„Gesundheit!“ hat man früher gesagt, wenn jemand niesen musste. Heute sagt man das nicht mehr, sagt man. Jedenfalls angeblich, laut den Benimmregeln, die weiß der Kuckuck wer erfunden hat und weiterhin erfindet.
Und weil die Macht der Gewohnheit stärker ist als neu eingeführte Benimmregeln, sagt man es trotzdem. Und drum geht das jetzt so: Hatschi! „Gesundheit!“ „Das sagt man heute nicht mehr!“
Erstens wird dieser kleine Dialog dadurch unnötig länger und zweitens verstehe ich nicht, wie man plötzlich und überraschend von heut auf morgen etwas abschaffen möchte, was noch gestern und vorgestern zum guten Ton gehörte. Es ist doch nett, wenn man jemandem Gesundheit wünscht. Es ist ein Anlass, einen fremden Menschen mit einem guten Wunsch anzusprechen – was sonst eigentlich eher selten vorkommt.
Und schon gucken sich wieder zwei Menschen lächelnd an. Und beginnen gar ein nettes Gespräch. Und schließen womöglich Freundschaft. Oder gehen eine Liebesbeziehung ein…
Und es ist ein Reflex. Den kann man nicht einfach so abschaffen. Jahrelang antrainiert. Da hat sich das „Gesundheit!“ wie von selbst schneller ausgesprochen als man es zurückhalten könnte. Niesen Sie hier mal selbst. Sie werden sehen, die Gesundheitswünsche werden über Sie einprasseln. Und es ist ein Instinkt, ich wage zu behaupten, ein Urinstinkt, ohne in Biologie oder Vorgeschichte oder was man dazu braucht, von Tuten und Blasen eine Ahnung zu haben. Jedenfalls – das Niesen ist wie eine Signalwirkung, die zeigt: Es liegt was in der Luft. Vorsicht! Oder: Da ist jemand im Begriff, krank zu werden. Aufpassen oder sich drum kümmern. Und wenn man dann eh schon gedanklich bei dem Nieser ist, warum dann nicht noch ein Wort dazu sagen? Und überhaupt – wollen wir das eigentlich abschaffen? Wer will das? Es ist eine gesellschaftliche Norm. Und ich bin auch die Gesellschaft. Und ich will das nicht. Und ich kenne auch niemanden, der das will. Oder leben wir hier etwa nicht in der Demokratie? Eben! Wo sitzt also der Wicht, der damit angefangen hat zu behaupten, das sagt man heut nicht mehr? Hat sich da eine Kommission zusammengesetzt oder ein Arbeitskreis für gesellschaftliche Normen gegründet oder ist das ein Produkt der Globalisierung, das aus Amerika oder Asien kommt? Jedenfalls – wenn ich niese, wird mir irgendwas fehlen, wenn mir niemand „Gesundheit!“ wünscht. Dann muss ich es wohl wie meine Großmutter halten, die ließ einen nach dem Niesen nie zu Wort kommen, und das ging so: „Hatschi! Gesundheit. Dankschön. Bittschön. Mach ick alles alleene!“ Ich für meinen Teil werde es auch weiterhin halten, wie ich es gelernt habe, selbst, wenn ich damit gegen die Benimmregeln verstoße und wenn ich die einzige damit bleibe!
Julia Siebert
10/08/07