Alina Bronskys neuer Roman „Baba Dunjas letzte Liebe“ ist ein gefühlvolles und anrührendes Porträt einer sturen Tschernobyl-Rückkehrerin.
Baba Dunja war die erste, die zurückkehrte in ein Dorf, das als kontaminiert und nicht mehr bewohnbar galt. 1986 wurde der Ort Tschernow bei dem Tschernobyl-Reaktorvorfall verseucht, alle Bewohner mussten die Gegend verlassen, und seitdem lag es in der sogenannten Todeszone. Die über 80-Jährige kehrte, ohne auf die Gesundheitswarnungen zu hören, in ihr altes Haus zurück. Medien berichteten über diese verrückte Handlung, und in den nächsten Jahren kamen eine Handvoll weiterer, ehemaliger Anwohner zurück.
Es gibt Öfen zum Heizen, Wasser wird aus dem Brunnen geholt, Gemüse wächst im Garten und manchmal funktioniert im Dorf sogar etwas Elektrizität und auch die Telefonanlage.
Die Nachbarschaft ist voller skurriler Figuren: Die dicke Marja, die ihr Haus mit einer Ziege teilt, ein spießiges Ehepaar und ein fast 100-Jähriger, der im Dorf eine neue Frau sucht. Die Nachbarin Marja erheitert Baba Dunja damit, dass sie sich um ihre Gesundheit sorgt, stets ihre Werte kontrolliert und unzählige Tabletten einschmeißt. Das ist durchaus ironisch, denn jemand, dem seine Gesundheit wichtig ist, sollte nicht in die sogenannte Todeszone zurückkehren. Dabei wirkt das Dorf, als sei es Teil einer Zwischenwelt:
„Bei uns gibt es keine Zeit. Es gibt keine Fristen und keine Termine. Im Grunde sind unsere täglichen Abläufe eine Art Spiel. Wir stellen nach, was Menschen normalerweise tun. Von uns erwartet niemand etwas. Wir müssen weder morgens aufstehen noch abends ins Bett. Wir könnten es auch genau umgekehrt machen.“
Die umliegenden Orte sind menschenleer, niemand kommt in der Stadt einfach vorbei. Es ist jedes Mal ein Ereignis, wenn einer der Dorfbewohner in das 30 Minuten mit dem Bus entfernte Städtchen Malysche fährt. Dort werden Besorgungen gemacht, die über das Selbstversorgerleben hinausgehen, und Postfächer gecheckt – Baba Dunja erhält regelmäßig Pakete von ihrer Tochter aus Deutschland. Diese sind voller alltäglicher Gebrauchsgegenstände, Briefe mit Fragen, Bitten, Warnungen und Fotos von der Familie. Ihre mittlerweile jugendliche Enkeltochter Laura hat Baba Dunja nie kennengelernt.
Die einzigen lebenden Besucher im Dorf sind die in Strahlenanzügen verpackten Wissenschaftler und Reporter. Wissenschaftler stellen fest, dass die Natur sich in der kontaminierten Zone verändert hat: Spinnen weben andere Netze, Vögel geben andere Singlaute von sich. Reporter stellen aus Baba Dunjas Sicht nur die dümmsten Fragen – nach dem Sinn ihrer Rückkehr, nach den Zeichen, die sie damit setzen will. Dabei ist es für sie einfach nur ein Heimkommen, und Zurückkehren zu ihrem eigentlichen Leben, zu ihrer eigentlichen Liebe.
Alina Bronsky wurde für das Buch von realen Gegebenheiten inspiriert: Sie las zufällig einen Text von Elizabeth Gilbert, der Autorin von „Eat Pray Love“, über Tschernobyl-Heimkehrer. Es handelte von etwa 250 alten Frauen, die in ihre alten Dörfer zurückkehrten und ein völlig autarkes Leben führten. Danach recherchierte sie über die Umstände und die Menschen, die sich dazu entschlossen, und entwickelte auf der Grundlage die Figur Baba Dunja.
In Bronskys Romanen spielen Schicksale und Personen aus der ehemaligen Sowjetunion häufig eine zentrale Rolle. Alina Bronsky, die unter einem Pseudonym schreibt, um ihre Familie zu schützen, ist 1978 im russischen Jekaterinenburg geboren. Als sie 13 war, zieht ihre Familie von Russland nach Deutschland. Ihr Debütroman „Scherbenpark“, der die Geschichte der russlanddeutschen Sascha erzählt, erschien 2008. Das Manuskript hat sie dem Verlag unverlangt zugesandt, mittlerweile ist der Bestseller mehrmals auf Theaterbühnen aufgeführt und auch verfilmt worden und wird in Schulen gelesen. Eine Schriftsteller-Erfolgsgeschichte, wie sie von vielen geträumt wird. Ihr zweiter Roman „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“ über die zielstrebige tatarische Großmutter Rosalinda war einer der humorvollsten deutschsprachigen Bücher der letzten Jahre. Weitere Romane folgten. Alle ihre Figuren haben etwas gemeinsam: Das Bestreben ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu wollen.
Alina Bronsky erzählt in einfachen Sätzen und einer klaren Sprache die starke Geschichte einer sturen und freiheitsliebenden Frau. Humorvolle Szenen und Beschreibungen wechseln sich ab mit melancholischen Momenten – manchmal etwas holprig und gewollt, meist aber rührend und sehr mitnehmend. Die knapp 150 Seiten von „Baba Dunja und ihre letzte Liebe“ sind eine schnelllesbare, aber durch und durch gelungene Geschichte über Heimkommen, Freiheitsdrang und darüber, dass man das Glück nur in seinem eigenen Rahmen finden kann.