Anne Klemm (22) studiert Europäisches Verwaltungsmanagement an der Hochschule Harz in Deutschland. In der Nähe von Magdeburg, im idyllischen Harz gelegen, ist ihr Studienort Wernigerode eine Stadt mit nur 33.000 Einwohnern. Derzeit verbringt sie ein Auslandssemester an der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty und schreibt in der DAZ über ihre Alltagsbeobachtungen.
Ich stecke im alltäglichen Stau am Morgen. Noch ist die Sicht auf die Berge nicht vom Smog verdeckt. Heute zeigt sich die Stadt von ihrer besten Seite. Alles leuchtet in herbstlichen Farben. Sie lassen mich für einen Moment den Stau vergessen. An der Haltestelle stehen drei Schülerinnen in ihren Uniformen und weißen Blümchen im Haar. Die Kanaldeckel auf der Straße sind an einigen Stellen nicht mehr vorhanden. Rauch steigt aus den Löchern auf. Neben der Straße hat ein Mann seine Rasierutensilien ausgebreitet. Aus einer Seitenstraße kommt eine ältere Frau auf einem Leiterwagen. Davor ist ein Esel gespannt. Ich komme an der großen Almatyer Konditorei „Rachat“ vorbei, deren Geruch die umliegenden Straßen in einen schokoladig süßen Duft hüllt. All das bildet neben den vielen modernen Neubauten einen skurrilen Kontrast.
Die eigentlich interessanteste Sehenswürdigkeit sind die Menschen. Multikulturell, fröhlich, offen und freundlich. Wunderschöne, sehr moderne Frauen, die sehr viel aus sich machen. Mich beeindruckt ihre Fähigkeit, bei den hiesigen Straßenbedingungen mit 15 cm und höheren Absatzschuhen unterwegs zu sein. In einer Pause die Unitoilette aufsuchen zu wollen, bringt nichts! Zu viele Studentinnen drängen sich vor dem Spiegel. Ich frage mich von Zeit zu Zeit, ob es nicht übertrieben ist, wie viel Wert auf Äußeres gelegt wird. Die Männer lesen den Frauen jeden Wunsch von den Augen ab und liefern ein Musterbeispiel für respektvolles Verhalten gegenüber Frauen. Andererseits fallen mir die meisten Männer nur durch häufiges Spucken, ihren männlichen Habitus und ihre rüde Fahrweise im Straßenverkehr auf. Einige Studenten scheinen sehr stolz auf ihr Auto zu sein. Sie demonstrieren das zu jeder Gelegenheit. Leider nehmen auch manche Busfahrer an, sie säßen in einem anderen Gefährt. So verbringt man unfreiwillig längere Zeit im Bus, wenn sie der Meinung sind, ihr (fragliches) Recht auf Vorfahrt lautstark auf der Straße verteidigen zu müssen. Ich habe es mir abgewöhnt, pünktlich sein zu wollen.
Baracholka. Eine ganz andere Welt. Ein riesiger Komplex an aneinandergereihten Kleidungsmärkten. Wenn man die Nerven hat auf der Baracholka bis zu den hinteren Ständen durchzudringen, wird man durch günstigere Ware belohnt. Es gibt einen europäischen, einen asiatischen und einen amerikanischen Teil. Man geht unweigerlich mit vielen Tüten in den Händen von dort weg. Um wieder ins Zentrum zu kommen stellt man sich wie üblich auf die Straße und hofft, dass der nächste Bus ins Zentrum zurückfährt. Mittlerweile habe ich eingesehen, dass es zwecklos ist, sich einen Busplan zu erstellen. Viele Straßen wurden umbenannt, Haltestellen werden zwar angefahren, aber die Busse halten überall, wenn ein zahlungsfreudiger Fahrgast die Hand am Straßenrand raushält. Die Busnummern ändern sich ebenfalls in regelmäßigen Abständen. So fällt man als Ortsunkundiger nicht weiter auf, wenn man nach der Fahrtrichtung fragt. Alle machen es so.
26/10/07