Deutsch ist ein Plus

„Kел, балалар, окылык!“ steht über dem Eingang des Gymnasiums Nr. 18 in Almaty. Die Worte stammen von dem kasachischen Dichter Ibrahim Altynsarin und bedeuten: „Los, Kinder, lernt!“ Und das tun die mehr als 1.000 Schülerinnen und Schüler jeden Tag. Schon ab der ersten Klasse lernen sie vier Sprachen: Kasachisch, Russisch, Englisch und Deutsch.

Ist das nicht ein bisschen viel für die ABC-Schützen? „Nein“, meint die Schuldirektorin Sauresch Absulina. „Kasachisch und Russisch kennen die Kinder bereits von zu Hause. Mit dem Englischen lernen sie das lateinische Alphabet, das es auch im Deutschen gibt.“ Während Kasachisch, Russisch und Englisch aufgrund der Dreisprachenpolitik ein Muss sind, wird Deutsch am Gymnasium Nr. 18 als Plus angesehen.

Vier bis acht Stunden haben die Schüler je nach Klassenstufe an Deutschunterricht pro Woche. Nicht wenige der Absolventen gehen an ein Studienkolleg nach Deutschland, wo sie auf das Studium an einer deutschen Hochschule vorbereitet werden, oder studieren an der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty. Unterstützt wird die Schule von der Zentralstelle für das Auslandschulwesen (ZfA). 18 Deutschlehrerinnen aus Kasachstan und Deutschland unterrichten hier die Sprache bis zum Schulabschluss in der 11. Klasse. Ab und zu kommen deutsche Freiwillige zur Unterstützung an das Gymnasium.

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Erfolg der deutschen Sprache …

„Bei uns fühlt man den Geist Deutschlands“, sagt Absulina. Neben dem Erlernen der deutschen Sprache werden an der Schule regelmäßig deutsche Feiertage und Feste begangen. Auch am 21. September schallt deutsche Musik über die Gänge der Schule. 37 Schüler haben erfolgreich das Deutsche Sprachdiplom (DSD) abgelegt. Sie nehmen an diesem Nachmittag ihre Zertifikate entgegen. Die Deutschlehrerinnen haben passend zu diesem Anlass Tücher in den Farben Kasachstans und Deutschlands umgebunden. Selbst der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland, Jörn Rosenberg, ist zu der Feier gekommen und richtet lobende Worte an Diplomanden.

Das Gymnasium Nr. 18 im Almalinskij-Distrikt ist eine der ältesten Schulen Almatys. Das merkt man dem Gebäude allerdings auch an. Nicht nur, weil die Fassade des Plattenbaus bröckelt, sondern auch an den Grüßen der Sowjetunion. Auf dem Weg zur Aula kommen Besucher unweigerlich an einem Denkmal des Großen Vaterländischen Krieges vorbei. „Unsere Art ewiger Flamme“, scherzt eine Lehrerin. 2019 soll die lang erwartete Renovierung erfolgen. Dann sollen die Schüler auf fünf andere Schulen in der Umgebung umverteilt werden. Auf den Zustand des Gebäudes geht auch Mario Schönfeld, ZfA-Fachberater für Deutsch in Kasachstan, in seiner Rede ein: „Ich bin davon überzeugt, dass nicht das Gebäude die Schüler prägt, sondern die Administration.“ Schließlich seien die Werte, die den Schülern von ihren Lehrern vermittelt werden, viel wichtiger, so Schönfeld. Und der Erfolg – drei Schüler des Gymnasiums Nr. 18 waren unter den besten fünf bei der vergangenen nationalen DSD-Prüfung – gebe ihnen schließlich Recht.

… aber Englisch wird wichtiger

Doch obwohl das Gymnasium Nr. 18 als „Leuchtturm der Deutschvermittlung in Kasachstan“ gilt, wird es immer schwieriger, eine gute Deutschausbildung zu gewährleisten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Dreisprachenpolitik lässt im Stundenplan für eine vierte Sprache an vielen Schulen kaum Platz. Ab 2019 sollen auch am Gymnasium Nr. 18 mehr Fächer, darunter vor allem die Naturwissenschaften, auf Englisch unterrichtet werden, wie die Direktorin erzählt. So sieht es der Lehrplan der Regierung vor. Vorstöße des Bildungsministers zur Lockerung dieser Regelung wie im Juni dieses Jahres  haben zumindest in diesem Schuljahr keinen legislativen Rahmen.

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Schlecht bezahlte Lehrer

Der Wegzug der Deutschen aus Kasachstan in den 1990er Jahren hat ebenfalls seine Spuren hinterlassen. Die Muttersprachler sind in den Schulklassen weggefallen. Die heute noch in Kasachstan ansässigen Deutschen sprechen meist Russisch zu Hause. Ein anderer Grund ist das Bildungssystem in Kasachstan: Es gibt zu viele Schüler für zu wenig Lehrer. Viele Schulen, so auch das Gymnasium Nr. 18, unterrichten im Zwei-Schicht-System. Das bedeutet, dass eine Gruppe Schüler vormittags lernt, die andere erst am Nachmittag Unterricht hat. Dass es so wenig Lehrer gibt, liegt auch daran, dass das Unterrichten an öffentlichen Schulen wenig attraktiv ist. Rund 270 Euro verdienen Lehrer nach offiziellen Angaben im Schuldienst. Viele geben nebenbei privat Nachhilfe, um sich etwas dazuzuverdienen – oft an die Schüler, die sie bereits im Unterricht haben. Doch wer will und kann, geht trotz Pädagogik-Ausbildung erst gar nicht an die Schulen, sondern in die Privatwirtschaft.

Eliteschulen machen Konkurrenz

Schüler der Nasarbajew-Schule für Biologie und Chemie in Kalkaman
Schüler der Nasarbajew-Schule für Biologie und Chemie in Kalkaman. | Foto: ZfA

Zudem machen sich die Schulen gegenseitig Konkurrenz. Einer der größten Konkurrenten sind dabei die Nasarbajew-Schulen. Sie sind meist besser ausgestattet als so manche Schule in Deutschland, und legen ihre Schwerpunkte auf die Naturwissenschaften: Mathematik, Biologie, Chemie, Informatik. 20 Nasarbajew-Schulen gibt es im Land, sie sollen die Besten ausbilden. Und während viele Eltern für den Besuch einer öffentlichen Schule zahlen müssen, ist die Ausbildung an den Nasarbajew-Schulen kostenfrei.

344 Milliarden Tenge (etwa 820 Millionen Euro) beträgt der Etat des Bildungsministeriums im Haushaltsjahr 2018. Etwas mehr als ein Drittel des Budgets, 118 Milliarden Tenge, ist für die schulische Bildung vorgesehen. Davon geht wiederum fast die Hälfte an die Nasarbajew-Schulen (47,6 Milliarden Tenge). Der Staat investiert in seine Elite. Das bedeutet aber auch: Die Schüler, die gut genug sind, um auf eine Nasarbajew-Schule zu gehen, fehlen den anderen Schulen. Das bestätigt auch Schönfeld: „Einige unserer besten Deutschschüler sind an die Nasarbajew-Schulen gewechselt.“

Deutschland, aber auch Österreich, können mit kostenloser Bildung für sich werben. Das macht die deutsche Sprache auch in Kasachstan attraktiv. Ein Hochschulstudium dort hat nicht den schlechtesten Ruf. Allerdings werben auch andere Länder um die kasachischen Schüler. Eine Universität aus Shanghai schickte kürzlich eine Delegation an die Nasarbajew-Schule in Kalkaman – mit mehreren Vollstipendien im Gepäck.

Trotz der naturwissenschaftlichen Ausrichtung können die Schüler auch dort neben Englisch weitere Fremdsprachen erlernen. Zum Beispiel ab der 7. oder 10. Klasse an der Nasarbajew-Schule für Biologie und Chemie in Kalkaman, einem Randbezirk von Almaty. Schon beim Betreten des Schulgeländes merkt man, dass die Schule erst 2015 ihren Dienst aufgenommen hat. Alles ist neu, alles ist schick. Hier lernen etwa 1.000 Schüler der Klassenstufen 7 bis 12. Sie können als zweite Fremdsprache zwischen Deutsch, Französisch, Japanisch, Chinesisch und Koreanisch wählen.

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Ab diesem Schuljahr ist es für alle Schüler der Nasarbajew-Schulen verpflichtend, ab der 10. Klasse eine zweite Fremdsprache zu lernen. Dabei wird deutlich, dass Deutsch die mit Abstand beliebteste Wahl ist. Von 156 Zehntklässlern haben sich 71 für Deutsch entschieden. Das ist ein Erfolg. Allerdings auch einer, der neue Herausforderungen mit sich bringt. Weder personell, noch strukturell ist die Schule darauf eingestellt. Für insgesamt 237 Schüler, die im Schuljahr 2018/2019 Deutsch lernen werden, gibt es gerade einmal vier Deutschlehrer. Doch die Direktorin Gulmira Munkejewa zeigt sich optimistisch: „Wir sind gerade auf der Suche nach neuen Deutschlehrern. Dabei erhalten wir Unterstützung von der ZfA und dem Goethe-Institut“, sagt sie.

25 Jahre Schulpartnerschaft

Eine Deutschlehrerin aus dem Gymnasium Nr. 18 unterrichtet bereits gleichzeitig an der Nasarbajew-Schule. Und trotz der bestehenden Konkurrenz kooperieren die beiden Schulen zumindest im Bereich Deutsch miteinander. Sei es bei den DSD-Prüfungen oder bei Schüleraustauschen. So waren im September 19 Schüler aus dem baden-württembergischen Oberkochen zwei Wochen lang in Almaty.

Der Austausch zwischen dem Gymnasium Nr. 18 und dem Ernst-Abbe-Gymnasium geht auf das Jahr 1993 zurück und konnte somit nun sein 25-jähriges Bestehen feiern. Eine Besonderheit: Keine andere Schule in Baden-Württemberg unterhält schon so lange Beziehungen zu einem Land der GUS. Da in diesem Jahr jedoch nicht alle Schüler des Almatyer Gymnasiums die Möglichkeit hatten, einen deutschen Schüler aufzunehmen, teilte sich die Gruppe auf. Ein Teil ging an das Gymnasium Nr. 18, ein anderer an die Nasarbajew-Schule. Stolz auf ihre Gäste aus dem fernen Deutschland sind beide Direktorinnen, zeigen sie doch, wie gut vernetzt die Schulen international sind.

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„Ein Hoch auf uns“

Die Deutschen haben einen gemischten Eindruck von Kasachstan: „Es ist chaotisch, sehr laut. Wir hatten Probleme mit dem Essen und der Luft in Almaty“, fassen es einige Schülerinnen zusammen. „Die Natur ist aber sehr schön. Am besten hat uns der Scharyn-Canyon gefallen.“ Ihr Nachteil ist: Sie sprechen kein Russisch. Der Austausch ist ausschließlich auf Deutsch ausgerichtet. „Wir hatten einige Probleme mit der Kommunikation“, sagen die Oberkochener. Sie loben dafür jedoch die Gastfreundschaft der Kasachen, die sie herzlich willkommen geheißen haben. Schließlich verbindet Sprache auch über Kulturen hinweg, und als sie zum Abschluss das Lied „Auf uns“ singen, bleibt fast kein Auge trocken.

Der Schüleraustausch soll auf jeden Fall fortgeführt werden, bestätigt Direktorin Absulina. Und auch der deutsche Geist soll nach der Renovierung weiterhin am Gymnasium Nr. 18 zu spüren sein. Ihre Lehrer hält die Direktorin dazu an, sich ständig weiterzuentwickeln. Ob ein Mensch erfolgreich ist, hänge schließlich von ihm selbst ab. Bildung kann dazu beitragen, aber jeder müsse sich selbst fürs Lernen entscheiden, meint sie.

Othmara Glas

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