mit lokaler weiblicher Erfahrung glaubt Ukhina, dass die Gesellschaft umso harmonischer werden kann, je mehr Stimmen es gibt – von Frauen in verschiedenen Branchen, aber auch von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen.

Wie BiSCA funktioniert

Im Jahr 2020 erstellten die Gründer von BiSCA einen Telegram-Kanal und ein Instagram-Profil, wo sie Aufrufe zu öffentlichen Vorträgen in Bischkek machten. Sie unterrichten nicht nur als eine reguläre Schule, sondern wirken auch als eine Plattform mit unterschiedlicher Dynamik, ohne feste Bildungsstruktur oder Wissenshierarchie. Teilnehmer bringen ihre eigenen Hintergründe, Erfahrungen – entweder künstlerisch oder nicht-künstlerisch – mit, und können auf ihre Weise entweder online oder offline zur Schule beitragen.

„Wir praktizieren Kunst in der Form von Zines, Kunstexpeditionen, Festivals, öffentlichen Vorträgen und Workshops, basierend auf unserer lokalen Identität, und teilen sie mit verschiedenen Menschen aus verschiedenen Räumen“, sagt Diana Ukhina. BiSCA versucht als Kollektiv von Denkern und Künstlern, eine eigene Theorie zu schaffen. „Wir lesen Publikationen aus unserem eigenen Kontext, die seit den 90er Jahren erscheinen, und erarbeiten eine konzeptionelle und theoretische Basis. Für uns ist es wichtig, die Theorie zu dekolonisieren. Wir sind tatsächlich Teil des globalen mentalen Raums, wir haben eine Kontextbeziehung, aber wir lassen uns nicht durch andere Welten erklären“, sagt Bermet Borubaewa.

 

Asienweit vernetzt

Laut Borubaewa ist BiSCA ein einzigartiges Kollektiv in Zentralasien, weil es auf Selbstorganisation basiert und ohne externe Finanzierung funktioniert. „Allerdings kann es auch schwierig werden, weil wir alle andere Jobs haben, voll in anderen Tätigkeiten beschäftigt sind“, gestehen beide Borubaewa, Politikwissenschaftlerin, und Kydyraliewa, Hochschuldozentin für Wirtschaftswissenschaften in Bischkek.

In der Performance Portal Bishkekassel wurden die Besucher des Museum Fridericianum in Kassel mit denen des Kirgisischen Nationalmuseums der Bildenden Künste Gapar Aitiev in Bischkek durch eine Live-Übertragung verbunden.

„Wir haben diese Ungleichheit von Denkern, die die finanziellen Mittel haben, um im akademischen, feministischen oder zeitgenössischen Kunstfeld weiterzuarbeiten. Die meisten Menschen müssen nur arbeiten und Geld verdienen“, sagt Borubaewa. BiSCA versucht, diese Ordnung umzukehren und eine eigene zu schaffen, indem es eine nicht-kommerzielle Vision zeitgenössischer Kunst hervorbringt. Die Präsenz von BiSCA auf der documenta fifteen zeigt jedoch eine erstaunliche Energie und Fähigkeit, jegliche Herausforderungen zu überwinden.

BiSCA wurde 2021 Mitglied des Gudskul Study Collective, ein Bildungsprogramm für Kunstkollektive im Rahmen der „Gudskul: Contemporary Art Collective and Ecosystem Studies“, gegründet 2018 von drei Kollektiven aus dem indonesischen Jakarta – ruangrupa, Serrum und Grafis Huru Hara. Ab Oktober 2021 folgte ein neunmonatiges und virtuelles Treffen zwischen BiSCA und sieben Kollektiven aus Indonesien, Malaysia, den Philippinen, Vietnam und Taiwan, in dem sie über Kollektivismus diskutierten.

Die Präsenz beim documenta fifteen

Im Mittelpunkt der diesjährigen, zwischen dem 18. Juni und 25. Sept. 2022 stattfindenden Kunstausstellung documenta fifteen steht der indonesische Begriff „lumbung“, der sich auf das Teilen von Ressourcen bezieht. BiSCA nahm vom 15. Juni bis 2. Juli mit anderen Kollektiven im Gudskul-Bereich des Museum Fridericianum an einem öffentlichen Programm teil, das sich auf den Austausch von Wissen und Erfahrungen zum Kollektivismus konzentrierte.

Am 22. Juni folgte die Performance von BiSCA namens Portal Bishkekassel, in dem die Besucher des Museums Fridericianum in Kassel mit denen des Kirgisischen Nationalmuseums der Bildenden Künste Gapar Aitiev in Bischkek durch eine Live-Übertragung verbunden wurden. Trotz aller physischen und geografischen Grenzen entstand imFridericianum-Saal ein Austausch von Erfahrungen, Energien, Emotionen zwischen den Völkern. An demselben Tag präsentierte BiSCA auch eine Reihe von Zines unter dem Namen Aralash (von kirgisisch „Mix“).

Zeitgenössische Kunst in Kirgisistan

„Zeitgenössische Kunst wird in Kirgisistan nicht wirklich gefördert. Auf unserem Social-Media-Account erhalten wir Unterstützung von Leuten, die unsere Praxis bereits kennen und die auch verstehen, dass es für Kirgisistan ein ziemlich großes Ereignis ist, an der documenta fifteen teilzunehmen“, so Diana Ukhina. „Aber die Tatsache, dass wir als junges Kollektiv die Möglichkeit hatten, so viele Menschen in Kassel zu treffen, über Kirgisistan zu sprechen und die Menschen mit unserer Kultur zu beschäftigen, ist das Wertvollste“, meint sie.

Außerdem sei die zeitgenössische Kunstszene in den zentralasiatischen Ländern nicht so groß, gibt Kanaiym Kydyraliewa zu. Dies führte jedoch im Laufe der Zeit dazu, dass mehr Verbindungen zwischen Künstlern aus diesen Ländern hergestellt wurden. „Wenn wir Kunstveranstaltungen in Bischkek haben, besuchen uns auch kasachische Künstler aus Almaty“ so Kydyraliewa. Bei ihren Recherchen erfuhr Diana Ukhina von den Netzwerken, die sich zwischen zentralasiatischen Künstlern in den 1990er und 2000er Jahren bildeten: „Es gab kleine Wohnungsausstellungen, wo sich Künstler aus unseren Ländern trafen, Freundschaften schlossen und gemeinsam ihre Kunst machten. Auch die damalige zeitgenössische Kunst basierte auf Beziehungen“.

Irina Radu

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