Wie ein ethnischer Deutscher aus der Ukraine die Demokratie heute weltweit mitgestaltet.
Was braucht es, um in einem fremden Land anzukommen, die Sprache zu meistern, ein Studium zu schaffen und später im Zentrum der deutschen Demokratie zu arbeiten? Die Geschichte von Dimitri Kessler liefert eine beeindruckende Antwort.
Dimitri Kessler ist ein gelungenes Beispiel für Integration. Geboren in der Ukraine, aufgewachsen mit den Erzählungen seiner deutschen Vorfahren aus Baden-Württemberg, die im 19. Jahrhundert ins Zarenreich ausgewandert waren, kam er 2002 als Spätaussiedler nach Deutschland. Ohne perfekte Sprachkenntnisse, aber mit dem festen Willen, hier Fuß zu fassen. Heute arbeitet er im Bundestag als Koordinator des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS). Im Gespräch mit der DAZ erzählt er von seiner Herkunft, seinem Weg in die deutsche Gesellschaft und warum Programme wie das IPS der Schlüssel zum gegenseitigen Verständnis sind.
Integration, wie man sie sich wünscht
Mit 16 Jahren kam Dimitri Kessler mit seiner Familie nach Deutschland. Seine Familiengeschichte beginnt im 19. Jahrhundert, als Deutsche vom russischen Zarenreich ins Gebiet am Schwarzen Meer eingeladen wurden – seine Vorfahren stammten aus dem heutigen Baden-Württemberg. Später zog ein Teil der Familie weiter nach Sibirien und Kasachstan, dort, wo es „freies Land und wenig Steuern“ gab. Jahrzehnte später ergriff die Familie die Möglichkeit, als Spätaussiedler nach Deutschland zurückzukehren – ein langer und bürokratischer Prozess, der viel Geduld erforderte.
„Ich kam ohne perfekte Sprachkenntnisse direkt aufs Gymnasium, ohne Vorbereitungsklasse. Es war, als wäre ich ins kalte Wasser gesprungen“, erinnert sich Kessler. Drei Jahre später begann er sein Jurastudium in Berlin. Heute arbeitet er im Bundestag und koordiniert eines der wichtigsten Austauschprogramme Deutschlands: das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS).
In Brandenburg lernte er die Sprache, schloss das Gymnasium ab und begann sein Jurastudium in Berlin – ein Weg, den sich viele nicht zutrauen würden. Neben Deutsch spricht Kessler fließend Ukrainisch, Englisch und Russisch. Diese Mehrsprachigkeit ist nicht nur im Alltag hilfreich, sondern auch ein Schlüssel in seinem Beruf.
„Ich arbeite mit Stipendiat:innen aus über 50 Ländern. Sprachgefühl hilft enorm beim Aufbau von Vertrauen.“
Das Internationale Parlaments-Stipendium wurde 1986 eingerichtet, ursprünglich als Instrument im Austausch mit Frankreich und den USA. Nach dem Mauerfall wurde das Programm auf Osteuropa ausgeweitet, später auch auf die arabische Welt, Asien, Lateinamerika und Zentralasien, darunter auch Kasachstan. Die Stipendiat:innen lernen die deutsche Demokratie kennen, nehmen Impulse mit und tragen diese oft in ihre Heimatländer weiter. Viele sind heute in Ministerien, NGOs oder Parlamenten tätig. „Wir haben IPS-Alumni im Europaparlament. Sie sind Brückenbauer zwischen ihren Ländern und Deutschland.“ Für Deutschland bedeutet das, globale Netzwerke mit demokratisch gesinnten jungen Menschen aufzubauen, die oft aus Ländern mit einem rapiden gesellschaftlichen Wandel stammen, zum Beispiel aus Kasachstan.
Brücken bauen durch eigene Erfahrung
Seine eigene Migrationsgeschichte hilft Kessler heute in der Arbeit: „Ich weiß genau, wie es ist, in einem fremden Land anzukommen, ohne die Sprache perfekt zu sprechen.“ Dieses Verständnis erleichtert ihm den Umgang mit internationalen Gästen. Auch seine Erfahrung mit Austauschprogrammen, zum Beispiel im Netzwerk Ost-West, hat ihn geprägt. „Schon damals habe ich gesehen, wie wichtig internationale Zusammenarbeit ist.“
Dimitri Kesslers Lebensweg zeigt eindrucksvoll, wie viel Potenzial in biografischen Brüchen steckt. Seine Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie ethnische Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion neue Wurzeln schlagen – und aktiv zur deutsch-internationalen Verständigung beitragen. Das IPS ist dabei ein Instrument, um Brücken zwischen Deutschland und der Welt zu bauen – besonders mit Blick auf Länder wie die Ukraine, Kasachstan oder Georgien.
Und was bringt das jungen Menschen aus Kasachstan?
Die Teilnahme am IPS ist ein Sprungbrett. Wer sich bewirbt, bringt nicht nur Deutschkenntnisse mit, sondern auch Engagement für Gesellschaft und Politik. Laut Kessler komme man „nach Berlin, lebt Demokratie, knüpft Kontakte und kehrt mit einem ganz neuen Blick auf die Welt zurück“. Gerade in Zentralasien, wo viele junge Menschen nach Orientierung suchen, kann ein solches Programm einen großen Unterschied machen. Es zeigt, was möglich ist – beruflich, gesellschaftlich und menschlich.
Dimitri Kesslers Weg ist nicht nur eine persönliche Erfolgsgeschichte. Er ist ein Symbol dafür, dass Herkunft keine Grenze ist, Migration bereichert und dass junge Menschen mit Willen und Bildung eine Gesellschaft mitgestalten können. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, fremd zu sein. Deshalb habe ich heute ein besonderes Verständnis für unsere Gäste“, so mein Interviewpartner abschließend.