Klaus Hurrelmann war Redakteur der DDR-Illustrierten „FREIE WELT”, die von der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft herausgegeben wurde. Er publizierte 2001 das Buch „Meine irreparablen Kindheitsschäden oder: Der erste darf kein Schwein sein”, in dem er auch über seine Erinnerungen an Kasachstanaufenthalte schreibt. Es gab seinerzeit einen Reporteraustausch zwischen den Redaktionen in Ostberlin und Zelinograd. Heute ist er Rentner und lebt in Berlin. Auf Initiative von Nelly Frank, der Frau eines Freundes des Autors, und der Erlaubnis von Klaus Hurrelmann lesen Sie im Folgenden die letzte in der DAZ erscheinende Fortsetzung des Buchauszugs, der die Zeit in der „Freundschaft“ betrifft.

[…] Ein 1980, im Kreis der Mitarbeiter der „Freundschaft“, begann mein wirkliches Begreifen des großen Unrechts, das dieser eigentümlichen Bevölkerungsgruppe, Sowjetdeutsche genannt, viele Jahrzehnte lang im Lande Lenins angetan worden ist. Voll Scham mußte ich erkennen, daß sämtliche Erleichterungen im Leben der Sowjetdeutschen einzig und allein auf Betreiben der Bundesrepublik zustande gekommen waren. Das war wie ein Hobby von Adenauer. Augenzeugen eines Besuchs von Walter Ulbricht in den sechziger Jahren in Nowosibirsk hingegen erzählten, wie sich sowjetdeutsche Landsleute bis zu dem DDR-Politiker vorgedrängt hatten und ihn regelrecht um Hilfe bei der Wiedererlangung ihrer Rechte anflehten. Ulbricht aber wandte sich brüsk ab, mit eisigem Gesicht. Tat, als verstünde er die deutsche Sprache nicht… In Heft 27, 1968, der FREIEN WELT berichtet der Ulbricht begleitende Dolmetscher Werner Eberlein über den Aufenthalt des DDR-taatsratsvorsitzenden in Nowosibirsk. Wahrscheinlich beobachtete er auch diese Episode. Freilich, in unserem Achtseitenbeitrag war kein Platz dafür. Eberlein unsere verfluchte Parteidisziplin brachte auch ihn zum Schweigen. Bekanntlich nicht nur in dieser, sondern auch in tragischer eigener familiärer Angelegenheit.

Das in Kasachstan Erlebte, die dort erfahrene Geschichte berührten mich emotional besonders tief. Hier spürte ich besonders heftig die Tragik des scheiternden „Experiments Sozialismus“. Hier empfand ich die Komplexität stalinistischer Entfernung von unseren Idealen am schmerzhaftesten. Aber hier schöpfte ich auch – geknüpft mit den Hoffnungen so vieler mir verbundener Menschen – zeitweilig die größte Zuversicht. Solche Hoffnungen konnte all das, was ich nun weiß und was sich nun getan hat, nicht töten. Ich hege sie nicht mehr für mich, will aber nicht glauben, daß die Menschheit mit dem Kapitalismus am Gipfel erreichbarer Lebensqualität und irdischer Gerechtigkeit angelangt ist. Die Menschen sind viel zu intelligent, um ewig so weiter zu leben wie jetzt. Nur nach „Schnäppchen“ jagen als Lebensinhalt für die einen, Profitmachen als der Sinn des Daseins für die anderen? Ein bißchen mehr traue ich meiner Spezies „Mensch“ zu.

In dem vom ND mit Nichtachtung gestraften Artikel zur sowjetdeutschen Frage hatte ich folgendes Resümee versucht: „Irgendwie kommt mir auch diese deutsch-sowjetische Zusammenarbeit als mit einer schlimmen Niederlage geendet vor. Aber unser gemeinsames Bemühen war wohl doch nicht ganz sinnlos. Zahlreiche auseinandergerissene rußlanddeutsche Familien fanden mit Hilfe dieser Zeitungen wieder zusammen. Unzählige Schicksale wurden aufgeklärt. Alte, fast vergessene Bräuche, Volkslieder, Märchen, Legenden, Schwänke wurden in den Spalten der ‚Freundschaft‘, von ,Neues Leben‘ und der Slawgoroder ,Roten Fahne‘ vor dem Vergessen bewahrt. Es gibt zweifellos zur Zeit keine profundere Quelle für die jüngste Geschichte des sowjetdeutschen Volkes als diese Publikationen. Das allein hat sie unersetzlich gemacht. ‚Allen Widrigkeiten und Ignoranten zum Trotz.“ Am 6. Februar 1993 erschien im „ND“ ein Beitrag von einem gewissen Otto Bayer unter der Überschrift „Allen Widrigkeiten und Ignoranten zum Trotz“, der sich pauschal, aber nicht uninteressant, mit deutsch-sowjetischen Redaktionspartnerschaften beschäftigte. Insbesondere mit jenen, an denen sowjetdeutsche Publikationen beteiligt waren. Der Autor handelte den Stoff vor allem durch Sicht auf die „Chefetagen“ ab. Ich wollte etwas ergänzend beisteuern und sandte einen Beitrag über meine Erfahrungen ein: „Als ,Gastarbeiter‘ in sowjetdeutschen Redaktionen“. Nie empfing ich ein Echo darauf geschweige denn, daß der Artikel veröffentlicht worden wäre. Schade. Einleitend schrieb ich, „daß es bei derartigen Themen auch interessant und wichtig ist, wenn Leute aus einer ‚unteren Ebene‘ berichten, wie sie die Zeit des ‚Sozialismus in den Farben der DDR‘ mitlebten. Geschichtsaufarbeitung sollte schließlich kein akademisches Ressort werden…“

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