Der Deutsche Zollverein (1834-1871) diente als Instrument der damaligen politischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, analog zur Europäischen Union. In einem direkten Vergleich von EU und EAWU werden im Folgenden Möglichkeiten und Grenzen eines einheitlichen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok skizziert. Sollte man ihn besser bis Schanghai denken?

Das Zollwesen als Widerspiegelung des Staatswesens

[…] Der sächsische Archivar und Historiker Johannes Falke (1823-1876) schrieb 1869 über die Geschichte des Staates seit der Reformation und über das Zollwesen als Widerspiegelung des Staatswesens: „Die Unterwerfung jedes Einzelnen unter die wie immer gebildete oberste Gewalt ist jetzt nicht mehr ein und alles, nicht mehr die alleinige Lebensbedingung des Staates, als eine zweite ebenso notwendige und bedeutungsvolle ist dieses unmittelbare gleichgemessene Verhältnis aller Glieder zu dem nun die Gesamtheit des Volkes umspannenden Staate an die Seite gestellt. In Folge dieser außerordentlichen Erweiterung in den Grundlagen des Staates ist auch an jeden Einzelnen die Pflicht herangetreten, sich über dieses sein Verhältnis zu demselben, über das ihm zustehende Maß an Rechten und Pflichten, über das, was der Staat ihm und dem Volke und er und das Volk dem Staate zu bieten und zu leisten schuldig sind, mit vollem Ernst Belehrung und Klarheit zu verschaffen.“

Diese Einschätzung trifft nicht nur auf Deutschland zu, wo die Zollunion (1834) der politischen Union (1871) unmittelbar vorausging. Die Zollunion der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1968) war eine wichtige Zwischenstufe auf dem Weg zur Europäischen Union (1992). Für Wladimir Putin ist die Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Belarus (2010) – neben der Euroasiatischen Wirtschaftsunion und der Freihandelszone der GUS – einer der vielen kleinen Schritte, um zu einer Eurasischen (politischen) Union zu gelangen.

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Politische Aspekte in den Anfängen des Zollvereins

Die politischen Wirkungen des Zollvereins sind dank der unvergleichlichen Schwerfälligkeit des deutschen Staatslebens nicht so rasch und nicht so unmittelbar eingetreten, wie manche kühne Köpfe meinten. Schon zu Anfang der dreißiger Jahre hoffte David Hansemann (1790-1864), ein Parlament des Zollvereins und daraus vielleicht einen Deutschen Reichstag erstehen zu sehen, und viele andere wohlmeinende Patrioten haben ähnliche Erwartungen an den deutschen »Zollstaat« geknüpft. Aber der Handelsbund war kein Staat, er bot keinen Ersatz für die mangelnde politische Einheit und konnte noch durch Jahrzehnte fortdauern, ohne die Lüge der Bundesverfassung zu zerstören.

Als Minister Karl Wilhelm Heinrich Freiherr du Bos du Thil (1777-1859, Bild rechts) 1827 seinem Großherzog Ludwig I. (1753-1830) den Rat gab, jenen entscheidenden Schritt in Berlin zu wagen, da sprach er offen aus: Indem Hessen den Handelsbund schließt, verzichtet es auf die Selbstständigkeit seiner auswärtigen Politik; bricht ein Krieg aus zwischen Österreich und Preußen, so ist Hessen an die preußischen Fahnen gebunden. Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860), der den Zollverein sofort als das einzige deutsche Gelingen seit den Befreiungskriegen begrüßte, erklärte zugleich, dass der Handelsbund sicher vor weiteren bürgerlichen Kriegen schütze.

Aber auch diese Weissagungen sind nicht buchstäblich eingetroffen: Der Zollverein hat die oberdeutschen Staaten nicht daran gehindert, die Waffen gegen Preußen zu ergreifen. Nichtsdestoweniger sollte gerade das Jahr 1866 die gewaltige Lebenskraft dieses handelspolitischen Bundes erweisen. Der rasche Siegeszug der preußischen Fahnen ersparte Preußen die Mühe, seine wuchtigste Waffe zu schwingen und durch die Aufhebung der Zollgemeinschaft die oberdeutschen Höfe sofort zu bekehren. Das Bewusstsein, dass man zueinander gehöre, dass man sich nicht mehr trennen könne von dem großen Vaterlande, war durch die kleinen Erfahrungen jedes Tages in alle Lebensgewohnheiten der Nation eingedrungen, und in dieser mittelbaren politischen Wirkung liegt der historische Sinn des Zollvereins. Es ging doch zu Ende mit dem Philistertum der alten Zeit, das an die Herrlichkeit der Kleinstaaten kindlich glaubte. […]

Die Fortsetzung dieses Beitrags lesen Sie in den nachfolgenden Ausgaben.

Peter Enders, Galina Nurtasinowa und Ulf Schneider

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