… sagt Aljosha, so auch ich, weil man einzig in Indien gesund werden könne, weil nur die indischen Ärzte über das Wissen verfügten, wie man heile. Und alle Westeuropäer, so auch ich, lebten vollkommen unnatürlich und damit ungesund. Na, ich weiß ja nicht.

 

Ohne fachlich mitreden zu können, weil ich in der Gesundheitspflege ohne Gebrauchsanweisung allenfalls meine Schnupfnase putzen kann, kommt mir dieser Ansatz kraft meines gesunden Menschenverstandes hanebüchen vor. Wollen wir es also mal sezieren. Dinge, die man tun muss, sind mir eh nicht geheuer und wohlmeinender Dogmatismus hat im Rückblick meist genauso geschadet wie vorsätzliche Tyrannei.
Dinge, die für alle gelten sollen, kann es laut meiner Philosophie nicht geben, zu komplex sind die Phänomene, zu vielfältig und individuell die Menschen. Personen, die etwas Heilbringendes für sich neu entdecken, sind erfahrungsgemäß begeistert bis euphorisch und laufen missionierend, aber auch autistisch durch die Gegend, um ihr Glück mit anderen zu teilen. Was aber unabhängig aller Philosophien am eindringlichsten ist, ist Aljosha, der Missionar, selbst. Würde er nicht so abgemagert, fahl, schüchtern, fast schon schreckhaft durch die Gegend huschen, sondern glücklich kraftstrotzend strahlen, wäre er gewiss ein überzeugenderer Werbeträger.
Zudem erinnere ich mich noch sehr gut an meinen Indienurlaub, v.a. an die schlechte Luft in den Städten. Der Alltag war höchst stressig, bei Wasser und Lebensmitteln musste man stets höllisch aufpassen, dass man sich keine Krankheiten holte. Und in fast keiner Nacht fand ich erholsamen Schlaf wegen des so großen Lärmpegels rund um die Uhr. Alles nicht förderlich für die Erholung, Ayurveda hin oder her. So viel zu meinen Vorbehalten.
Nun kann man aber nicht abstreiten, dass Indien ein besonderes Land ist. Kaum ein anderes Land ist für uns Europäer so anziehend und faszinierend. Einige verbringen viele Monate dort und kriegen doch nicht genug. Mein Freund Frank, der immer wieder flucht, wenn er dort ist, weil das Land wahnsinnig stresst und fordert, und sich immer wieder vornimmt, nie wieder dorthin zu reisen, kann es nicht lassen und fährt fast jedes Jahr hin. Auch will ich bei allem die Weisheit und Fachkompetenz der indischen Ärzte nicht in Abrede stellen. Das Problem scheint mir vielmehr, Wissen aus anderen Ländern in ein neues Umfeld zu transportieren und dort anzuwenden.
Wir kennen das, wenn wir uns aus dem Urlaub Lebensmittel mitnehmen, die uns dort bestens geschmeckt haben. Zu Hause schmeckt es ganz anders, meistens gar nicht. Die in Indien gelernten Meditationen und Yoga-Übungen lassen sich nicht in unseren westlichen Alltag quetschen. Und ganz zuletzt muss ich noch anmerken, und jetzt kommen wir wahrscheinlich zum wahren Kern der Sache, dass Heilung in Indien heißt, auf das meiste, was lecker schmeckt, verzichten zu müssen. Kein Fleisch. Kein Alkohol. Kein Kaffee. Und wahrscheinlich noch jede Menge andere Sanktionen und Selbstgeißelungen.
In jedem Fall muss man kräftig mitarbeiten in Form von knallharter Selbstdisziplin. Das mag mal ein paar Wöchelchen gut gehen und gut tun, doch als alltagstauglichen Dauerzustand lobe ich mir die europäische Medizin, bei der ich nur ab und zu für einen Augenblick tapfer Spritzen und Einrenkungen über mich ergehen lassen muss, um gleich danach wieder genauso ungesund wie vorher leben zu dürfen. Ich bin halt ein kapitalistisches, konsumorientiertes, verwöhntes Westkind, und drum fahr ich nicht nach Indien, sondern bleib ich hier.

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