Für Kasachstan ist Russland Gegenspieler, Leidensgenosse und Genosse zugleich. In manchen Wirtschaftsbereichen strebt Kasachstan nach Eigenständigkeit – was dem großen Bruder missfällt – und doch ist Kooperation mit dem Kreml die Devise.

Das offizielle Kasachstan setzte derzeit seine multipolare Außenpolitik in wirtschaftlichen Fragen, besonders energiepolitisch, fort. Einerseits wird die Kooperation mit der EU gesucht und andererseits will man den strategischen Partner Russland nicht vergrämen, um weiter Öl und Gas gen Westeuropa liefern zu können. Zugleich knüpft Astana enge Bande mit dem energiehungrigen Nachbarn China. Gemeinsam wird an neuen Exportrouten und einem zentralasiatischen Pipelinenetz gefeilt, womit man in direkte Konkurrenz zum Kreml tritt. Der Kreml selbst betrachtet sich bis dato als die Ordnungsmacht auf dem Energiemarkt Eurasiens.

Energiesektor: Kasachstan und Russland als Rivalen

Immense Energievorräte, ein, relativ dazu, geringer Eigenverbrauch und großskalige Explorationsprojekte erklären, warum Kasachstan jetzt und vor allem in Zukunft viel Öl und Gas exportieren kann und will. Im Vorjahr wurden 54 Millionen Tonnen Erdöl in Kasachstan gefördert, im Jahre 2010 sollen es 80 Millionen Tonnen jährlich sein, 2015 bis zu 130 Millionen Tonnen.

Im Energiesektor entwickelte sich Kasachstan durch das Streben nach mehr Transport und Vermarktung unter eigener Federführung zunehmend zum Gegenspieler Russlands. Kasachstan steht etwa dem von der EU, Österreichs OMV und weiteren westlichen Energiekonzernen forcierten Nabucco-Projekt aufgeschlossen gegenüber. Die Nabucco-Pipeline soll vom Kaspischen Meer durch die Türkei, Bulgarien und Rumänien ein Energietransportkorridor – unter bewusster Umgehung Russlands – gen Zentraleuropa schaffen. Der Kreml versucht das Vorhaben kontinuierlich zu torpedieren, um sein durch die aktuelle Pipelineinfrastruktur bedingtes lukratives Energietransportmonopol aus Zentralasien zu sichern.

Auch an der Tankstelle sind Russland und Kasachstan Konkurrenten. In Rumänien stehen sich von Lukoil und Rompetrol, an der KazMunaiGas unlängst 75 Prozent erworben hat, direkt gegenüber. Beide unterhalten dort ein Tankstellennetz. In Österreich hat Kasachstan Russland als wichtigsten Erdöllieferanten abgelöst. Die Anzeichen häufen sich, dass Kasachstan in der internationalen politischen Ökonomie von Öl und Gas zu einem Konkurrenten für Russland wird – zumindest aber kein höriger Vassalle mehr sein will. Und damit ist das Verhältnis zu Russland nicht ungetrübt. Im Oktober verkündete Kasachstan, eine schlagkräftige Marine im Kaspischen Meer aufbauen zu wollen, um seine Energieressourcen dort sichern zu können. Hinter dem Drang nach Auftritt als eigenständige Energienation steckt auch ein wenig Misstrauen gegenüber dem großen Nachbarn. Und der russische Bär hat in Form einer fast wirtschaftskrimireifen Aktion zurückgebissen.

Seit Mai 2006 landet die Lufthansa Cargo bei ihren Frachtflügen von und nach Asien in Astana zwischen. Plötzlich wurden dem deutschen Großkonzern dann im November die für diese Route notwendigen Überflugrechte seitens Russlands gestrichen. Eine Verlegung des Lufthansa-Standortes von Astana ins westsibirische Krasnojarsk, wo einflussreiche Persönlichkeiten der russischen Wirtschaftselite einen Großflughafen entstehen lassen wollen, hätte alles gutmachen können. Heftig wurde gestritten zwischen Kreml, Astana und Berlin. Auf jeden Fall hat Russland ein Prestigeprojekt Kasachstans direkt torpediert.

Gemeinsamkeit: Rohstoffnationalismus

Staatlicher Interventionismus, wie im Falle der Lufthansa-Affäre, ist auch in Kasachstan nicht unbekannt. Das von Italiens ENI geführte Konsortium zur Ausbeutung des kasachischen Gigaölfeldes Kaschagan im Kaspischen Meer entkam 2007 einer De-facto-Enteignung wegen „Umweltbedenken“ nur knapp. Hauptprofiteur wäre der staatliche Energiekonzern KazMunaiGas – Kasachstans Pendant zu russischen Energiemonopolisten wie Gazprom oder Rosneft – gewesen. Obwohl Kasachstan in den 1990er Jahren bestrebt war, Auslandsinvestoren für Joint-Ventures im Energiesektor zu gewinnen, erinnert heute einiges an den Rohstoffnationalismus russischer Prägung. Nun werden Staatsholdings als Instrument zur Entwicklung des Landes propagiert, wobei es in Kasachstan noch keine so spektakulären Fälle revidierter Verträge wie in Russland gab.

Durch ihren recht gleichen Entwicklungsstand als aufstrebende Volkswirtschaften, wurden Kasachstan und Russland in der zweiten Jahreshälfte 2007 von Verwerfungen an den internationalen Kapitalmärkten – Stichwort: US-Subprime-Krise – getroffen. Bei gestiegener globaler Risikoaversion kam der Kapitalstrom nach Russland und Kasachstan fast zum Erliegen. Russische und kasachische Finanztitel kamen unter Druck, für einige Emittenten war der internationale Kapitalmarkt plötzlich geschlossen, und einige Banken werden noch länger mit Refinanzierungsproblemen kämpfen. Wobei kasachische Banken noch viel mehr als ihre russischen Pendants zur Refinanzierung auf den internationalen Kapitalmarkt angewiesen sind.

Gemeinsame Interessen überwiegen

Und von Gemeinsamkeiten ist es nicht mehr weit zur notwendigen Kooperation zwischen Kasachstan und Russland. Im Gasbereich sind beide Staaten noch lange Zeit zur Kooperation verdammt. Denn der Gasexport ist weniger einfach zu diversifizieren als der Ölexport, und die Gastransportstruktur aus Zentralasien ist als Erbe der Sowjetunion noch in besonderer Weise auf Russland ausgerichtet. Derzeit können die beiden großen zentralasiatischen Förderer Kasachstan und Turkmenistan Erdgas nur über ein Pipelinenetzwerk, das größtenteils der Gazprom gehört, international verkaufen. Um die engen energiepolitischen Bande zu unterstreichen, lehnte Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew etwa im Frühjahr Einladungen zur Energieforen in Polen oder der Ukraine ab. Er weilte zeitgleich lieber im Kreml, um die enge politische Anlehnung an den strategischen Partner Russland zu unterstreichen. Denn zu weit kann und will sich Kasachstan in der von Machtbeziehungen geprägten internationalen politischen Ökonomie von Öl und Gas nicht gegen Moskau stellen.

Die Errichtung einer gemeinsamen russisch-kasachischen Entwicklungsbank ist 2007 auch vorangekommen. Gerne präsentierte sich Nasarbajew auch neben Wladimir Putin auf dem Gipfel der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres in Teheran. Zudem scheinen die Wirtschaftseliten Kasachstans und Russlands durchaus besser miteinander und mit China zu können als mit westlichen Konzernen. Zumindest die letzten Konsortien in Kasachstan wurden eher mit russischen oder auch chinesischen Partnern als mit westlichen Konzernen gegründet. Und Russland verhilft Kasachstan auch auf die internationale Bühne wie etwa bei G8-Gipfel im russischen St. Petersburg. Oder auch beim Start des ersten kasachischen Satelliten war Putin zugegen und sagte Unterstützung beim Aufbau einer Raumfahrtindustrie zu.

Wirtschaftskrimi in Banktürmen 2008?

Ob die Mixtur zwischen Kooperation und Konkurrenz in der kasachisch-russischen Wirtschaftswelt auch 2008 für einen Wirtschaftskrimi gut sein wird, das bleibt abzuwarten. Nicht ganz fern liegt der Gedanke, dass der Bankensektor Schauplatz für einen Wirtschaftskrimi russisch-kasachischer Prägung sein könnte. Kasachstan scheint stärker angeschlagen zu sein von den aktuellen Verwerfungen am internationalen Kapitalmarkt. Die großen staatsnahen und liquiden Banken Russlands könnten versuchen, in Zeiten der Schwäche mehr Einfluss im bis dato abgeschotteten Finanzsektor Kasachstans zu erlangen. Aber auch auf den Radarschirmen westlicher Banken sind Kasachstans Banken nach der letzten Marktkorrektur, die den Erwerb von Banken billiger gemacht hat, wieder als Übernahmekandidaten aufgetaucht. Somit wären genügend Interessengegensätze für einen Wirtschaftskrimi in Kasachstan gegeben – dies bei noch unklarer Interessenlage Astanas bezüglich substantieller ausländischer Beteiligungen im strategischen Bankensektor.

Fortsetzung von Seite 1

21/12/07

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